Aus Online-Kommentaren und Straßenbefragungen entwickelt sich ein digitales Bürger-Buch, das Stimmungen und Stimmen festhält.
Darüberhinaus werden Bürgerplattformen zur documenta fifteen verlinkt.
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Individuelle Stimmen – differenziertes Bild
Die Bürger-Stimmen fangen die Stimmungen auf der documenta ein. Zufällig ausgewählte Besucher der documenta fifteen geben in spontanen Interviews Auskunft zu ihrer Erfahrung beim Besuch der Ausstellungen und ihrer Wahrnehmung der documenta fifteen. Angesprochen und befragt werden sie vor Ort, direkt nach dem Besuch der documenta. Die Gespräche werden offen und an die Gesprächspartner angepasst geführt – gleichzeitig folgen sie einer Reihe von Leitfragen. So wachsen die Erfahrungen der Besucher, so unterschiedlich sie sind, positiv oder negativ, zu einer Atmosphäre in Worten zusammen. Eckige Klammern wie […] enthalten Auslassungen unverständlicher Passagen, Korrekturen zum Beispiel zu falsch benannten Veranstaltungsorten oder Ergänzungen.
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Hans EichelInterview mit Sonja Rosettini und Helmut Plate (Welt.Kunst.Kassel)
Nach der documenta ist vor der documenta
Hans Eichel im Gespräch mit Sonja Rosettini und Helmut Plate von Welt.Kunst.Kassel
Das Interview ist im Original veröffentlicht auf der Website von Welt.Kunst.Kassel (www.welt-kunst-kassel.de)
Die documenta ist die weltweit wichtigste Ausstellung für Gegenwartskunst, die Auskunft über Themen, Diskurse und Ästhetik der Kunst in ihrer Zeit gibt. Wie keine andere Großausstellung verbindet die documenta immer wieder Tendenzen der globalen Welt mit ihrem Standort Kassel. Welt.Kunst.Kassel. hat Hans Eichel eingeladen, um mit ihm über die vergangene documenta fifteen und die Kunst in Kassel zu sprechen. Im Interview erzählt er von seinen documenta-Erfahrungen, spricht über Politik, Kunst und seineLeidenschaft für die documenta.
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W.K.K.: Ihr Herz schlägt gewissermaßen für die documenta. Wie kein anderer haben Sie Partei für die documenta ergriffen. Sie haben auch sehr schwierige Zeiten in der documenta-Geschichte erlebt. Ich denke da z.B. an das Defizit, das Harry Szeemanns documenta 5 verursacht hat.
H.E.: Ja, das war zunächst eine für die Weiterexistenz der documenta bedrohliche Krise. Der Aufsichtsrat wollte Harry Szeemann, ein äußerst gewissenhafter Mensch übrigens auch beim Umgang mit Geld, persönlich für das Defizit seiner documenta verantwortlich machen. Das rief weltweit heftige Reaktionen hervor. Museumsdirektoren drohten, keinerlei Leihgaben mehr nach Kassel zu schicken, Kuratoren wollten künftige documenta-Ausstellungen boykottieren, Kunstkritiker ebenso. Der Aufsichtsrat gab schließlich nach, die Krise war abgewendet. Dabei hätte man von vornherein wissen können, dass solche Kunstereignisse, die so stark auf Eintrittsgelder und Sponsorenmittel angewiesen sind, immer ein finanzielles Risiko bedeuten. Über ihre künstlerische Bedeutung sagt das nichts aus. Die d5 z.B. gilt längst als eine der wichtigsten Ausstellungen in der bald siebzigjährigen Geschichte dieser Weltausstellung.
Das Defizit der d5 war, gemessen am Ausstellungsetat, etwa so groß wie 2017 das Defizit der d14. Hätte man 2017 die Erfahrungen beherzigt, die der Aufsichtsrat 1972 machen musste, hätte man sich die Skandalisierung dieses Defizits erspart und so die documenta vor einem Rufschaden bewahrt.
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W.K.K.: Herr Eichel, Sie sind ein ausgezeichneter Kenner der documenta und als Kasseler Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzender der documenta GmbH 1975–1991 waren Sie selbst unmittelbar in eine schwierige Entwicklungsphase der Großausstellung involviert. Sie haben viele documenta Ausstellungen besucht und einige aktiv begleitet, haben selber als documenta-Guide gearbeitet. Welche war Ihre erste documenta, die Sie besucht haben?
H.E.: Ich habe alle documenta-Ausstellungen erlebt, auch die erste schon, 1955. Mein Vater war Architekt und Maler, sehr an der documenta interessiert, nahm mich mit. Aber klare Erinnerungen besitze ich erst an die zweite documenta (1959).
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W.K.K.: Wie konnte die documenta die bedeutendste Ausstellung der Gegenwartskunst, das Forum der globalen Kunstgemeinde werden? Welches waren die Bedingungen dafür und wie kann das so bleiben?
H.E.: Arnold Bode hatte von Anfang an die documenta als periodisch wiederkehrende internationale Kunstausstellung gedacht. In den 1970er Jahren skizzierte er dann schon ihre Globalisierung. Er hat eben immer groß gedacht. Und so haben sich die documenta-Verantwortlichen, bei allen Fehlern, die sie auch begingen, schließlich immer verhalten.
1972 leitete zum ersten Mal ein Externer, der Schweizer Harald Szeemann, die Ausstellung. 1992 versammelte dann Jan Hoet, belgischer documenta-Leiter, erstmals Künstler von allen Kontinenten in Kassel. 1997 erklärte schließlich Catherine David, die erste Frau an der Spitze der documenta, die Kunstausstellung zur Weltausstellung. Seit 2002 gab es dann auch Ausstellungsorte außerhalb Deutschlands, auch auf anderen Kontinenten.
Die Bedingungen dafür, dass die documenta das Forum der globalen Kunstgemeinde, das bedeutendste Ereignis der Gegenwartskunst, bleibt, sind klar: Die künstlerische Leitung muss im Rahmen des Grundgesetzes vollkommen frei sein, niemand darf ihr reinreden. Alle künstlerischen Entscheidungen müssen ausschließlich in der globalen Kunstgemeinde getroffen werden. Das bedeutet: Eine hochkarätige internationale Findungskommission schlägt die künstlerische Leitung vor, die documenta-Leiter machen den Vorschlag für die Besetzung der internationalen Findungskommission. Der Aufsichtsrat übernimmt diese Vorschläge. Es findet also keinerlei politische, staatliche Einflussnahme statt. Das ist einmalig weltweit bei internationalen Kunstereignissen. Das ist die Voraussetzung für die herausragende Bedeutung der documenta.
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W.K.K.: Wenn Sie die bisherigen documenta-Ausstellungen Revue passieren lassen: Wie ordnen Sie die documenta fifteen ein? Was hat Ihnen gefallen? Was hat Ihnen weniger gefallen? Haben Sie persönlich ein Lieblingskunstwerk bei der documenta fifteen gehabt?
H.E.: Die documenta fifteen ist einen großen Schritt weiter zur Globalisierung gegangen. Erstmals verantwortete ein Kuratoren-Kollektiv aus dem „globalen Süden“ das Weltkunstereignis. Das bestimmt ihre bleibende Bedeutung.
Gefallen hat mir der heitere, auf gemeinsames Tun orientierte Geist. Es ging nicht nur um Probleme, sondern um gemeinschaftlich erdachte und erarbeitete Lösungen.
Nicht gefallen hat mir die Unfähigkeit der documenta fifteen zur zugleich nachdenklichen wie offensiven Auseinandersetzung mit ihren Kritikern beim Thema Antisemitismus.
Mein Lieblingswerk dieser documenta war das ruruhaus. Es verkörperte mit seiner Offenheit, dem herrschenden kreativen Geist, der Bereitschaft zum hierarchiefreien Diskurs und der fröhlichen Geselligkeit den Geist dieser documenta wie kein anderer Ort, kein anderes Kunstwerk. Das ruruhaus hätte erhalten und weiterentwickelt werden müssen.
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W.K.K.: Herr Eichel, Sie haben in den vergangenen Monaten die Konzentration auf die Antisemitismus-Debatte beklagt und mit scharfen Mitteilungen das bundesweite Medieninteresse wieder auf sich gezogen. Die Bewertung der documenta fifteen in den meisten deutschen Feuilletons war anfangs durchweg positiv bis euphorisch. Das änderte sich schlagartig nach der Entdeckung der antisemitischen Darstellungen in „People’s Justice“. Von da an berichteten die meisten Medien lange nicht mehr über Inhalte und Konzepte der documenta fifteen, sondern fast nur noch über den „Antisemitismus-Skandal“.
Es war in der öffentlichen Wahrnehmung eine turbulente documenta, ausgelöst durch diese Vorwürfe, die sich ja bis zum Ende der documenta fifteen und darüber hinaus zogen. Wie hätte Ihre Krisenintervention ausgesehen? Was wäre Ihr Rat gewesen, um die Eskalation zu vermeiden?
H.E.: Ich glaube nicht, dass diese Eskalation zu vermeiden war. Die Weichen dazu waren seit Anfang Januar 2022, also lange vor Beginn der documenta gestellt. Wir haben die Ausstellung nicht nach ihren Inhalten befragt, sondern ihr unsere Frage: Wie hältst Du es mit dem Antisemitismus, wie hältst Du es mit Israel im Konflikt mit den Palästinensern, gestellt und uns dann auf ihre Konzepte, ihre Anliegen nicht wirklich eingelassen. Tania Bruguera, die weltbekannte kubanische Künstlerin hat das zu Recht kritisiert.
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W.K.K.: War es unter den gegebenen Umständen ein Fehler, ein Kuratoren-Team zu wählen?
H.E.: Nein. Die Entwicklung in der globalen Kunstszene legte es nahe, erstmals ein Kollektiv mit der Leitung der Ausstellung zu betrauen. Die Findungskommission hat das überzeugend begründet. Das Kollektiv hat sich aber zu wenig auf die Besonderheiten der deutschen Situation eingelassen. Und viele Feuilletons in Deutschland und vor allem die Politik in Deutschland waren überhaupt nicht willens und wohl zum Teil auch gar nicht in der Lage, sich auf die ganz neuen Herausforderungen durch diese documenta einzustellen.
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W.K.K.: Unter anderem ist durch Wortmeldungen zahlreicher außenstehender Kritiker vor allem auch von Politikern, die sogar den Abbruch der documenta fifteen forderten oder die Verlegung in eine andere Stadt und nicht zuletzt durch die in großen Teilen negative Presse der documenta ein nicht unerheblicher Imageschaden entstanden. Sehen Sie Möglichkeiten der Reparatur?
H.E.: Nur allmählich und durch beharrliche Wiederholung der Tatsachen. Boris Rhein, der Hessische Ministerpräsident hat Recht: Die documenta fifteen war zu 99,9 % nicht antisemitisch. Wenn wir in Deutschland so wenig Antisemitismus hätten, würde der Zentralrat der Juden unser Land als eine Insel der Vorurteilslosen loben.
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W.K.K.: Mit der Aufarbeitung des Antisemitismus-Themas beschäftigen sich gleich zwei Gremien. Noch während der documenta hat das siebenköpfige Experten-Gremium mit der Vorsitzenden Nicole Deitelhoff seine Arbeit aufgenommen. Die Ergebnisse stehen noch aus. Und das documenta Institut hat mit seinem Gründungsdirektor Prof. Dr. Heinz Bude und Prof. Dr. Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, ein zweijähriges Forschungsprojekt zur Analyse der Antisemitismus-Kontroverse begonnen. Begrüßen Sie diese Initiativen?
H.E.: Die Einsetzung des Expertengremiums unter Leitung von Frau Prof. Deitelhoff halte ich für grundsätzlich verfehlt: Die Gesellschafter Stadt Kassel und Land Hessen müssen auch nur jeden Anschein von Zensur vermeiden. Auch ist „betreutes Kuratieren“ der Tod der documenta, dafür finden sich keine hochrangigen Kuratoren. Das Wesen der documenta ist die Freiheit. Und auch die Besucher brauchen niemanden, der ihnen qua staatlicher Autorität sagt, was gefährlich ist an der Kunst, die gezeigt wird.
Im übrigen warte ich noch auf die Antwort des Expertengremiums an der Fundamentalkritik, die in ZEIT ONLINE an der „Wissenschaftlichkeit“ seiner Arbeit geübt worden ist.
Prof. Bude und Prof. Mendel haben eine Chance, zur Versachlichung der Debatte beizutragen, nachträglich.
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W.K.K.: Glauben Sie, dass es notwendig ist, Veränderungen in der Geschäftsstruktur der documenta gGmbh, beispielsweise bei den Verantwortlichkeiten des Aufsichtsrates, der Findungskommission, im Verhältnis der Geschäftsführung zur künstlerischen Leitung zu initiieren?
H.E.: Nein. Die Verantwortlichkeiten sind klar. Die künstlerische Verantwortung liegt ausschließlich bei den Kuratoren, Organisation und Finanzen bei der Geschäftsführung, dem Aufsichtsrat und den Gesellschaftern. Jeder muss seine Verantwortung wahrnehmen, keiner darf sich in den Bereich des anderen einmischen.
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W.K.K.: Soll der Bund Gesellschafter werden? etc …
H.E.: Das muss zuerst der Bund für sich selbst entscheiden. Kassel aber darf nichts von seinen 50 % Gesellschafteranteile abgeben. Das ist die einzige Garantie dafür, dass die documenta in Kassel bleibt.
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W.K.K.: Insbesondere DIE GRÜNEN fordern ja solche Veränderungen, u. a. im 5‑Punkte-Plan von Frau Roth. Oder die Alt-Grünen stellen sich eine andere documenta-Zukunft vor, fordern neue Strukturen, mehr Öffentlichkeit und einen Beirat für die Kuratoren. Reinhold Weist hat ein Papier verfasst zur Be- und Aufarbeitung nach der d 15. Festzustellen ist, dass die Politik und einige Interessenverbände mehr und mehr Einflussnahme auf die Institution documenta wünschen.
H.E.: Der Vorschlag von Frau Roth, der documenta eine ähnliche Struktur wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu verpassen mit Aufsichtsgremien, in denen alle möglichen gesellschaftlichen Gruppen vertreten sind, wäre der Tod der documenta. documenta ist frei und radikal subjektiv. Darin liegen ihre enormen Chancen, aber auch ihre großen Risiken. Wer keine Risiken will, kann keine documenta machen.
Die Vorschläge mancher, keineswegs aller Grünen, zeugen von der Unkenntnis der documenta. Sie würden die documenta ruinieren. Und staatlicher und politischer Einfluss hat in dem Weltkunstereignis nichts zu suchen.
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W.K.K.: Sie haben gekämpft für die documenta wie kein anderer. Ich erinnere an Ihre Stellungnahme gemeinsam mit Wolfram Bremeier, Bertram Hilgen und Christian Geselle. Sie haben auch zahlreiche Interviews in der überregionalen Presse gegeben. Sie sind aus der Deutsch-Israelischen Gesellschaft ausgetreten…
Sie haben eine Bekenner-Petition mit dem Titel: DOCUMENTA FIFTEEN: DANKE! mit Dr. Wendelin Göbel initiiert, mit dem Ziel einer Würdigung der documenta fifteen. Die Petition hat 1.753 Unterstützer. 1.309 aus dem Regierungsbezirk Kassel plus 426 Auswärtige.
Sie haben eine WebSite in Form eines Bürgerforums gemeinsam mit Prof. Siebenhaar eingerichtet. „Bürger-Bündnis – d15.de“. Die HNA mit Frau Fraschke, Herrn Lohr und Herrn von Busse, haben saubere und gut recherchierte Beitrage gebracht. In der Debatte waren aus Kassel Christian Kopetzki und Miki Lazar populär vertreten.
H.E.: Die documenta braucht viele engagierte Verfechter, sonst wird sie nicht überleben.
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W.K.K.: Kunst und Politik sind seit jeher untrennbar miteinander verbunden, und doch stellen sie ihr Verhältnis wechselseitig immer wieder neu in Frage. „Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit“, vermerkte Friedrich Schiller. Ohne Freiheit keine Kunst. Wie politisch ist Kunst in Deutschland? Und wo sind der Kunst Grenzen gesetzt?
H.E.: Ich will Schiller widersprechen. Auch in Diktaturen gibt es Kunst. Das hat uns die documenta fifteen, z.B. mit der Präsentation von Kunst aus Kuba gezeigt. Diese Kunst ist meist direkt politisch, agitiert gegen die bestehenden Verhältnisse, die Künstler verstehen sich zugleich als Aktivisten.
Und doch hat Schiller auch Recht. Kunst, die in Freiheit gedeiht, ist niemals eindeutig, niemals einfach agitatorisch, sie ist komplex, lässt verschiedene Deutungen zu. Um diese Kunst zu retten, müssen wir auch in Deutschland, auch für die documenta um die Kunstfreiheit kämpfen, wie sie Art. 5, 3 des Grundgesetzes garantiert. Nur dort, nur am Schluss im Strafrecht liegen die Grenzen der Kunst, nicht z.B. bei den Erwartungen gesellschaftlicher Interessengruppen.
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W.K.K.: Wie bewerten Sie das Spannungsverhältnis von Kunst und Politik?
H.E.: Kunst ist niemals affirmativ, sie bejubelt nie einfach bestehende Verhältnisse. Sie befragt sie auf ihre negativen und positiven Möglichkeiten. Insofern ist sie gegenüber Politik, die meist auf irgendeine Form von Bewahrung des Bestehenden gerichtet ist, subversiv. Das spüren die politisch Verantwortlichen, deswegen versuchen sie, die Kunstfreiheit einzuschränken, in Diktaturen sowieso. Aber auch in Demokratien gibt es diese Versuchung.
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W.K.K.: Hat Kunst heute einen Einfluss auf die Gesellschaft? Haben Künstler Einfluss auf die politische Debatte in Deutschland? Denken Sie, dass die aktuelle politische Situation einen großen Einfluss auf die Kunst hat?
H.E.: Ich sehe nicht, dass Künstler gegenwärtig stärker Einfluss auf die politische Entwicklung zu nehmen versuchen. Zu Willy Brandts Zeiten z.B. war ihr politisches Engagement sehr viel größer und sichtbarer. Brandts Friedenspolitik und sein Einsatz für den „globalen Süden“ regten die Fantasien aller an, die über die bestehenden Verhältnisse hinaus denken wollten.
Umgekehrt gibt es heute eine Tendenz der Politik und einzelner gesellschaftlicher Gruppen, die Kunst- und die Meinungsäußerungsfreiheit einzuschränken. Die Diskussion um die documenta fifteen war — und ist z.T. immer noch — ein besonders erschreckendes Beispiel dafür.
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W.K.K.: Was sagen Sie als Politiker zur derzeitigen politischen Lage? Leben wir in einer gespaltenen Gesellschaft? Die Situation wirkt verfahren, die Lager zerstritten, der gesellschaftliche Diskurs gespannt. Haben Sie eine Idee, wie wir dort wieder herauskommen?
H.E.: Wir leben in einer Gesellschaft, die zunehmend diskursunfähig wird. Man denkt immer mehr nur noch in Schwarz-Weiß, Grautöne, vermittelnde Positionen scheinen immer weniger Chancen zu haben. Gegensätze, Unvereinbarkeiten können offenbar immer noch friedlich ausgehalten werden. Das aber ist erst Demokratie in Bestform. Wie wir aus dieser Verhärtung wieder herauskommen? Sprachlich abrüsten, geduldiges Zuhören, Nachdenken und unaufgeregtes Argumentieren — mehr fällt mir dazu nicht ein. Hoffentlich reicht das auf Dauer.
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W.K.K.: Grundsätzlich stellt sich die Frage: Träumen Sie von einer homogeneren Gesellschaft? Sollte es überhaupt ein Ziel sein, zu einer einigenden Gesellschaft zu kommen? Oder sollten wir im Sinne einer Vielfalt vielmehr lernen, mit Unterschieden konstruktiv umzugehen?
H.E.: Die Schere zwischen arm und reich hat sich viel zu sehr geöffnet bei uns, aber auch weltweit. Das müssen wir dringend ändern, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu bewahren und wieder zu stärken. Kulturelle, ethnische, weltanschauliche Vielfalt dagegen ist Reichtum, wir müssen sie entfalten, kreativ nutzen, keinesfalls zwangsweise einschränken. So machen wir das Zusammenleben im globalen Dorf lebenswert. Davon handelte übrigens auch die documenta fifteen.
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W.K.K.: Kann Kultur dabei helfen, diese Widersprüche und Spaltungen zu überwinden? Ist es überhaupt Aufgabe von Kunst, gesellschaftliche Wunden zu heilen oder wäre diese Erwartung nicht vielmehr eine heillose Überforderung? Oder sollte Kulturpolitik unter Umständen sogar mehr Gewicht in der politischen Landschaft haben?
H.E.: Bei Kunst und Kultur geht es um den kreativen Umgang mit Widersprüchen. Eine von diesem Verständnis geprägte Kulturpolitik sollte eine viel größere Rolle in unserem Zusammenleben spielen. Aber überstrapazieren darf man seine Erwartungen an ihre glück- und friedensstiftende Wirkungen nicht.
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W.K.K.: Wir bedanken uns bei Ihnen für das Gespräch.
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Nachstudie zur documenta fifteen
6. bis 8. Dezember 2022
Zweieinhalb Monate nach Ende der documenta, vom 6. bis 8. Dezember 2022, hat Achim Müller vom IKMW Berlin Kassel noch einmal für eine Feldforschung besucht: Was ist von der documenta fifteen geblieben?
Gefragt wurde sowohl an den zentralen Orten der Documenta Fifteen, dem ruruHaus und dem Friedrichsplatz, als auch an „Außenspielstätten“: am „Kulturbahnhof“, an der Holländischen Straße, am Wesertor, in Bettenhausen und beim Bootshaus Ahoi. Die spontanen offenen Interviews richteten sich auf zwei grundlegende Fragen: Was von der documenta fifteen positiv wie negativ in Erinnerung geblieben war und welche Bedeutung die Documenta insgesamt für das Leben der Befragten und Kassel hat. Für eine einfache soziokulturelle Einordnung wurden auch danach gefragt, was die Befragten am liebsten in ihrer Freizeit taten.
Bei der Auswahl der Befragten wurde darauf geachtet, Menschen verschiedener Altersgruppen, verschiedenen Geschlechts und unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit anzusprechen. Dokumentiert wurden auch abgelehnte Gespräche, um ein vollständiges Bild von der Resonanz der Documenta bei Menschen im öffentlichen Raum von Kassel zu dokumentieren.
Dienstag, 6. Dezember 2022
Vor dem ruruHaus
M/58 J./Kassel/Mittlere Reife
M: Und wenn ich mir das angucke, da muss man wirklich mal die Mitglieder von diesen alten Schuldkomplexen mit dem Nationalsozialismus… Und wenn das da der August Bode wüsste, der die geschaffen hat. Ich kenne seine Nachkommen, die in Kassel wohnen, in Wilhelmshöhe. Das ist nicht das, was er gewollt hat. Und wenn documenta, dann hier. Nicht in Griechenland oder wo. Der August hat das hier gemacht. Und nicht so ein Pipifax. Das ist nichts. Und das kostet euch in den nächsten fünf Jahre eine Menge Leute. Weil die Leute es satt haben. Es gibt genug Theater in der Welt, und dann braucht man das nicht. Wenn man sich Kunst angucken will, dann braucht man das nicht. Dann muss man früher gucken, wenn man da holt, und dann muss man besprechen. Denn ich denke ja, dass die ausstellenden Künstler eingeladen werden. Dann kann es ja nicht sein, dass die einen mit den Palästinensern, der eine mag keine Juden – Pipifax; Kinderkram. Erwachsen werden. Kunst machen, ausstellen, und gut.
I: Was machen Sie sonst in Ihrer Freizeit am liebsten?
M: Ich bin Rentner, ansonsten Fußball. Ein bisschen Feuerwehr. Und Musik, Musikfestivals
Verweigerung:
Weihnachtsmarkt Friedrichsplatz
F und F/20-30 J., slawischer Akzent
Wollten die documenta zwar sehen, haben sie dann aber nicht besucht – nach Aussage einer der beiden Frauen, weil die Tickets zu teuer waren.
Weihnachtsmarkt Friedrichsplatz
F1 und F2/70-80 J./Kassel/Mittlere Reife
F1: Das ist die documenta gewesen, eine Kunstausstellung, und da müssten sie es alles lassen. Das kann man so sehen und so sehen. Wo man dann auch noch auf solche Sachen achten soll. Nee, das hat mit documenta nichts mehr zu tun, mit Freiheit. Fand ich nicht so gut.
I: Hatten Sie andere documentas schon gesehen?
F1: Ja, hatte ich. Immer. Der Beuys … das fand ich besser. Immer da gewesen. Aber das hat mir nicht, hat mir gar nicht … dass sie alles abgemacht haben, abgebaut haben.
F2: Ja, und manche Sachen haben sie ja gekauft, und sind geblieben.
F1: Was haben sie denn gekauft? Ja, gar nichts. Ich weiß nicht, den Obelisk haben sie ja damals gekauft, beim letzten Mal.
F2: Da am Hauptbahnhof, dieser… wie nennt es sich denn? Der auf dem schrägen… der hat einen bestimmten Namen.
F1: Der hat ja in der Aue gestanden. Viele Sachen, die schön waren. War OK. Aber jetzt, dass da so ein Streit, documenta und so ein Streit, zwischen den Künstlern.
Weihnachtsmarkt Opernplatz
M/28 J./Kassel/Mittlere Reife
I: Sie sagten, es war nicht so gut. Haben Sie Sachen gesehen auf der documenta?
M: Nee, dieses Jahr mag ich nicht. Es war halt nicht wie die letzten documentas in Kassel waren. Durch diese politische Sache auch, die dazwischengekommen ist. Das hat mich einfach genervt und das habe ich einfach nicht akzeptiert. Deswegen habe ich die documenta dieses Jahr ausgelassen.
I: Die davor haben Sie Sich angesehen?
M: Ja, habe ich mir angesehen. Das fand ich auch viel schöner. Dieses Jahr wurden ja nicht so Sachen aufgebaut, die … Bei den letzten documentas waren halt Sachen, die viel schöner waren, und interessanter waren.
I: Was machen Sie sonst am liebsten in Ihrer Freizeit?
M: In der Freizeit Sport, Fußball.
Weihnachtsmarkt Opernplatz
F/58 J/Kassel/Hochschulabschluss
I: Was ist Ihnen denn von der documenta in Erinnerung geblieben?
F: Viel, viel mehr Auseinandersetzung als sonst, im negativen Sinne. Die, wie ich fand, fatale Kampagne zum Antisemitismus, die man für einen Dialog hätte nutzen können – was ja ruangrupa und die Kollektive gewollt haben. Ich finde, es ist eine documenta der vertanen Chancen.
I: Hatten Sie vorher schon andere documentas gesehen?
F: Ja, natürlich. Kassel ist meine Wahlheimat, und deswegen immer wieder.
I: Wie sehen Sie grundsätzlich die Bedeutung der documenta für Kassel?
F: Das ist so das, wenn man international unterwegs ist, was Menschen, die Städte kennen, die größer sind als 200.000 Einwohner, überhaupt mit Nordhessen verbinden. Das ist das, was uns in die Welt trägt. So sehe ich das.
I: Was machen Sie sonst am liebsten in Ihrer Freizeit?
F: Ich bin sehr gerne unterwegs, in Kassel, um Kassel herum und auch ein bisschen weiter. Ich bin ein bisschen ökologisch, deswegen in Europa unterwegs. Ich treffe mich sehr gerne mit anderen Menschen, mit Freunden, und liebe es, dann zu kochen.
Verweigerung:
Weihnachtsmarkt Friedrichsplatz
M und M/30-40 J. und M und F/30-40 J.
Zwei junge Männer und ein junges Paar bleiben kurz stehen, haben aber die documenta nicht besucht und auch keine wirkliche Vorstellung davon, was die documenta ist.
Verweigerung:
Weihnachtsmarkt vor dem ruruHaus
F/40 bis 50/
Hat diese documenta – anders als vorherige – nicht besucht und will nicht interviewt werden.
Weihnachtsmarkt vor dem ruruHaus
M/28 J./Kassel/Hochschulabschluss, F/26 J./Kassel/Hochschulabschluss
I: Was ist von der documenta fifteen in Erinnerung geblieben?
M: Falscher Umgang, finde ich. Mit dem Gemälde, mit der Debatte um Taring Padi – finde ich den falschen Umgang. Gerade in Deutschland. Dass man es eher cancelt als im Raum zu diskutieren. Das wäre so mein Eindruck. Haben wir heute schon in der Stadt drüber gesprochen. Wenn man Sachen wiederherstellt, ist es, als wär’s kaschiert. Wenn man’s weghängt, ist es, als wär’s kaschiert.
F: Ich fand, das hing auch wie eine große graue Wolke über allem. Das ist auch, was mir immer noch in Erinnerung geblieben ist. Wir haben viel mit Studierenden zu tun, weil wir an der Uni arbeiten, und wenn man mit denen spricht, die neu nach Kassel gekommen sind: Da haben viele gesagt, sie seien bewusst nicht zur documenta gegangen.
I: Hatten Sie schon andere documentas besucht?
F: Ja.
M: Ich nicht.
F: Ich kenne die davor. Vielleicht was positives: Ich finde, dass die jetzige documenta weniger finanziell wirkte als die davor. Mehr kollektive Gedanken, mitmachen
M: Mehr mit dem Fokus auf einer kollektivierten Kunst aanstatt einer avantgardistischen, die so abgekapselt ist, für bestimmte Gruppen, die Geld haben. Es war viel niedrigschwelliger.
F: Auch weniger den Wert als Kunst, sondern Kunst als Happening. Aber auch gesellschaftliche, politische, kulturelle Themen aufgearbeitet, nicht einfach nur Ästhetik. Was ich auch gut fand, war der Standort im Kasseler Osten. Dass das auch stärker in das Stadtgeschehen eingebunden werden muss. Dass die da angefangen haben, Orte aufzuzeigen, mit denen man sich in den nächsten Jahren beschäftigen sollte.
I: Was machen Sie sonst am liebsten in Ihrer Freizeit?
F: Wir sind Architekten und Architektur Studierende. Unsere Freizeit bestimmt die Architektur.
M: In letzter Zeit viel Kino. Viel in den Programmkinos hier. Die brauchen ja auch Unterstützung.
Am Obelisken
M/67 J./Kassel/Mittlere Reife
I: Was ist von der documenta fifteen in Erinnerung geblieben?
M: Ich weiß nicht, wie die Kirche heißt, an der Leipziger Straße. Kunigundis-Kirche. Da war ich ziemlich beeindruckt. Also, die ganze documenta hat mir gut gefallen. Auch dass da für Kinder, dass da mal ein Spielplatz war. Das war ganz gut.
I: Hatten Sie andere documentas gesehen?
M: Ja, habe ich schon. Es ist schon die dritte oder vierte. 20 Jahre bin ich ungefähr hier, also die vierte documenta.
I: Und welche Bedeutung hat die documenta aus Ihrer Sicht für Kassel?
M: Ja, ich finde gut, dass das hier so ein Künstlerstandort ist und dass das alles organisiert wird von hier aus. Und ich finde, das Interesse ist da auch rege. Das organisieren immer irgendwie andere. So weit.
I: Was machen Sie sonst am liebsten in Ihrer Freizeit?
M: Ich bin Rentner, am liebsten gehe ich spazieren. Höre Musik.
Gesammelte weitere Verweigerungen vom 6. Dezember 2022
Am RuruHaus
- Zwei slawische Frauen – keine Zeit
- Nettes junges Paar von rechts nach links, auch keine Zeit
- Viele Menschen, die sich gar nicht ansprechen lassen, verschlossen herumlaufen oder mich ignorieren
Weihnachtsmarkt beim Karussel (Friedrichsplatz)
- Zwei junge Männer mit Akzent, 20-30, sehr freundlich, sagen erst, dass ihr deutsch schlecht sei, dann aber, weil sie die documenta nicht besucht haben
Weihnachtsmarkt beim Weihnachtsmann (Opernplatz)
- Dreiergruppe, zwei Männer und eine Frau, einfach, zwischen 30 und 40, haben die documenta nicht besucht
- Einzelner migrantischer Mann, mit Glühwein, hat zwar ein paar Sachen gesehen, will sich aber nicht darüber unterhalten, weil er sich mehr für Fußball interessiere
Mittwoch, 7. Dezember 2022
Leipziger Straße, Bushaltestelle vor dem Hallenbad Ost
M/20-30 J./Kassel
I: Was ist von der documenta fifteen in Erinnerung geblieben?
M: Dass ich Schwierigkeiten hatte, aus dem Bett zu kommen, auch zum Arbeiten. Aber an und für sich ist es nicht schlecht gewesen. Aber die Musik von hier war ziemlich laut. Das hätten sie ein bisschen leiser machen müssen.
I: Haben Sie Sich auch etwas angeschaut?
M: Ja, ich hab mal da und mal da geschaut. Also schlecht war’s nicht, muss ich sagen. Viel Spaß gehabt.
I: Haben Sie Sich andere documentas schon angesehen?
M: Nein, noch nie, ehrlich gesagt
I: Hat es für Sie irgendeine Bedeutung, dass es die documenta gibt?
M: Ehrlich gesagt: Leider nein.
Hallenbad Ost
M/49 J./Kassel/Hochschulabschluss
I: Was ist für Sie von der documenta geblieben?
M: Bei uns am Ort ist natürlich auch ein bisschen so der Spirit geblieben. Wir hatten gestern hier eine Kunstausstellung von dem Saki, das ist einer von dem Sobat Sobats gewesen. Das poppt immer wieder auf, das Thema. Da wird natürlich auch gewitzelt. Ich bin ja jetzt auch Kurator, und dann so: „Hast Du denn auch geguckt, ob da jetzt Antisemitismus auf dem Bild, in der Bildsprache, zu finden ist?“ Das ist jetzt ein Witz. Nein, das Thema hängt natürlich von der d15 noch nach. Leider. Aber auf der anderen Seite haben die Kollegen dieses Bild hier vergessen. [lacht] Wir haben es mal hier hingehängt, und würden es auch sofort abgeben. Aber vielleicht ist es ja auch eine ganz nette Anekdote. Passt auch wunderbar hierher. „Die Wasser des Lebens“ oder so, so heißt das ungefähr. Was haben wir sonst noch hier am Ort? Wir haben hier diesen „Reflecting Point“, was ja so eine Parallelarbeit vom Bund der Architekten war, das steht immer noch. Gestern zum Beispiel ist ein Besucherin, eine Kunstliebhaberin, angekommen und hat gesagt: „Wir haben ein documenta-Kunstwerk, [Name des Werks], hieß das glaube ich, das wollen sie auf einem Privatgrundstück aufbauen, und die brauchen einen Bauantrag für einen Schuppen. Solche Begegnungen und Anekdoten.
I: Sie sagen, sie hätten gestern noch darüber gewitzelt. Wie stark sind denn diese Debatten noch in den Köpfen?
M: Also in Kassel war ja immer das Verhältnis ein bisschen anders zu dem Thema, als es bundesweit debattiert worden ist. Wir haben uns eher, schon während der documenta, angeguckt: Was nimmt denn die Auslandspresse eigentlich wahr. Und da ist ja gerade letzte Woche auch rumgegangen in den Social Media, dass ruangrupa in New York auf dem ersten Platz beim wichtigsten Influencer auf dem Kunstmarkt – ich weiß nicht so genau. Aber sowas wird natürlich diskutiert. „Wir haben es ja immer schon gewusst.“ Und wir standen ja auch immer – „wir“ heißt die Kasseler Kunstszene … Ich glaube, dass da nicht allzu viele an der Intention von ruangrupa gezweifelt haben. Dass da einige Bilder sehr unglücklich waren, das steht außer Frage. Das ist immer noch in Gesprächen immer wieder mal Thema. Es gibt ja verschiedene Initiativen, die sich auch im Jahresrückblick damit beschäftigen. Ob man da eine Jahresabschlussveranstaltung hier im Haus macht, oder der Runde Tisch der Kasseler Kulturgesellschaft, da wird das auch aufgearbeitet, darüber gesprochen. Das ist im Moment noch Thema. Ich bin gespannt, wie das im Rückblick in drei, vier, fünf Jahren aussieht. Ob dann sich dann die Meinung von außen, dass wir es übertrieben haben mit dem Thema Antisemitismus, dass es eigentlich viel wichtigere Themen gab auf der documenta, die leider sehr in den Hintergrund geraten sind – das wird sich hoffentlich durchsetzen.
I: Ich bin gerade dabei, hier einen Rundgang zu machen: St. Kunigundis, Sandershaus, Hübner Areal, hier. Haben Sie den Eindruck, dass das hier vor Ort, bei den Menschen, die hier leben, etwas verändert hat?
M: Also bei den Kulturschaffenden vielleicht, hier rundrum – Sandershaus, Agathenhof weiter hinten. Bei den Bewohnern kann ich die Frage nicht beantworten. Weiß ich nicht. Muss ich passen.
Verweigerung:
Bettenhausen Dorfplatz
M und F/20-30 J.
Bleiben kurz stehen. Beim Wort „documenta fifteen“ sagt der junge Mann mit Kapuzenpulli „Oh, bitte nicht!“ und geht wütend weiter.
Bettenhausen Dorfplatz
M/ca. 30 Jahre, F/ca. 50 Jahre/beide aus Kassel, beide scheinbar obdachlos.
I: Was ist Ihnen denn in Erinnerung geblieben von der documenta fifteen?
M: Also, ich habe mit die documenta fifteen an der … am Hallenbad Ost. So eine Art Naturkundemuseum war das. Das war mehr über historische Gesellschaften. Über frühere, von älteren Generationen, die vor uns gelebt haben. So eine Art Neandertaler. So was in der Art. Das habe ich mir angesehen. Auch so ein Art indianisches Gebäude war da, aus Holz. Da waren auch Musiker, die haben da Musik gespielt.
F: Genau, unser Kollege, hier. Der [Name], mein Kollege hier, aus [Land], der spielt wunderbar [Instrument], der spielt ohne Noten. Der war früher Orchesterchef, hier [Name Band], ist leider obdachlos, unser [Name], der schläft heute da, morgen da. Keine Wohnung. Platz verloren, Katastrophe. Aber wir wollen über die documenta sprechen. Ich war auch da, Hallenbad Ost. Da waren diese Pappfiguren, interessant. Alle Nationalitäten. Musste erst mal sehen: Was ist das hier? Türkisch, und chinesisch. Hier, Kung Fu Fighting. Es war recht interessant. Ich war dort wegen meinem Kollegen. Der hat wunderbar Geld gemacht. [Musikstück] spielt der. Publikum hat angebissen. Der hat Geld gemacht, 20 Euro und noch mehr. Da haben wir uns was gekauft. Zu essen und was man so braucht. Das wär’s dann von der documenta.
Verweigerung:
Vor der Kirche St. Kunigundis
M/40 – 50J./starker Akzent, vielleicht nordafrikanisch, vielleicht aus dem Nahen Osten
Freundlich, wollte aber nicht aufgenommen werden. Sagt sofort: „Die schlimmste documenta. Die Bilder, die die hier gezeigt haben…“ [zeigt auf St. Kunigundis]. Wohnt in Kassel, hat schon viele documentas gesehen. Tenor: „Früher, in der Innenstadt … alles viel schöner. Überall Sachen. Und diesmal – ich weiß nicht, was sich die Politiker dabei gedacht haben. Alles ganz furchtbar.“
Tankstelle am Sandershaus
M/50 bis 60/starker Akzent
I: Was ist von der documenta fifteen im Sommer in Erinnerung geblieben?
M: Die hier auch gewesen ist? Das Problem ist: Ich war gar nicht dabei. Wo arbeiten in drei Schichten, keine Zeit. Also ich war gar nicht da, aber ich glaube, war gut. Meine Frau war glaube ich ein paar Mal da. Aber sonst, ich war nicht da. Keine Ahnung, das ist die Wahrheit. Weil, wenn Du arbeitest drei Schichten, hast Du keine Zeit. Ich musste das Wochenende auch arbeiten, und dann Katastrophe. Aber es gibt Leute, die haben das mitgemacht, gesehen. Was ist neu, was sich verändert. Aber ich nicht. Du weißt ja, heute ist es schwierig. Deinen Job behalten, zum Leben. Schwierig.
I: Hätten Sie es Sich gerne angesehen?
M: Ja. Vor jetzt drei Jahren, früher. Da ich habe frei gehabt, da war die Firma… Im Sommer. Das ist das Problem im Sommer. Entweder arbeitest Du oder bist Du zuhause. Und da war was gekommen, ich hatte was mit Füßen, und ich war zuhause. Aber ich konnte laufen, ich konnte gehen, wo ich will. Da ich war überall. Jetzt vor vier, dreieinhalb Jahren. Da war ich überall, Friedrichsplatz, überall. Das war gut gewesen. Aber dieses Jahr war es komisch. Das weißt Du auch, brauche ich Dir nicht zu sagen. Wenn Du keine Zeit hast, Früh, Spät, Nacht, drei Schichten. Das ist nicht eine Woche – eine Woche, dass ist alle zwei Tage. Zwei Tage früh, zwei Tage spät, weißt Du. Da kommst Du nicht. Deswegen wirklich, ich habe das gar nicht mitgekriegt.
I: Aber ist es trotzdem gut, dass es das gibt?
M: Natürlich! Man lernt. Neue Erfahrungen! Wie Ökologie – wie wechselt … Wie Du sagst. Dieses Jahr… Aber wie meine Frau sagt: Das hat sich nicht so 100% verändert. Das ist ein bisschen ähnlich geblieben. Ein bisschen vielleicht, so ein großer Unterschied ist nicht. Hier habe ich das gesehen: Manchmal rede ich mit dem, der hat das gesehen. Der hat gesagt: Vielleicht 10% geändert. Ich verstehe auch nicht so viel von diesen Sachen. Wie soll ich Dir sagen? Es ist schwierig.
Aber wenn Du hier suchst nach Erfahrungen, es ist auch schwer, hier Leute zu kriegen. Hier, siehst Du, ist Katastrophe. Hier sammeln sich nur Autohändler, die Schrott machen. Keiner interessiert. 100%. [lacht] Deswegen, Leute, die das gesehen haben – ich kann Dir nicht versprechen. So richtig: Wer hat mitgemacht? Das kann ich Dir nicht sagen.
In dieser Zeit ist es schlimm geworden. Alles teuer geworden. Man macht seinen Job, Geld bleibt oder nicht bleibt. Wir haben Kurzarbeit. Katastrophe. Und deswegen hast Du kein richtiges Interesse für neue Sachen. Du musst erstmal klarkommen, mit Deinem Leben. Jetzt hast Du das, das, das… vielleicht Urlaub. In Deinem Kopf hast Du immer: wie soll ich das finanzieren. Das lässt die Menschen nicht, wie Du sagst, schön in Ruhe: Mal sehen, mitmachen, alles sehen.
Aber die Leute, die dabei sind. Ich glaube, die meisten von außen. Von Kassel vielleicht – meine Meinung – 10%, vielleicht 15%. Wie hab ich das mitgekriegt? Ab und zu gehe ich hierher zum Tanken. Da war es jeden Tag voll mit Leuten. Das merkst Du sofort, das sind Fremde. Aber das war richtig voll. Von Montag bis – ich glaub, das geht bis Sonntag abend. Die haben sich überall gesammelt hier, aber ich glaube, von Kassel wenig. Die sind alle von außen. Berlin, Mannheim, Stuttgart, Leipzig, überall. Aber aus Kassel ich glaube 10%. Weil Leute haben Probleme mit Leben. Hier die meisten Hartz IV, wenige Jobs. Du hast zwar einen Job, aber trotzdem kannst Du keine Familie ernähren. Da musst Du wieder Staat. Papier ausfüllen. Monatsrechnung schicken. Abwarten. Stressig. Diejenigen, denen es gut geht: Ich glaube, die haben das mitgemacht. 100%. Hier aber… kann man nichts ändern. Wie kannst Du die Lösung suchen? Schwierig. […] Dahin oder gehen wir lieber einkaufen. Da siehst Du, was da läuft: Deswegen haben die Leute kein Interesse zur documenta, oder irgendwas neues. Hauptsache Essen, dass man auf seine Reihe kommt. Wenn man Ruhe hat, und wenn ich versuche – wie Du sagst, es ist documenta, oder irgendwas mit Wissenschaft. Ich sag nur, das interessiert mich, aber ic habe keine Ruhe. Das heißt: Auch wenn Du das mitmachst, reagierst Du nicht so.
Gehweg vor dem Bootshaus Ahoi
M/36 J./Kassel/Hochschulabschluss
I: Was ist Ihnen von der documenta in Erinnerung geblieben?
M: In Erinnerung – die vielen Menschen, die hier im Viertel waren und das Viertel belebt haben. Der Lumbung-Gedanke, also dieses Miteinander. Das lebhafte Kunst-Erleben, wenn ich das mal… also, dass viele Veranstaltungen waren. Viele Zusammenkünfte, sage ich mal. Also es war richtig viel los, das ist mir in Erinnerung geblieben. Es war sehr freundlich, und … wie soll ich sagen … so auf Augenhöhe. Ich hatte selbst ein bisschen damit zu tun und hatte auch direkten Kontakt mit den Kuratoren. Das war sehr nett.
I: In welchem Rahmen?
M: Wir sind an der [Unternehmen] und hatten da ein paar Aufträge für die documenta, haben aber auch einfach Freundschaften geschlossen mit den Künstlern.
I: Hatten Sie auch schon andere documentas gesehen?
M: Ja, die davor und die davor. Also die 13 und 14.
I: Welche Bedeutung hat das insgesamt für Sie, die documenta in Kassel.
M: Insgesamt, nicht nur für diese? Ich würde schon sagen, dass das eine Bubble ist. Das ist schon, sage ich mal, dass nicht alle Kasseler daran partizipieren, aber ich würde schon sagen: Dass für die Stadt, die ja nicht so super viel bietet ansonsten, die documenta schon ein riesiger Gewinn ist. Ich finde das sehr sehr wichtig. [unverständlich wegen Nebengeräuschen] Ich finde es immer schön, wenn viel im Außenbereich stattfindet. Das fand ich … Ich hätte mir noch ein bisschen mehr in der Aue gewünscht, im Aue-Park. Da fand ich es ein bisschen wenig. Da finde ich es immer schön, wenn da viel – weil es ja auch im Sommer stattfindet – draußen stattfindet.
I: Was machen Sie sonst in Ihrer Freizeit am liebsten?
M: Sport. Und Musik. Singen.
Verweigerung:
Neben dem Flic-Flac-Zelt
F/25 – 35J.
Scheinbar polnischer Akzent, verstehen und sprechen so schlecht Deutsch, dass sie nicht interviewt werden sollten.
Verweigerung:
Weihnachtsmarkt
M/50 – 60J.
Spricht nach eigener Aussage nicht genug deutsch, um sich befragen zu lassen.
Weihnachtsmarkt
M/76 J./Jesberg/Mittlere Reife
I: Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben von der letzten documenta?
M: Vor allem diese Plakatwand mit diesen Riesenskandalbildern.
I: Haben Sie die noch gesehen?
M: Ja klar, ich war ziemlich am Anfang da.
I: Und wie haben Sie das Abhängen und die Diskussion darum wahrgenommen?
M: Na, ich betrachte es als künstlerische Freiheit und ich würde sagen, da sollte man nicht so empfindlich drauf reagieren. Meine Meinung.
I: Hatten Sie schon andere documentas gesehen?
M: Vorher? Ja, schon.
I: Aus Ihrer Sicht: Welche Bedeutung hat die documenta insgesamt für Sie und für Kassel?
M: Ich bin gerne unterwegs normalerweise. Ich hatte aber dieses Jahr im Sommer wenig Zeit, weil ich gesundheitliche Probleme hatte, deswegen nur ein so kurzer Aufenthalt.
I: Was machen Sie sonst am liebsten in Ihrer Freizeit?
M: Ich bin sehr viel am Computer, lese viel und gucke auch relativ viel fern. Mache auch lange Wanderungen durch den Wald.
Verweigerung:
Weihnachtsmarkt
M und W/beide 40 – 50J.
Wollen nicht bei ihrem Gespräch gestört werden.
Verweigerung:
Vor der Handwerkskammer
W/40 – 50J./ Kassel
Sagt, dass sie keine Ahnung von der documenta habe, die documenta noch nie gesehen habe. Musste die documenta immer mit der Schule besuchen und hat jetzt überhaupt nichts dafür übrig. Seitdem nicht da gewesen, deswegen auch nicht bei der documenta fifteen.
Werner-Hilpert-Straße, vor dem Hauptbahnhof
M/29 J./Kassel/Abitur
I: Was ist denn hängengeblieben von der documenta?
M: Ich bin nicht so derjenige, der in die Orte reingeht, ich gucke mir immer vor allem die offen stehenden Exponate an. Ich bin häufig am Rondell spazieren gegangen, bei dieser Installation im Wasser, und dem Gemälde, was bei dem Wasser hing. Das ist mir so spontan noch in Gedächtnis geblieben. Und natürlich, ein bisschen übergeordnet, der ganze juristische Presse-Sprech, der diesen Sommer über die documenta veröffentlicht wurde. Da war ja viel Nebenschauplatz der documenta, was es dieses Jahr auch gab.
I: Und haben Sie die documenta insgesamt als positiv oder negativ wahrgenommen?
M: Also das, was am Ende noch zu sehen war, fand ich jetzt nicht schlecht – also es war nicht negativ. Generell wird diese documenta nicht unbedingt als Pluspunkt gewertet, tatsächlich. Es wurde viel diskutiert. Dann wurde noch diskutiert, sie sollte abgesagt werden oder in Zukunft nicht mehr stattfinden. Ich glaube, es ist ganz gut, dass sie gesagt haben, wir machen es auf jeden Fall weiter. Aber es war definitiv kein gutes Jahr für die documenta.
I: Hatten Sie andere documentas schon gesehen?
M: Ja, vor fünf Jahren war ich schon mal hier, seitdem bin ich in Kassel.
I: Und was ist Ihr Eindruck, welche Bedeutung hat die documenta für das Leben in Kassel?
M: Da fällt mir spontan nichts zu ein. Es ist so: Die documenta ist eher so ein passiver Effekt. Man würde eher bemerken, wenn die documenta nicht mehr da wäre. Und zwar nicht durch das Jahr selber, wo keine documenta stattfindet, sondern einfach dadurch, dass in den anderen Jahren auch nicht viel gemacht wird. Ich glaube, die documenta hat erstmal einen positiven Effekt auf Kassel, und an Veranstaltungen, die dann auch da sind. Das nochmal anfügend, was hängenblieben ist: Mir fällt immer auf, wenn documenta-Sommer ist, wie viel für Besucher noch frei gemacht wird. Dann ist hier noch ne Veranstaltung, ne Ausstellung, die frei gemacht wird, wo man sich nett zusammensetzen kann. So etwas kommt auch immer gerne durch die documenta. Das fehlt Kassel sonst tatsächlich.
I: Was machen Sie sonst am liebsten in Ihrer Freizeit?
M: Ich bin tatsächlich sehr viel gerne am Computer, ich fahre gerne draußen mit dem Fahrrad, und ab und zu gehe ich mal klettern.
Straßenbahnhaltestelle vor Trafohaus
W/31 J./Kassel/Mittlere Reife, Krankenpflegerin
I: Was ist denn in Erinnerung geblieben von der documenta?
W: Leider war ich nicht da im Sommer. Eine Woche oder so. Ich war in Mannheim.
I: Und haben Sie von der documenta etwas mitbekommen?
W: Eigentlich nicht.
I: Wohnen Sie in Kassel?
W: Ja.
I: Hatten Sie von früheren documentas etwas mitbekommen?
W: Ich glaube … Nein. Über meine Arbeit – Foto – meine Kolleginnen, ja. Aber ich nicht.
Verweigerung:
Straßenbahnhaltestelle vor Trafohaus
M/20 – 30J./Szene-Sportkleidung, vielleicht Transgender
Weist Ansprache brüsk ab.
Donnerstag, 8. Dezember 2022
Stadtteilzentrum Weserstraße
M/32 J./Kassel
I: Was ist denn so von der documenta geblieben?
M: Na, ich habe ja auch Bänke und so gestaltet hier. Und es ist ja auch nicht mehr viel übrig von der documenta hier. Das wurde alles wieder abgebaut, weggemacht, weggeräumt. Viel kann ich nicht dazu sagen.
I: Sie sind Teil von dem Team hier?
M: Ja, genau.
Stadtteilzentrum Weserstraße
M / 29 J./ Kassel/Mittlere Reife
I: Was ist denn so in Erinnerung geblieben von der documenta?
M: Viele Sachen, nicht so gute Sachen. Ganz viele rechtsradikale, antisemitische Äußerungen. Hier in Kassel sehr extrem. Das ist auch für mich hier in Kassel sehr extrem.
I: Also nicht nur von der documenta, sondern insgesamt.
M: Ja, genau. Ich finde, mit der documenta ist es auch nochmal ziemlich deutlich geworden, was Kassel davon hält und wie es sich da positioniert. Was ich echt schade finde, weil ich sie mir gerne angeguckt hätte, aber ich dann für mich gesagt habe: Das sind Gründe, das nicht zu unterstützen.
I: Sie haben die documenta dann auch selber gar nicht besucht, auch nicht die Sachen, die hier nebenan waren?
M: Also hier nebenan tatsächlich… da drüben waren immer Veranstaltungen, die kriegt man dann ja auch immer mit. Hier war das immer OK. Hier ist ein geschützter Rahmen, hier würde so etwas auch gar nicht akzeptiert. Das waren schon schöne Veranstaltungen, auch die Leute, die hier waren, auch da hinten im Hofgarten.
I: Hatten Sie vorherige documentas schon mitbekommen?
M: Ja, bei der vorherigen documenta war ich da, da war ich auch selber ein Teil eines Ausstellungsprojektes, da ging es auch um Kassel, um viele unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Herkünften, auch transsexuell zum Beispiel. Da wurde ich gefragt, ob ich mich mit Bildern, also den Entwicklungsweg … das war eigentlich gar nicht schlecht, da habe ich mich gefreut, dass es dieses Jahr wieder… aber…
I: Wenn Sie das insgesamt betrachten: Können Sie sagen, welche Bedeutung die documenta in Kassel oder auch für Sie, in Ihrem Umfeld, hat?
M: Weiß ich nicht. Kann man ja jetzt nicht sagen. Man weiß ja auch nicht, ob das jetzt noch mal hier stattfindet. Eher ja nicht. Was ja nachvollziehbar ist, was ich sehr traurig finde, weil sich Kassel sehr gut dafür geeignet hat.
I: Was machen Sie sonst am liebsten in Ihrer Freizeit?
M: Musik.
Waschcenter am Wesertor
M/ 23 J. /Kassel/Hochschulabschluss
I: Was ist denn von der documenta in Erinnerung geblieben?
M: Leider bin ich erst im November hierhergezogen, deswegen bin ich nicht zur documenta gegangen. Aber ich weiß [kenne] die Institution der documenta, und es ist sehr schade für mich, dass ich die documenta nicht mehr sehen kann.
I: Was für ein Bild haben Sie aus den Sachen, die Sie gehört haben? Was für ein Bild von der documenta ist für Sie entstanden?
M: Ich habe gehört, dass die documenta eine große Ausstellung ist, wo viele Leute ihre Meinungen und Werke mitteilen. Für politische Meinungen und Kultur, auch für Diskussionen über Städte und über den Menschen. Das ist, was ich gehört habe.
I: Was machen Sie am liebsten in Ihrer Freizeit?
M: In der Freizeit mag ich ins Fitnessstudio zu gehen, Filme schauen, ich gehe oft in den Filmpalast, und Musik hören. Und ich mag Kochen.
Am Wesertor
M/60 bis 70 Jahre/Kassel
Verweigert die Aufnahme des Gesprächs, gibt dann aber ein längeres Interview.
Sagt, dass er diese documenta aus politischen Gründen weitgehend boykottiert habe – weil er der Meinung war, dass man die antisemitischen Karikaturen nicht hätte zeigen dürfen. Dass der Umgang anders hätte sein müssen. Ruangrupa selbst nimmt er in Schutz: Aus seiner Sicht seien das Indonesier, die wahrscheinlich unseren Umgang mit Antisemitismus, den wir aus unserer Geschichte haben und haben müssen, nicht kennen können. Aber man hätte es aus dieser Geschichte sowohl vor der documenta als auch nach Beginn der documenta handhaben müssen, die Diskussionen offensiver führen müssen. Er glaubte auch den Besuchszahlen nicht, er hatte auch im Vergleich mit früheren documentas den Eindruck, dass deutlich weniger Menschen, vor allem aus dem Ausland, in seinem Umfeld am Wesertor waren. Er war sehr dezidiert: In Indonesien, das ist ein anderes, ein muslimisches Land. Andere Themen, andere Sensibilisierung, auch andere Geschichte mit dem Antisemitismus als in Deutschland – er kenne das Land nicht und könne das nicht einschätzen. Aber in Deutschland würde er solche Dinge aber eben nicht sehen wollen, und darauf hätte man klarer, eindeutiger und direkter reagieren müssen. Ruangrupa seien überrumpelt von dieser Diskussion, sieht Verantwortung bei Claudia Roth, die aus seiner Sicht zu spät reagiert habe.
Außerdem wünscht er sich eine bessere Streitkultur in Deutschland. Mehr Austausch, mehr kontroversen Austausch auf Augenhöhe.
Er spricht sich auch gegen Politisierungen aus. Aus seiner Sicht war es eine „schräge“ documenta, die so stark politisiert gewesen sei. Aber er sehe das auch insgesamt, alles sei politisiert, er spricht auch Fußball an. Man wolle vielleicht mal wieder Kunst sehen oder Fußball, ohne eine politische Metadebatte dazu – das würde er sich auch für die documenta wünschen.
Verweigerung
Vor Berufsschule am Wesertor
M1 und M2/knapp 20/Berufsschüler
Haben von der documenta nichts gesehen, weil sie nicht aus Kassel kommen.
Verweigerung
Zeughausstraße
M/Ende 40
Ist heute zum ersten Mal in Kassel und kann mir nichts zur documenta sagen.
Verweigerung
Untere Königsstraße
M und F/60 bis 70 J.
Schlecht gelaunt, zögert kurz, M grummelt: „Ah die wollen was wissen.“ und geht weiter.
Verweigerung
Untere Königsstraße
M1 und M2/20 bis 30 J.
Gut gelaunt spanischsprechend, antworten fröhlich „No entiendo.“ und ziehen weiter.
Verweigerung
Königsplatz
F1 und F2/20 bis 30 J.
Zwei junge Frauen mit Kindern auf dem Weihnachtsmarkt, wollen nicht beim Glühweintrinken gestört werden.
Verweigerung
Friedrichsplatz
F/50 bis 60 J.
Frau am Rande des Weihnachtsmarkt mit „schicken“ Einkaufstüten; murmelt etwas von „keine Zeit“, kramt in den Einkaufstüten und dreht sich um.
Verweigerung
Friedrichsplatz
M und F/25 bis 35 J.
Ehepaar mit Migrationshintergrund, wollen / können zur documenta nichts sagen, weil es sie nicht interessiert.
Verweigerung
Untere Königsstraße
F1 und F2/um 20 J.
Zwei schüchtern junge Frauen. Sagen, dass sie, außer dem, was offen zugänglich war, nichts gesehen haben.
Verweigerung
Friedrich-Ebert-Straße, Straßenbahnhaltestelle
F/20 bis 30 J.
Mit Koffer und schlecht gelaunt. Sagt, sie müsse zum Zug (wird später von Bekanntem von der Haltestelle abgeholt.
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W/25 J./
Abitur
Vellmar
Telefonisch
I: Was haben Sie gesehen von der documenta fifteen, welche Erfahrungen und Eindrücke sind in Erinnerung geblieben?
W: Ich finde, ich habe extrem viel mitgenommen. Nicht, dass ich sagen würde: ein besonderes Kunstwerk, oder so. Aber die allgemeine Stimmung hat mein Leben noch einmal aufgelockert, sage ich mal. Gerade nach der Pandemie war das extrem erfrischend, auch als junge Person. Ich habe direkt eine Dauerkarte geholt, und bin auch so häufig hingegangen, wie es irgendwie nur ging. Ich fand vieles eindrucksvoll: Die documenta-Halle fand ich wunderschön, ich fand auch das in der Unterführung schön, bei der Frankfurter Straße. Also dass es auch überall in der Stadt verteilt war und man viel erleben konnte, die Orte anders erleben konnte, als sie bisher waren.
I: War das Ihre erste documenta oder haben Sie schon andere erlebt?
W: So intensiv war das jetzt tatsächlich die erste. Ich war bei der letzten documenta, weil ich auch Kunst Leistungskurs belegt hatte, als ich Abitur gemacht habe. Da waren wir auch häufiger mal da, aber nicht dass ich gesagt hätte, ich habe mir eine Dauerkarte geholt. Die documenta davor war ich auch mal da, aber da bin ich ja noch relativ jung gewesen und hatte noch nicht so das Verständnis dafür, muss ich mal sagen. Aber jetzt war die erste, die ich so richtig erlebt habe, und wo ich mir alles angeschaut habe.
I: Wenn Sie die Eindrücke zusammenfassen, auch von anderen documentas: Was macht die documenta aus, als Ausstellung, als Institution?
W: Für mich wirklich dieses andere Lebensgefühl in Kassel. Das ist für mich wirklich der Hauptaspekt. Dadurch, dass man ganz viele Eindrücke sammeln kann. Ich bin auch in Kassel geboren, ich komme von hier. Ich weiß, wie das den Rest des Jahres hier ist. Es ist halt sehr erfrischend und hat einen ganz anderen Flair in die Stadt gebracht. Ich muss auch sagen, dass ich es sehr wichtig finde, dass man dadurch sehr viel lernt und neue Einsichten gewinnt.
I: Was sind denn sonst Ihre liebsten Kultur- und Freizeitaktivitäten?
W: Ich treibe schon ganz gerne Sport. Aber ich gehe auch extrem gerne ins Museum. Oder ins Theater. Das genieße ich schon immer wieder, muss ich sagen. Mache ich auch viel zu selten, aber ich versuche immer alles mitzunehmen. So wenn ein neues Theaterstück ist, was ich ziemlich interessant finde, oder mal in die Oper zu gehen. Also ich versuche schon, relativ viele kulturelle Sachen zu machen, auch mit meinem Partner zusammen.
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documenta fifteen: Danke!
Online-Petition für Künstler und künstlerische Leitung der documenta fifteen
Um Bürgerinnen und Bürgern ein Plattform zu geben, den Künstlerinnen und Künstlern der documenta und ruangrupa als künstlerischer Leitung zu danken, hat Dr. Wendelin Göbel die Online-Petition documenta-fifteen-danke eingerichtet. Bis zum 12.09.2022 haben 1.753 Unterstützer die Petition unterzeichnet. Auf der Seite können in 680 Kommentaren auch Bürger-Stimmen nachgelesen werden.
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W1/25 J./
Hochschulabschluss/
Witzenhausen
W2/19 J./
Abitur/
Witzenhausen
Am Hallenbad Ost
I: Was haben Sie schon gesehen, was ist von diesen Sachen bis jetzt hängengeblieben?
W1: Wir waren bisher in dieser St. Kunigundis-Kirche, bei der wurden Künstler aus Haiti ausgestellt. Hat mir von der Stimmung gut gefallen. Aber ich habe auch gemerkt, dass ich so von Voodoo noch gar nicht so viel weiß, dass ich das gar nicht so einordnen konnte. Aber ich finde es trotzdem interessant. Mir war das nicht so klar, dass das so eine Glaubensrichtung ist. Das war so meine Erfahrung.
W2: Ich fand das eher ein bisschen verstörend, muss ich sagen. Ich habe schon auch ein bisschen ein Problem mit Skeletten und toten Körpern. Ich weiß nicht, ich musste mich da nicht so lange drin aufhalten. Aber so die Geschichte drum herum, wie das entsteht, zu den Menschen, fand ich schon auch spannend. Ja.
I: Und was steht heute noch auf dem Programm?
W1: Uns wurde noch dieses Hotel Hessenland empfohlen, dort hinzugehen. Und dann mal gucken.
I: Haben Sie ein Bild von der documenta, was das als Ausstellung ausmacht?
W1: Ich hatte vorher gemischte Sachen immer gehört. Auch, dass es viel, so um Bewegungen, um Bewegungen aus dem Untergrund, geht. Es gibt ja wohl auch so eine Fahrradtour, die man machen kann. Von so Orten, wo man sich dann verschiedene Projekte anschauen kann. So eine Gärtnerei, genau, so was. Würde ich sagen …
I: Könnten Sie mir sagen, was sonst Ihre liebsten Kultur- und Freizeitaktivitäten sind?
W2: Ja, Musik, würde ich sagen. Sonst so in Museen und Galerien gehe ich eher selten, oder auch Theater. Finde ich ganz cool, ja, aber das ist eher eine Seltenheit, würde ich sagen. Aber ich finde es schon spannend, mir das anzuschauen. Gerade, wenn es Themen sind aus der Zeit.
W1: Bei mir ist es glaube ich Kino und Film. Das mache ich am häufigsten.
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W1/25 J./
Abitur/
Kassel
W2/25 J./
Abitur/
Kassel
Im ruruHaus
I: Was haben Sie denn bis jetzt gesehen und was ist als Eindruck hängengeblieben?
W1: Ich habe fast alles besucht, bis auf drei, vier Ausstellungsorte, und hängengeblieben in dem Sinn, welche Kunst ich gesehen habe, oder was ich als Eindruck habe?
I: Was dir als erstes in den Kopf kommt.
W: Sehr, sehr viele Bildschirme, die man sich angucken konnte, sehr sehr viel Filme, die kommen mir als erstes in den Kopf. Teilweise gute Filme, aber teilweise auch einfach nicht abzuschätzen, man weiß nicht, wie lang die sind. Man sitzt dann da, man weiß nicht richtig, wie lange bleibe ich noch sitzen, wie lange muss ich noch. Aber ich habe bisher sehr gute Anregungen gefunden, zwischendrin. Da ist wahrscheinlich jeder Geschmack einfach unterschiedlich. Es gab eine sehr schöne Audio-Installation, die mir auf jeden Fall noch im Gedächtnis bleiben wird, und … genau. Sehr politische Ausstellung, die sehr sehr viele weltliche Probleme anspricht. Auch klimatische Probleme, und viel dokumentiert, finde ich. Ich finde, es ist sehr viel Dokumentation, nicht unbedingt Kunst.
W2: Ich habe noch nicht so viel gesehen, zeitlich nicht geschafft. Aber von dem, was ich gesehen habe, sind es weniger Bildschirme, aber eher so … viel Buntes. Viel Farbe. Auf engem Raum. Viel Farbe auf engem Raum. Viel selbst gestaltetes von anderen Menschen, Kindern, auch anderen Menschen, die auch an diesem Projekt teilgenommen haben, gemeinsam was kreiert haben. Und das finde ich eigentlich sehr schön. Ich habe noch vor, mir noch was anzuschauen, heute und morgen. Aber das, was ich bis jetzt gesehen habe, hat mich schon beeindruckt. Ein bisschen viel, aber da muss man sich halt ein bisschen Zeit nehmen.
I: Und der Gesamteindruck von der documenta? Heute, aber auch, wenn Sie schon mehr davon wissen?
W2: Ich fand es sehr schön, dass es sehr verteilt über die Stadt war, so dass man als Besucher, aber auch jemand, der vielleicht auch aus Kassel kommt, nochmal neue Orte entdeckt hat. Sehr breites Bild von Publikum, das man in der Stadt auch mitbekommen hat. Weil das in Wohnvierteln lag, in der Innenstadt lag, in einem alten Kino war. Das fand ich irgendwo sehr schön, sehr angenehm. Eine sehr bunte Ausstellung, die glaube ich auch ein sehr unterschiedliches Publikum angezogen hat. Ich habe oft gehört, dass es sehr familienfreundlich war. Das finde ich gut und ziemlich schön auch. Auch die Idee, einen Kindergarten mitten in die Ausstellung zu packen und zu sagen: „Hier ist Raum für Kinder.“ Weil sie ja auch ein Mitglied der Gesellschaft sind, und einfach auch einen Platz zugewiesen bekommen sollten. Nicht so ein homogenes Kunstausstellungspublikum angezogen hat. Sehr international auch. Und sehr kollektiv, würde ich auch sagen. Vernetzen und viele zusammenführen. Viele Ansätze, die irgendwie antihierarchisch sind in der documenta. Finde ich auch sehr gut gewählt.
W1: Die Zugangsweise ist nahbarer als bei den documenta davor. Auch weil es eben strukturell schwächere Viertel sind, die eingebunden werden. Aber auch, weil es nicht auf Museen ausgelegt ist, die ausschließlich so White Room-Ausstellungskonzept verfolgen. Dass es auch viele Orte gibt, die einfach schon vorher als etwas anderes existiert haben, und nicht als Museen, renoviert wurden, oder das neue Orte entstanden, die dann Kultur zeigen. Auch vieles, was dem widerspricht trotzdem, die Institution, ganz anders ist als das Konzept.
I: Die Institution deckt sich nicht mit dem Konzept?
W1: Die Struktur der Institution deckt sich nicht mit der Struktur des Konzepts. Da hat man ja viel auch in den Nachrichten drüber gehört. Wo sich dann Sachen nicht umsetzen lassen. Sachen auch nicht angenommen werden von diversen Leuten. Ich habe auch viel gehört, dass häufig ältere Leute nicht so viel damit anfangen können, dass eben nicht dieses klassische „wir schauen uns Gemälde in einem Museum an“, sondern wir haben eben viel mehr diese Breite. Die beansprucht werden, und dann dementsprechend viele Leute damit auch nichts anfangen können. Aber würde schon sagen, die breite Masse ist schon eher angesprochen mit dem Konzept, weil es eben sehr kollektiv ist.
W2: Das einzige, was mir als Kritik gerade noch einfällt, die ich von älteren gehört hatte, ist, dass es sehr oft Sitzmöglichkeiten auf dem Boden gibt, oder Sitzsäcke. Oder dunkle Räume, man stolpert da rein, sieht die Kabelkanäle nicht. Das habe ich öfter gehört. Für junge Leute ist das kein Problem und hip, man ist da auf dem Boden und legt sich da schön in so ein Couch-ähnliches Ding rein. Das ist dann so eine Anregung, die man mitnimmt. Dass man doch offen für ganz viele Menschen, verschiedene Altersklassen ist, die unterschiedlich unterwegs sind.
W1: Ja, auf jeden Fall. Und die Beschriftungen von den einzelnen Kunstwerken ist auch sehr klein geschrieben oder hängt sehr weit unten, wo man dann als älterer Mensch nicht so …
W2: Und was ich auch noch schade finde, ist, dass man um viele Kunst zu verstehen, sich eigentlich diesen Führer, diesen documenta-Führer noch dazukaufen muss. Da ist von den Beschreibungen neben den Kunstwerken häufig nur eine Nennung des Materials, und kein Hintergrund, den der Künstler sich dabei gedacht hat. Das heißt, wenn man als Besucher herkommt, muss man erstmal die Kosten des Besuchs in Kauf nehmen, der Anreise, der Unterkunft, die zu diesen Zeiten wahrscheinlich auch nochmal teurer ist als normal in Kassel. Und dann nochmal obendrauf eine Führung wahrscheinlich, um viel zu verstehen. Oder eben dieses Buch sich kaufen und sich selber da durchforsten und durcharbeiten. Es ist nicht so „man geht hin, man nimmt mit“. Auch viel, aber nur, was man selber versteht, und nicht, was der Künstler sich gedacht hat.
I: Dürfte ich euch fragen, was eure Lieblingskultur- und Freizeitaktivitäten sind?
W1: Ich bin auch sehr viel in Kollektiven unterwegs. In Künstler:innenkollektiven, oder wo es um Kunstvermittlung geht. Deswegen passt es auch zu dem Konzept. Man kann es dann annehmen dadurch.
W2: Ich bin in der Freizeit sehr viel in der Natur unterwegs, würde ich sagen. Oder am Basteln, am Werkeln, am Bauen, genau.
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Lothar Röse
Hofbuchhandlung Vietor
Kassel
Am ruruHaus
Wie war es, was ist hängengeblieben?
Ambivalent. Voller Euphorie, bis zum zweiten Tag. Dann große Traurigkeit und die größte Traurigkeit, nachdem dann klar war, dass Sabine Schormann zurückgetreten ist. Danach waren zwei, drei Wochen, da mussten wir nach Motivation suchen, weiterzumachen. Das hat sich wieder normalisiert durch die vielen Kontakte, die zustande gekommen sind, mit Besuch, mit Gästen, mit Künstlern, mit den ruangrupas. Freunden, die bei uns zu Hause waren, die uns immer besuchen, wenn documenta ist. Alte Freunde, die gerne zu documenta-Zeiten da sind. Die kamen aus aller Welt: Mauritius, Australien, USA, Frankreich. Das war ganz schön, diesen Austausch zu haben. Es gab niemanden, der gemäkelt hätte. Viele haben vorher die Presse gelesen, oder haben mir vorher schon E-Mails geschickt, aus Frankreich oder aus den Staaten, aber haben diese deutsche Presselandschaft viel distanzierter gesehen, haben das nicht gleich übernommen, wie das in der Süddeutschen Zeitung zum Beispiel geschrieben wurde. Und haben schon gedacht: Da steckt noch irgendwas anderes dahinter.
I: Da gab es kein Mäkeln. Aber aus den Stimmen, die wir bisher gehört haben, gab es trotzdem Dissonanzen. War das spürbar? Wie wurde damit umgegangen?
Röse: Dissonanzen gab es wegen so Kleinigkeiten, die mit der Ausstellung selbst wenig zu tun haben, wie diese Fressmeile dort. Die immer unaufgeräumt war, dreckig war, hohe Preise. Da haben wir uns alle drüber aufgeregt, das war manchmal zu forsch. Ich weiß auch nicht, wer das organisiert hat. Das waren die Dinge, die nicht gefallen haben. Mit den Veranstaltungen, die nicht so gut kundgetan wurde, in Zeitungen oder so. Da mussten die Leute erstmal lernen, damit umzugehen, dass diese documenta doch eine etwas andere Organisationsform gewählt hat.
Das waren eher so Nebenschauplätze, würde ich sagen, die für solche Ausstellungen sein mögen. Das mit den Veranstaltungen habe ich eben schon versucht anzudeuten. Es gab so eine ganz andere Kommunikationsform auf dieser documenta. Wahrscheinlich so, wie sie in manch anderen Ländern heute auch üblich ist und vielleicht auch war. Also, von Mund zu Mund, und man weiß dann trotzdem, abends ist eine Menge los. Wir hatten einige Veranstaltungen hier, wo wir vormittags dachten, da kommen vielleicht zehn Leute, und dann waren da auf einmal 1.000 Leute für eine Modenschau in der Treppenstraße. Da war dann plötzlich ein Fest.
I: Dieser Pop Up-Gedanke ist schön. Ich diese Stimmen zur Zugänglichkeit von Informationen gerade auch von Besuchern, die von außerhalb kamen, gehört. Die zum Beispiel die Website als relativ schwer zugänglich beschrieben haben. Gerade auch für die Vorbereitung auf diese Ausstellung, die ja sehr inhaltlich fokussiert war. Wie haben Sie das erlebt?
Röse: Ich habe es einmal persönlich so erlebt, dass Informationen schlecht waren, dazu stehe ich auch. Die Kommunikationsabteilung hat praktisch gar nicht stattgefunden, obwohl die schon seit Jahren hier angestellt waren, hier leben und sehr viel enger Eingang in die Stadtgesellschaft hätten finden können. Die waren praktisch nicht anwesend. Und hätten auch für die Gesellschaft, für die sie gearbeitet haben, also die documenta gGmbH, besser tätig sein müssen. Ohne Frage! Wer nun daran schuld ist, interessiert mich nicht, aber das hat nicht stattgefunden. Das haben auch viele gemerkt, dass da anscheinend wenig Mut war, vielleicht auch Befähigung, sich der Öffentlichkeit zu stellen. Jemand, der in der Kommunikation ist, muss mit der Öffentlichkeit umgehen können. Nicht nur negative Dinge verbreiten, sondern auch mal positive. Positive Dinge sammeln. Das wurde in Summe gemerkt, dass da wenig passiert ist. Relativ vorsichtig ausgedrückt. Das war die schlechteste, eine ganz miserable Abteilung.
Die nächste Geschichte war mit den Führungen. Da gab es Unzufriedenheit mit den Sobat Sobats. Die wurden ja vorher alle ausgebildet von der extra angestellten Dame, und die ersten vier Wochen hörte ich nur, dass die vollkommen ahnungslos waren. Da habe ich auch die Loyalität, die Empathie und einfach auch das Interesse an der documenta vermisst. Ich glaube in Summe, die waren froh, dass sie einen Job hatten, aber die haben sich gar nicht darauf eingelassen. Wir, wir waren froh, auf der documenta zu arbeiten, aber nicht wegen des Geldes, sondern weil wir Informationen hatten. Wir konnten uns kundig machen, waren dabei. Das ist bei den Mitarbeitenden von der Sobat Sobat gar nicht rübergekommen. Vollkommen ahnungslos, was die Kunstwerke betrifft. Dann habe ich so Sachen gehört: „Ach, da müssen Sie mal auf dem Schild lesen, was da steht.“ Das geht nicht. Da muss sich dann wirklich diese Abteilung, Education nannte die sich glaube ich, anders aufstellen. Ich habe da manchmal, wenn Leute dort waren, wo die Führer nicht gekommen sind, eine Einführung gemacht. Das wurde sehr dankbar angenommen. Und das habe ich gerne gemacht, das hat doch Spaß gemacht. Weil da Interaktion stattfindet. Das ist doch das größte, auch für solche Sobat Sobats. Das haben die nicht begriffen – da in dieser Abteilung Education. Das sind doch die größten Multiplikatoren. Wir haben oft Firmengruppen und sogenannte VIPs durchgeführt von der IHK und dem Deutschen Industrie- und Handelstag und solche Leute. Wo ich gefragt wurde, ob ich das gerne mache. Die sind tagsüber auf der documenta gewesen, abends habe ich irgendwo was mit denen gegessen, und dann kamen ganz positive Dinge rüber. Weil die nach den Erklärungen nochmal einen ganz anderen Zugang gefunden haben, zu den Kunstwerken, zu der Art und Weise. Das fanden die alle interessant. Was mich auch gefreut hat, dann gab es Beifall. Auch von den nicht kunstaffinen Leuten. Jemand, der Industriechef ist, der ist erstmal nicht kunstaffin. Die sich dann positiv überrascht zeigten, was hier so alles passiert. Vornehmlich diese Nicht-Kunst-Werke, die nicht fassbar sind, dieser Lumbung-Gedanke, die Offenheit, das miteinander Reden. Das ist für mich die wichtigste Botschaft.
I: Ist die documenta insgesamt eher für diese Menschen gewesen?
Röse: Also ja. Das ist jetzt meine zehnte bewusste documenta. Es ist so, dass das die am wenigsten kunstaffine documenta war. Die Damen mit den Prada-Schläppchen und der Biennale-Tüte unterm Arm waren nicht hier. Und es ist eine nicht-akademische documenta gewesen. Wir hatten viele Leute dabei, die nicht akademisch vorgebildet waren, die aus Gegenden kommen, die sich mit Kunst sonst nicht beschäftigen. Das sehen wir hier im Publikum, die jünger waren. Das hat Spaß gemacht. Die vollkommen unvoreingenommen an diese Dinge herangegangen sind. Und ganz überrascht waren, was es da an bunten Farben gibt. Dieser freie Zugang, das hat mir sehr viel Spaß gegeben.
I: Was wären so abschließend Lehren aus der documenta fifteen für die folgenden?
Röse: Das muss sich ja immer neu erfinden, da sind wir noch viel zu früh. Ich glaube, da werden wir in eineinhalb Jahren drüber reden. Bis sich das gelegt hat. Das kenne ich auch von anderen Prozessen, das braucht immer eineinhalb Jahre, bis sich so eine documenta beruhigt. Das ist ja ein wiederkehrender Prozess. In Summe wird diese documenta später erfolgreicher dastehen, als sie das bis jetzt tut. Da bin ich ganz sicher. Das ist ja bei der letzten documenta auch nicht anders. Von der ich sehr begeistert war, vor allem von der Geschichte in Athen. Das wird hier ähnlich sein. Dass man Verantwortlichkeiten haben muss, das ist auch eine Lehre daraus. Das mit dem Kollektiv ist ein interessanter Ansatz, aber ich bin Segler und weiß: Einer muss das Sagen haben. Und ich weiß: Lieber eine Fehlentscheidung treffen als gar keine. Und sich konspirativ zurückziehen … das hat so etwas Sozialarbeiterisches. Und das ist so wie Teamarbeit: „Toll, ein andere macht es“, das wäre die Abkürzung dafür. Nicht, dass das die ruangrupas von vornherein so gedacht haben, aber für Dinge, die passieren müssen in der heutigen Gesellschaft ist es vielleicht nicht der richtige Ansatz. Das war ein Experiment, was man gelten lassen sollte, nichts hat ja Anspruch auf Richtigkeit. Jetzt kann man gucken, wie so etwas in Zukunft sein kann. Gut finde ich, dass der Marktzugang für alle Künstler gleich war. Über die Lumbung-Gallery. Es konnte also kein berühmter Galerist hingehen und Dinge ersteigern und den Preis hochtreiben, es wurde alles zentral über die Lumbung-Gallery gemacht. Das finde ich einen tollen Prozess, das halten die auch heute noch durch. Dass ein berühmter Galerist, den viele kennen, zu mir kam: „Hier, das sind Hütchenspieler, man kann mit denen gar nicht verhandeln.“ Das fand ich sehr exemplarisch. So dass jetzt nicht plötzlich einer aus der Gruppe herauskommen kann und sagen kann: „Ich bin jetzt ein Star, weil ich mit dieser Galerie arbeite.“ Ich glaube, das ist ein interessanter Ansatz. Es ist auch der solitäre Ansatz der documenta. Hoffentlich bleibt das immer so. Denn viele sind aus der documenta rausgekommen wie Phönix aus der Asche. Das wird hier glaube ich nicht so sein können. Was es da so an Nachhaltigkeit gibt, weiß ich nicht. Allein die intellektuellen Dinge, die passieren, die in Gang gesetzt worden sind. Ein anderer Umgang nochmal mit Antisemitismus. Da hat Hans Eichel gestern nochmal was Tolles gesagt: Wir als Deutsche sollten nicht den Finger heben und anderen Ländern erzählen, was Antisemitismus ist. Das fand ich einen sehr wichtigen Satz. Das ist dann schon so lehrerhaft, und das ziemt sich nicht für uns. Das ist ja eigentlich schon fast kolonial. Ich denke, das wird eine gute Folge sein, ein anderer Umgang. Für die Stadt Kassel befürchte ich das Schlimmste. Die Gesellschaft teilt sich gerade, in die Leute, die für diese documenta waren, und die, die gegen diese documenta waren. Die sich gegenseitig beschimpft haben … es gab heftige Beschimpfungen und Beleidigungen. Als ich mein erstes Zeitungsinterview gegeben habe, wurde ich schon morgens als antisemitisch beschimpft. Man wird mit Dingen konfrontiert, die ich vorher in meinem Leben nicht für möglich gehalten hätte. Zum Glück bin ich da nicht in Position gegangen, um mich zu verteidigen. Aber manch anderer, der in Not ist, macht das dann und begeht dann natürlich auch Fehler.
I: Warum sind die Wogen so hochgeschlagen?
Röse: Wenn ich das wüsste. Es ist ein soziologisches Problem, glaube ich, bedingt durch zweieinhalb Jahre Pandemie. Viele Leute konnten in diesen zweieinhalb Jahren nicht mehr so richtig austauschen. Man hat sich nicht mehr getroffen, man war abends nirgends mehr eingeladen, man war nicht mehr auf Events. Jetzt konnte man mal wieder so richtig raus, und man konnte mit Mini-Sätzen richtig was lostreten. Das ist eher etwas Psycho-Soziologisches. Ich befürchte, dass das ein Ansatz sein kann, neben diesen politischen Dingen. Aber da habe ich zu wenig Ahnung, da bin ich zu wenig politisch, als dass ich das bewerten möchte. Ich bin nur selbst froh, dass ich nicht in der Politik gelandet bin.
I: Über zwei, drei Interviews bin ich darauf gekommen, dass es ja fast ein Brauch ist, etwas von der documenta in Kassel zu behalten. Was würden Sie von dieser documenta ankaufen?
Röse: Ich selber bin dabei, etwas zu kaufen. Da hoffe ich, dass ich das bekomme. Jetzt für die Stadt Kassel, was die Stadt kaufen könnte – da sind wenige Dinge dabei, bei denen man sagen könnte, die haben als Objekt Bestand, das muss man vielleicht diesmal lernen. Ich würde sagen, wenn es da einen Etat gibt, ich habe was gehört von 600.000 Euro, dann wäre es vielleicht sinnvoll, den in etwas hineinzustecken, wo ein paar Gedanken, die jetzt hier Eingang gefunden haben, weitergeführt würden. Die Objekte sind jetzt nicht so, dass man die in der Öffentlichkeit ausstellen könnte, oder wenn da Regen draufkommt, sind die weg. Und die Sachen, von denen geredet wurde, die sind aus Balsaholz oder aus Bambusstämmen, das ist wirklich nur temporär, ganz klar. Aber dass man versucht, die Gedanken, die sich so langsam eingefunden haben hier, dass man versucht, das festzusetzen, das fände ich wichtig. Das ist dann eher eine intellektuelle Diskussion als ein einzelnes Objekt. Diese documenta, da geht es ja nicht mehr nur um das schöne Bild, die schöne Marmorbüste. Und da müssen wir uns Gedanken machen, dass wir da vielleicht etwas finden, was für die gesamte Stadtkultur nachhaltig ist. Und da gibt es ja viele Möglichkeiten. Wir haben die Gegenden im Kasseler Osten, die nochmal eine neue Wertschätzung erfuhren, was ich ganz toll finde. Aus diesem Kasseler Osten waren auch viele Leute hier, die ich noch nie hier gesehen habe. Da haben wir viel Chancen, das weiterzuführen. Einfach, dass man diesen Menschen, die dort leben, auch Wertschätzung entgegenbringt. Ich glaube, das ist einer der wichtigsten Gedanken.
Was übrigbleibt, dass zum Beispiel die ruangrupas die Listen der teilnehmenden Künstler nicht an eine bekannte Kunstzeitung gegeben haben, sondern an die Zeitung der Obdachlosen, an „Asphalt“. Ich beobachte, wie die Leute, die diese Zeitung verkaufen, die gibt es ja in ganz Deutschland, denen wird jetzt eine ganz andere Wertschätzung entgegengebracht. In der Art: „Ach toll, ich gebe Ihnen mal zwei Euro, das ist ja toll, was sie machen.“ Die kommen auf Augenhöhe in Dialog mit den Leuten. Das haben die früher nie erlebt. Das ist eine Sache, die mir ein bisschen Gänsehaut macht, positiv. Wo ich denke: Da wäre ein Schlüssel, wo man weitergehen könnte. Nicht, dass man jetzt mit der Gießkanne in soziale Projekte Geld reinschüttet. Ich glaube nicht, dass das der richtige Angang ist. Wir brauchen einen Überbau, ein oder zwei Ideen. Und wenn da die Stadtgesellschaft, die Stadt Kassel sagen würde: „Wir einigen uns darauf.“ – dann kommen da vielleicht noch Spenden. Und nicht, dass das im Sand verläuft, sondern dass da konkret was passiert, ohne dass irgendwelche ehrenamtliche Vorstände sich dann in Eitelkeit hineintun, sondern wirklich mit Bezug zu den Leuten, an die das gehen sollte. Da wären für mich die Menschen im Mittelpunkt, die Wertschätzung, was mit diesem Lumbung-Gedanken sehr viel zu tun hat. Also, andere Gegenden, weil der Kasseler Westen, diese Gegenden, die sind alle – positiv – mit Kunst sowieso voll, die brauchen das nicht.
Und Lumbung hat mich selbst – ich kann immer nur über meine persönlichen Erfahrungen reden. Und meine Lumbung-Erfahrung war, dass ich mit meinem fast schon größten Geschäftsfeind, der Buchhandlung König, der größte Kunstbuchhändler der Welt, dass ich mit dem inzwischen in fast schon freundschaftlicher Beziehung stehe. Dass wir den Laden hier [im ruruHaus] gemeinsam betreiben. Das ist richtig viel. Das ist das tollste, was die documenta geschafft hat. Wir haben uns bekämpft, das ging schon sehr an die Substanz. Und wir sind jetzt fast Freunde geworden, die schicken mir Bilder aus dem Urlaub, und wir laden uns gemeinsam zum Grillen ein. Und haben vielleicht gemeinsame Projekte für die Zukunft. Das ist wundervoll. Und das sehe ich auch in manchen Betrieben, in manchen Verlagen: Dass man sagt: Nicht der größere schluckt den kleinen, sondern der kleine wird genauso gewertschätzt und bringt das, was er kann, mit ein. Denn wir haben andere Qualitäten als König, wir sind ein Hundertstel so groß, oder so, aber bestimmte Qualitäten haben wir auch, und das hat er auch anerkannt. Die haben natürlich eine Professionalität, die wir nicht haben. Nicht dass man alles gleich negativ bewertet, was schwächer oder kleiner ist. Dem eine Chance zu geben, das ist gut.
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M/38 J./
Hochschulabschluss/
Berlin
Vor der Kirche St. Kunigundis
I: Was haben Sie gesehen von der documenta, und was ist an Eindrücken hängengeblieben?
M: Also ich habe schon ziemlich viel gesehen, ich bin zum zweiten Mal hier. Ich war vor vier Wochen zum ersten Mal hier, mit meiner Partnerin, und habe da erstmal die in Anführungsstrichelchen großen, oder die meistdiskutierten Ausstellungen gesehen, unter anderem das hier. Jetzt bin ich zum zweiten Mal hier, dieses Mal mit einem Freund, und ich habe mir dann zu Herzen genommen – ich hatte in einem Interview mit ruangrupa gelesen, dass eigentlich das Rahmenprogramm das Wesentliche ist, und deshalb haben wir auch gestern eher das Rahmenprogramm in den Blick genommen. Mein erster Kontakt mit documenta war schon so … war dann schon so überrascht. Einerseits … Man kommt ja um den Skandal nicht herum. Ich habe dann gemerkt, als ich reingekommen bin, dass ich schon mit einer gewissen Erwartung gekommen bin. Dann fand ich das aber relativ schnell schade, dass die ganze documenta von dem Skandal so überschattet wurde, weil ich finde, da ist sehr viel mehr zu sehen. Letzten Endes tun mir in erster Linie die beteiligten Künstler:innen leid, weil ihre Sichtweisen leider viel zu oft in diesen nicht besonders sachlich geführten Konflikt … Mir ist – das ist eine Entwicklung, die man in der Kunstwelt schon lange beobachten kann: das Verschwinden der Autonomie der Kunst. Ich finde, das hier war so ein Ausrufezeichen für diese Entwicklung. Die Kunst beschäftigt sich nicht mit kunstinternen Debatten oder Themen, sondern bezieht ihre Legitimation durch ihren gesellschaftlichen Bezug. Und da finde ich es dann leider doch etwas inkonsequent von ruangrupa, dass sie nicht auch bis zum Ende gedacht haben, und dann auch verantwortungsvoll mit diesem sehr propagandistischen, antisemitischen Bildern umgegangen sind. Aber das ist halt wirklich, da habe ich auch mit meinem Freund heftig debattiert. Das fand ich schlechtes Krisenmanagement von denen, von der Kurator:innengruppe, dass die es nicht wieder geschafft haben, die Aufmerksamkeit auf die vielen Stärken dieser documenta zu lenken. Zum Beispiel gestern habe ich dieses „Citizens‘ Cinema“ in der Karlsaue erlebt, von dieser japanischen Kino-Gruppe, das war wirklich gut. Oder das z/ku, das Schiff. Das fand ich beides stellvertretend für die Stärken der documenta. Dass die „Schönheit“, der ästhetische Wert durch das Nachspüren dieser kollektiven Energien kommt, und nicht von irgendwelchen Pinselstrichen. Das hat man da auch wahnsinnig gut gefühlt. Man wurde ja Teil davon. Die z/ku, die haben auch mitgekocht, es gab Bier, die haben ganz spontan erzählt, wie das alles war. Dieses Citizen … Dieses Caravan-Cinema hatte, hat auch diesen Raum geschaffen, in dem man sich aufhalten konnt. Und ich empfand das auch als positive Entwicklung gegenüber der letzten documenta, wo ich … Da ging es sehr viel um Aufklärung, das hat sich oft wie ein Magazin oder Journalistik angefühlt. Und hier ist der Fokus, finde ich, nicht so sehr auf Information, sondern auch auf Machen und Beteiligung. Das finde ich viel konsequenter. Dann leider doch schade mit diesem Skandal, dass das doch einerseits so schlecht von ruangrupa gemanagt wurde, und andererseits, dass es dann auch solch polemische Wellen geschlagen hat.
I: Was gucken Sie sich heute noch an?
M: Das hängt ein bisschen von meinem Kumpel ab, der reist um fünf ab, und ich hatte ja im Sachen im Programm nachgeschaut, die ich noch sehen will. Es soll ein Film von Jimmy Durham gezeigt werden, das z/ku macht wieder was heute, mit dem e-coin und dem Honig. Ansonsten habe ich die meisten Ausstellungsorte eigentlich schon gesehen. Vielleicht noch das Grimm-Museum [Grimmwelt] oder so.I: Können Sie mir sagen, was Ihre liebsten Freizeit- und Kulturaktivitäten sind?
M: Na, ich bin ja Künstler. Ich gehe auch einfach sehr gerne in Ausstellungen, Theater, Kino, und so. Also ich bin hier schon zuhause.
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Monika Junker-John
Rückblick auf die documenta fifteen, zwei Tage danach.
Dienstag, 27. September vormittags. Der Blick von der Kasse des Staatstheaters nach draußen rechts geht auf den gewundenen Vorbau aus ineinander verflochtenen Ruten, mittels dessen die documenta-Künstler die documenta-Halle einhundert Tage lang in eine Zauberhöhle verwandelt haben. Im Regen mutet er nun an wie der Eingang zu einem verlassenen Bibernest. Die documenta fifteen ist vorbei – und mit ihr ein Sommer, den wir Kasseler als einzigartig gastliches, sinnliches, aufregendes Fest erleben durften. Als lehrreiches auch: Kunst, die als quasi organisches Bindemittel von Lebens- und Arbeitsgemeinschaften, als Geisterbeschwörung, als Überlebenshilfe und politisches Agitationsmittel funktioniert und auch sehr lustig sein kann.
Ja, freilich: Es gab recht viele Videos in der Muttersprache der KünstlerInnen mit eingeblendetem Englisch zu sehen, für die jemand mehr Geduld, einen gesünderen Rücken und mehr Englischkenntnisse gebraucht hätte als ich. Und es gab auch als banal empfundene Beiträge. Aber „große Kunst“ war gar nicht der Maßstab für die Auswahl der Objekte. Sondern die Botschaft, was sie für ihre MacherInnen in deren – oft bedrohten oder prekären – Lebensumfeld bedeuten.
Im krassen Gegensatz dazu die schrillen Forderungen der organisierten Antisemitismus-Verfolger; postwendend zitiert und kommentiert von Teilen der – „Was mit Antisemitismus geht immer!“ – das Thema dankbar aufgreifenden Journaille, und leider auch der Kulturpolitik. Ich habe allein als Zeitungsleserin fünf deutsche Organisationen kennengelernt, die sich qua ihrer Existenz dem Schutz des Judentums und Israels verpflichtet fühlen und die sich, angesichts von zwei oder drei historischen Exponaten, in die man Antisemitismus hineindeuten konnte, reflexartig dermaßen aufregten, als ob mit deren Ausstellung schon das Existenzrecht des israelischen Staates in Frage gestellt werde. Sie forderten, mit wechselnder Lautstärke, mal die Entfernung der Exponate, mal den Rücktritt der Geschäftsführung, des Aufsichtsrats, des Kasseler Oberbürgermeisters oder die Schließung der documenta, am besten gleich für immer. Und das, ohne die documenta zumeist überhaupt besucht zu haben. Ich respektiere selbstverständlich die Existenz des Staates Israel; ich achte und schätze die gesellschaftliche Tradition und Kultur der jüdischen Glaubensgemeinschaft und bewundere, was ich an Lebensfreude, Klugheit, Eloquenz, Witz und Fähigkeit zur Selbstironie bei Juden und in der jüdischen Kultur erlebt habe.
Aber: Wo blieb das alles in diesem Sommer? Vor wenigen Tagen verlangte der Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses, getreulich zitiert in der Presse, zum Schluss der documenta 15 noch, die Politik müsse sich für die documenta fifteen entschuldigen, denn sie sei mitverantwortlich. Wie darf man sich das vorstellen? Claudia Roth entschuldigt sich beim Zentralrat der Juden? Der Bundestag bei der Knesset? Wüsste ich es nicht besser: Bei soviel alttestamentarischer Rechthaberei könnte man aus schierem Ärger zum Antisemitismus konvertieren.
Zur Zukunft des Formates „documenta“ ist alles Kluge bereits gesagt. Die documenta muss weiter in Kassel stattfinden. Die Stadt muss zu 50% Anteilseigner bleiben. Der Aufsichtsrat der documenta sollte keine politischen Richtlinien für die Bestellung der künstlerischen Auswahlkommission vorgeben; deren Mitglieder müssen das Kuratorium ihrerseits ohne politische Vorgaben völlig frei aussuchen können. Das von ihnen empfohlene Kuratorium muss die inhaltlichen Richtlinien für die Ausstellung frei und selbstverantwortlich definieren können und selbst für deren Einhaltung sorgen. Keine externen, von der Politik bestellten, als „Beirat“ daher kommenden Tugendwächter, weder bei der Auswahl der Kommission, noch gar für die künstlerische Leitung! Freilich: Ein Medienkonzept, ein Pressesprecher bzw. eine Pressesprecherin sind, wie sich jetzt gezeigt hat, für künftige documenten unverzichtbar. Eine Papparazzi-artige Pressejagd, wie sie unsere Gäste, die documenta-Künstler, und die bedauernswerte Geschäftsleitung der d15 ertragen mussten, ist 2027 um jeden Preis zu verhindern.
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W1/36 J./
Hochschulabschluss/
Sao Paulo, Brasilien
W2/33 J./
Hochschulabschluss/
Rotterdam, Niederlande, gebürtig aus Brasilien
Beim Bootshaus Ahoi
I: What did you see already, and what impressions stayed in your mind so far?
W1: We have seen the documenta-Halle, we have seen some of the purple area [on the map of locations] – We can’t say the names, we don’t speak … I can’t pronounce them. I can show you in the map. The Fritz [Fridericianum], we just came from the church [St. Kunigundis] and the one that was next to it, with the walls and the text. And some pop-up places around the city.
W2: Yeah, we met in the ruruHaus, and then we walked around, had some cake, at a pop up that is around here [shows area around documenta-Halle on the map].
W1: It’s across the river.
W2: Cooperative café, not documenta-Halle. Then we came back and went to documenta-Halle, and then to Friedrichsplatz. I was here already so I went to the Orangerie. And I saw some of the old documenta stuff, too. Some of these trees, the Kassel Hauptbahnhof Installation, then today we went to the church [St. Kunigundis], to the H [Hübner-Areal on the map].
I: Quite a tour.
W2: Yes, we are focused. [lacht] We got a list from the internet, we didn’t exactly know what to do, researched online for suggestions.
W1: In my case a day and a half.
I: What were the most vivid impressions that stay?
W2: How honest can we be?
W1: It’s anonymous. [laughs]
I: The more honest, the better.
W2: Well, overall I might say it is a little bit confusing. Especially getting around to the places with the transportation.
W1: Yes. Google Earth doesn’t show the Trams, and at the beginning we were trying to use the app for documenta, and it wasn’t linking the Trams either. And that we got the website with all the Trams, and they are the best way of transportation between the places.
W2: So we kind of depend on a map to go around in the city. Otherwise we walk, but it is quite far everything within the cast. It is really nice that the transportation is included in the tickets.
W1: They are expensive.
W2: But then: I arrived here from the station, and to go to my Airbnb I couldn’t find anything, I couldn’t find any tram or whatever, so I walked and then, walking, I discovered that there are Trams. I saw them, and there is nothing on the maps. So this possibility is a bit weird, confusing.
W1: I missed a little bit of – which I am not sure whether it’s a problem – unity between the works. Even the labels, a unified way of treating everything. Some things look a little bit improvised, which I think is part of the process maybe – I don’t know.
W2: Kind of. I mean, we depend on technology again. If we want to understand some things, we have to go to our phones and scan the QR-codes or research. And that dependence makes a barrier between the artwork and ourselves. We are in our phones, I am not such a fan of that. Some museums are into that, I’m not such a fan. And here, everything is on the phone. So we kind of have to have the phone.
W1: And sometimes the labels, sometimes they are very small, and there are often many people trying to read them. And the other thing: the lines, because we are on the last weekend. There were some lines yesterday, not today. But in documenta-Halle and Fridericianum, there was a line, and when we got in, there was a line for one of the installations, so we just skipped it.
W2: But we need some positivity. I think the representation of different countries, cities, social questions, are present in the documenta. In the artworks and in the artists as well. But I was also expecting to see them here, around. The artists – some interaction, some more movement, maybe performances, events, especially on the last weekend. I didn’t see any.
W1: I think there are, we just didn’t know. So last night a friend of mine was saying: “Ah, there is that performance going on at 10 o’clock, and we were just in the apartment, and it was so cozy there, and we didn’t go out to go there.” But the communication could be a little bit better. We saw in some locations: “There’s going to be a party tonight, or tomorrow.” But what about the performances? I never see any. Like, more present in the space.
I: How much did you know about the documenta? What was your image and how did it change through your visit?
W2: I’m a conservator, a painting conservator, so history has always been in my profession. I studied these things. documenta one all the works that have been here, all the social events that have been here. I was expecting more of those. I saw a few of those, that is why I am saying that the social is present, but I was hoping to see some more. Especially with Iran happening now, the war in Ukraine, I was hoping for more manifests, but … I read more about it, so I am quite critical, about what I was hoping for, expecting.
W1: I think the occupancy of the city is really interesting. Many places spread, many outside installations, I think it’s the best, because it’s actually in the city. I’m an architect, so the urban part of it interesting to me, but I am also an exhibition designer, so that is why I lack a bit of uniformity or design in places, looking a bit improvised. Which is not a problem. I think it could be more invested into working with the artists. But I am really happy to be here. I heard a lot of critiques, scandal. So maybe that is why there aren’t so many.
I: Did you see things you read in the critiques reflected in what you saw?
W2: We heard about the antisemitic stuff that was taken away, so we didn’t see anything about it here. And some contradictions between many people, and discussions. All these spheres didn’t influence what we saw actually. If I had not known, I wouldn’t have realized.
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M1/25 J./
Hochschulabschluss/
Kassel
M2/23 J./
Abitur/
Leipzig
Im Hof von WH22
I: Was habt ihr gesehen von der documenta, was ist an Eindrücken hängengeblieben?
M1: Ich komme auch aus Kassel, und ich hatte lange Berührungsängste, etwas hat mich gehemmt, diese ganze Antisemitismusdebatte. Ich war letzte Woche auf der documenta wirklich auch in Ausstellungen drin. Vorher war ich nur draußen unterwegs. Und ich muss sagen, gerade die Ausstellung in der documenta-Halle, die hat mir am meisten gefallen, vom ästhetischen Aspekt. Was mich aber glaube ich am meisten bewegt hat, ist die Ausstellung im Hallenbad Ost. Weil da ja auch die ruangrupa [Taring Padi] ausstellt. Und man da, das war jedenfalls bei mir so, ich mit einem sehr offenen Auge durchgegangen bin, im Hinblick auf diesen Skandal.
M2: Also wenn ich jetzt so ad hoc beantworten müsste, was mir am meisten im Kopf geblieben ist, dann eigentlich das, was wir eben gemacht haben. Wir waren eben nochmal … Ich war vor vier Wochen, glaube ich, drei Tage hier, weil ich nicht mehr in Kassel wohne, und heute haben wir uns nochmal ein Tagesticket geholt. Da waren wir in der documenta-Halle, da haben wir die … Ich weiß leider nicht mehr, wie die Organisation heißt, ich glaube, das hängt zusammen mit einem kubanischen Kollektiv …
I: Instar.
M2: Genau, Instar. Da haben wir uns einen Vortrag angehört, und noch ein bisschen der Diskussion gehorcht danach. Und das war sehr inspirierend, So, das ist das, was mir jetzt gerade so frisch im Kopf ist.
I: Wenn du sagst, dich hätte die Antisemitismus-Debatte gehemmt: Kannst du da beschreiben, was dich da gehemmt hat? Was hat dich da abgehalten?
M1: Schon. Also, ich kann das überhaupt nicht unterstützen, in irgendeiner Art und Weise. Wirklich ein Skandal, ein Riesenschaden, der da entstanden ist, aus meiner Sicht. Ich konnte mir nicht so richtig vorstellen … Ich habe das damit verbunden, dass, wenn ich dahingehe, mir das angucke, mir eine Karte kaufe, dass ich das damit unterstütze. Das hat mich sehr gehemmt. Jetzt im Nachhinein, wo ich auch Sachen gesehen habe, ja, der Meinung bin ich nicht mehr. Ich glaube, ich hätte schon früher hingehen sollen, und mir ein eigenes Bild machen sollen. Aber das hat mich schon sehr gehemmt. Ich dachte: Nee, das waren alles Sachen, die auch vorher einsehbar waren, wenn man das gewollt hätte. Und deswegen wollte ich das einfach nicht unterstützen. Jetzt nicht unbedingt … Ich hatte sowieso ein Ticket, aber mit der Präsenz, das hat schon die Stimmung ein bisschen runtergezogen. Weil ich mich eigentlich auf den Sommer, auf die documenta, ziemlich gefreut hatte, das war dann schon so ein Dämpfer.
I: Daran anknüpfend: Du sagtest, dass da langfristig Schaden entstanden ist: Was ist als Bild geblieben von der documenta als Ausstellung, als Institution?
M1: Gerade die Zeit, wo ich das eigentlich boykottiert habe, habe ich oft gehört, dass Leute enttäuscht waren, von der Kunst auch. Habe mich dann auch mit jemandem unterhalten, der auch Teil, der im Team ist. Und es ist halt schon so, und das finde ich ziemlich gut, dass die Standorte, dass das sehr offen ist. Auch für jeden zugänglich. Und nicht, wie es in der Vergangenheit war, oder bei Kunstausstellungen generell, ein eher elitäreres Publikum, der Anteil von Akademikern schon immer ziemlich hoch ist, generell, bei der documenta auch, in der Vergangenheit. Und das hat glaube ich viele Leute abgeschreckt, dass die gesagt haben: OK, ich bin enttäuscht von der Kunst. Das fand ich aber eigentlich ziemlich erfrischend. Diese Offenheit. Das sehr viel offen und verteilt stattfand. Diskussionsräume, Begegnungsorte, so was. Das hat mich dann am Ende doch positiv überrascht. Die Kritik daran kann ich nachvollziehen, aber ich kann es nicht verstehen. In dem Sinne, dass ich sage: Leute, die sich für Kunst interessieren, Alteingesessene vielleicht, dass die damit ein Problem haben, dass es die abschreckt, das kann ich nicht so ganz verstehen.
M2: Das finde ich auch. Das finde ich jetzt auch sehr gut. Weil man ja auch einen anderen Blick auf Kunst aus anderen Kreisen gekriegt hat, die jetzt nicht unbedingt nur aus Ländern kommen, wo die Leute Zeit und Raum haben, sich mit Kunst auseinanderzusetzen, sondern auch aus Ländern, wo das auf eine ganz andere Art und Weise geschieht. Das fand ich auch sehr erfrischend, das ist mir sehr positiv aufgefallen.
M1: Genau, daran anknüpfend: Den Blick vom globalen Norden wegzubringen. Was ja auch im Zusammenhang mit diesem Skandal benutzt wurde als Argument, um das zu entschärfen: Was ich in dem Sinn aber nicht teilen würde. Ich glaube, dass man gerade, wenn man in Deutschland Sachen ausstellt, dass man sich damit beschäftigen muss. Mit dem Ort, wo man Sachen ausstellt. Und dass man nicht sagen kann: „Ja, aus unserer Perspektive…“ oder als kolonialistische Kritik. Also: Ja, aber wenn man in Deutschland ausstellt, hat man eine speziellere Verantwortung, als wenn man das in einem anderen Land macht. Aus geschichtlicher Perspektive.
I: Was ist eure Lieblingskultur- und Freizeitaktivität?
M1: Für mich ist es Musik. Ich mache selber auch Musik.
M2: Ja, bei mir auch Musik. Vielleicht nicht ganz so passioniert und regelmäßig wie er, aber schon.
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W/70 J./Fach-
hochschulabschluss/ Münsterland
Im Hof der Hafenstraße 76
I: Was haben Sie denn bis jetzt von der documenta gesehen, und was ist an Eindrücken geblieben?
F: Wie gesagt, ich war heute zum ersten Mal da, und es wird auch zum letzten Mal sein. Ich war in der [St.] Kunigundis-Kirche, wie hieß das denn noch, wo die großflächigen … ach, im Ostbad [Hallenbad Ost], und jetzt hier. Dann in dem einen Garten, da in dem Zentrum, ich kenne mich leider mit den Namen in Kassel nicht aus, und da die Skulptur über die Stoffe, über den Kleidertransport, die akustische Installation im Park habe ich mir angehört. Was der Natur entnommen wird, wie es dann deformiert wird, und wie es die Natur sich hinterher wieder zurückholt. Ja, das waren so die … die wichtigsten Sachen.
I: Gibt es denn so ein Gesamteindruck, der sich daraus gefestigt hat?
F: Es ist von der politischen Aussage her sehr eindeutig, es wird ganz viel aus dem globalen Kontext dargestellt, geschildert, demonstriert. Da ist für mich die Message sehr eindeutig. Da geht es für mich eher um die Frage: OK, spricht das Format mich an, das jeweilige, ja oder nein. Und wenn ich jetzt beim Hallenbad Ost bin, da finde ich gerade, weil es ja so großformatige Bilder sind, finde ich es aus der Distanz heraus sehr beeindruckend, auch diese mehrschichtige Perspektive, dass sie viele großflächige Formate von allen Seiten immer betrachtet werden können. Das finde ich sehr interessant gemacht, so stilistisch. Gleichzeitig merke ich: Je dichter ich drangehe, umso mehr erschreckt es mich. Da ist dann so viel drin, so geballt dargestellt, dass ich so subjektiv denke: Es ist zu viel. Also die generelle Botschaft kommt rüber, aber es ist einfach zu viel. Es hat mich erschlagen. Und gleichzeitig kann ich an einige Elemente gut erinnern, die immer wieder auftreten. Dass aus einer Frau plötzlich ein Baum wächst oder so. Das habe ich als Symbol der Hoffnung in einigen Bildern gesehen. Ein Embryo. Es entsteht wieder etwas Neues, Friedenstauben drum herum und so. Auch einige Techniken. Die Schwarz-Weiß-Techniken fand ich zum Teil wesentlich expressiver als dieses bunte. Aber so insgesamt denke ich: Mir ist es zu viel, es ist mir einfach zu dicht. Und es ist unheimlich bedrückend. Weil es wiederholt sich ja. Wenn ich so denke: Indonesien 1965, Suharto, hieß der Typ, ne? Da kann ich auch ein bisschen verzweifeln und denken: Man, was hat sich seitdem wirklich global verändert. Man findet in ganz vielen Ländern Systeme, wo die einen Menschen die anderen unterdrücken. Dann wieder die globalen Zusammenhänge. Das Thema Klima, Umwelt. Es wiederholen sich immer wieder die Grundthemen der Menschheitsgeschichte, kann man sagen. Und immer aus besonderem Blickwinkel, je nachdem, wer halt stärker betroffen ist, keine Frage. So als Querschnittsthema ist das sehr deutlich geworden. Manchmal finde ich aber so etwas Punktuelles wie diese akustische Darstellung … finde ich fast noch intensiver, weil es so fokussiert ist. Da kann man trotzdem den Kreislauf unheimlich gut wahrnehmen, was der Mensch im Grund bewirkt. Obwohl er so viel weiß, zerstört er viel. Was sich die Natur dann wieder zurückholt. Oder eben das Thema der Altkleider. Das sind dann so fokussierte Sachen, die finde ich ganz gut gelungen. Ja, und Kunigundis, da habe ich gemerkt, da ist es gut, dass man anfangs doch so eine Grundinformation bekommt: Um welches Land geht es hier schwerpunktmäßig, was ist der geschichtliche Hintergrund. Das fand ich dann sehr informativ. Da konnte ich dann die einzelnen Skulpturen und Exponate nochmal bewusster betrachten. Das fand ich auf von der Location her unheimlich … das passte wirklich, weil da ja auch die katholische Kirche da einen enormen Einfluss in der ganzen Geschichte hatte. Also das hat mir sehr gut gefallen. Da war eben so ein Garten, da war ja dann, quasi, eine Erholung. Das hier [Hafenstraße 76], ich finde das eine total tolle Location. Da finde ich … also ich habe irgendwann abgebrochen, vielleicht bin ich auch einfach schon zu müde, habe schon zu viele Eindrücke gehabt. Und das, was da dieses chinesische Ehepaar zum Thema Wasser versucht hat darzustellen … weiß ich nicht. Und da habe ich dann gemerkt: Es reicht jetzt.
I: Und gucken Sie sich morgen noch was an?
F: Nein.
I: Wenn ich Sie nach Ihrer liebsten Kultur- und Freizeitaktivität fragen dürfte?
F: Durchaus Fahrradfahren, in die Natur gehen. Aber eben auch Musik, ganz viel Kultur betrachten, erleben, hören. Das ist so eine Mischung.
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F/32 J./
Hochschulabschluss/
Kassel
Im ruruHaus.
I: Was hast du denn gesehen – gerade, wenn du sagst, du warst die letzten beiden Tage hier?
F: Genau. Also ich war schon nochmal hier, so für den Rest. Ich habe so fast alle gesehen. Am Hübner-Areal, St. Kunigundis, dann war ich im Sanders-Haus, dann war ich noch in der documenta-Halle, im Fridericianum, und auf der Aue habe ich mir ganz viel angeguckt. Und auch generell ganz viel. Ich war auch im ruruHaus. Soll ich jetzt beschreiben, was da für Kunst hängt?
I: Eher was an Erfahrungen, Eindrücken hängengeblieben ist.
F: Das habe ich mir schon gedacht. Was ich total spannend fand, war diese Sinti und Roma, im Fridericianum, da war ein ganz großes Bild. Weil ich mich damit viel beschäftige. Das hat bei mir natürlich einen krassen Eindruck gemacht. Die Geschichte der Zigeuner, das war sehr beeindruckend, da reinzustöbern. Aber auch die arabische Welt, die arabischen Kunstwerke. Aber eigentlich eher so von Print, vom Gemalten. Ich habe das ja weniger verstanden, aber ich hatte das Gefühl, das ist auch so, dass ich da viel gefühlt habe. Ich fand auch das Social Kitchen-Projekt total gut, weil ich auch selber in dem Bereich gearbeitet habe, auch in dem Bereich Geflüchtete, das fand ich richtig cool. Auch – ich sage jetzt mal was, was etwas ungünstig ist, aber zum Beispiel, dass das Social Kitchen-Projekt, das basiert ja auf Spende, und direkt daneben waren halt die documenta-Preise [beim Bistro an der documenta-Halle], so 23 Euro versus Spendengericht, das hat irgendwie viel widergespiegelt vom sozialen Mehrwert von Kunst. Vielleicht auch gleich zum Thema Kapitalismus, weil das ganze Hallenbad Ost ja davon erzählt. Fand ich auch total spannend, habe ich mich auch in vielen Bildern wiedererkannt, weil ich Fashion Design mache und versuche, tatsächlich Upcycling zu machen, zu produzieren. Also, ich habe kein Label. Das fand ich witzig, da war so ein Bild, eine Frau mit einem Tiger in der Hand, so, Zebrastreifen in der Großstadt, da stand dann das Wort „Survive“, also „Überleben“. Das hat für mich ganz viel von diesem Image-orientierten, Marken-orientierten Denken gespiegelt, den Kapitalismus. Das ganze Hallenbad Ost, ich weiß gar nicht, ich könnte noch mehr Geschichten erzählen. Ich fand das super spannend jedenfalls, da habe ich ganz viel gesehen. Auch so der Spirit, den die Künstler mitbringen, alle eigentlich. Die ganze Welt zu verstehen. Es waren so viele Eindrücke, ich weiß gar nicht mehr.
I: Das war ja auch schon reichhaltig. Du hast gesagt, dass du Mode von dir hier präsentiert hast. Wie ist das zustande gekommen?
F: Tatsächlich bin ich schon seit drei Jahren in einem Workshop gewesen, Moving School heißt das, und dadurch, dass ich bei denen immer mal, nicht so oft, aber … haben die mich gefragt, ob ich bei der Modenschau mitmache. Wir kennen uns auch, wir haben auch schon ein paar kleinere Projekt zusammen … Dadurch, dass wir alle irgendwie für Slow Fashion stehen, sind wir alle am Aufbauen, und Gucken: Wie geht’s weiter? Nicht, dass wir eine perfekte Kollektiv-Bude sind. Aber wir hatten dann erst versucht, so als Kollektiv zu präsentieren. Das war schon auch eine coole Erfahrung.
I: Dann hat diese Aktion als gruppenbildend gewirkt?
F: Ja.
I: Netzwerk stärkend, für euch?
F: Naja, es wurde leider nicht so verstärkt.
I: Warum?
F: Ich weiß es nicht so genau. Ich glaube, es liegt auch an diesem Social Fashion-Aspekt. Ich muss zugeben, die finanziellen Mittel sind natürlich geringer als wären wir jetzt Designer, die überall auf der Welt produzieren. Es hat schon einen sehr sozialen, moralischen Wert. Wir hatten zwar auch Räumlichkeiten zur Verfügung, aber wir müssen schon immer schauen: Wo können wir hin? Wir hatten auch erst einen Laden, da hätten wir verkaufen können. Der wurde uns dann wieder genommen, weil ein anderes Projekt da rein sollte. Wir sind leider auf der Ebene einfach nicht so ganz ausgebaut. Weil die Menschen nicht so die Priorität auf „handmade“ und so setzen.
I: Es lag also eher an den Rahmenbedingungen hier vor Ort?
F: Ja.
I: Gibt es sonst noch Kultur- und Freizeitaktivitäten, die du gerne machst?
F: Ich muss ehrlich gesagt zugeben, dass ich persönlich bin eher jemand, der … ich würde es nicht Isolation nennen, aber ich bin sehr viel in der Natur. Bis darauf, hier und da mal Kaffee zu trinken, mich mit manchen Künstlern mal zu treffen … es wäre gelogen zu sagen, ich wäre total in der Kulturszene drin. Ich gehe immer mal wohin, wenn man mich einlädt. Und dann spüre ich mal da rein. Aber ich bin leider nicht … ich bin eher so in der Natur. Ich gehe mal ins Kino, mal ins Theater, wenn ein Freund, der ist Schauspieler, da auftritt. Ich denke auch immer, ich habe immer das Gefühl, das ist diese „alte“ Welt, alles, wo man so irgendwie hingeht. So diese typischen Ebenen, und frage mich auch immer: Habe ich die nie erschlossen? Das ist auf jeden Fall auch immer wieder ein Thema von mir, mich da mehr zu vernetzen, weil die Kunstszene ja auch von Vernetzung lebt.
I: Guckst du dir heute noch Sachen an?
F: Nee, wahrscheinlich nicht. Ich hatte jetzt dreimal das Ticket, heute ist nur Kaffee trinken, und die Party heute Abend. Ich war ewig nicht auf Partys, aber heute die Abschlussparty werde ich auf jeden Fall mitmachen.
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F/63 J./
Mittlere Reife/
Kassel
M/61 J./
Hochschulabschluss/
Kassel
Beim Bootshaus Ahoi
I: Dann sortieren Sie Ihre Eindrücke, ich habe Zeit.
F: Es war viel, aber ich habe mich im Grunde genommen da nicht wiedergefunden. Das war mir zu … Also im Hallenbad Ost, man kam rein, und wurde erstmal überflutet von diesem großen Bild, und dann musste man wirklich erstmal so ein bisschen sortieren. Schwierig, fand ich das für mich. Also an jeder Ecke war etwas zu sehen, und dann musste man natürlich auch … es gab wenig Erklärung dafür, fand ich auch schwierig. Man musste sich dann selber ein Bild machen. Ich sage mal, nach einer gefühlten halben Stunde war ich da draußen. Weil mich das so nicht angesprochen hat, dieses Thema. Wenig. Dann war ich in der Hübner-Halle [Hübner-Areal], das war ähnlich bis auf diese Geschichte von den behinderten Menschen, da gab es eine Ecke, das hat mich mehr angesprochen. Dann bin ich von da aus … denn ich war nicht in der documenta-Halle, das war mir damals zu voll, und bin dann ins Grimm-Museum [Grimmwelt], das fand ich auch nicht so prickelnd. Mir persönlich – also, bei der letzten documenta, von Herrn Szymczyk, die war sehr kopflastig, musste man auch viel lesen, aber damit konnte ich was anfangen. Aber mit dieser nicht.
I: Sie haben die letzte documenta gesehen, haben jetzt diese gesehen. Was ist denn so das Gesamtbild – gerade auch im Vergleich zu anderen?
F: Also ich fand, die Konzeption kann man machen, aber ich fand es einfach zu viel. Und schon dieser ganze Skandal im Vorfeld, sage ich jetzt mal, das war sicherlich nicht zuträglich. Und gegenüber dem Theater ist ja dieses Plakat gewesen, was ja dann erst überhangen wurde, dann wurde es abgehangen. Fand ich nicht gut.
I: Fanden Sie das Plakat nicht gut oder das Abhängen?
F: Ich fand einmal dieses Überhängen nicht gut, erstmal. Und dann ab. Dann hätte man zumindest eine Erklärung hinstellen müssen. Ich meine, ich glaube, am Anfangstag ist es auch nicht so wirklich aufgefallen, man musste da schon sehr genau hingucken. Und dass dieses Kollektiv nicht wirklich in der Lage war … Die haben sich mehr abgeschottet, als dass sie was gesagt haben. Das fand ich nicht gut. Das war nicht konstruktiv. Und auch die Leiterin [Frau Schormann] hat glaube ich viel zu lange gewartet, was zu sagen, und nachher war sie weg vom Fenster. Ich glaube, das war nicht gut. Auch das, was dann aus Berlin kam, letztendlich. Nee, also … ich glaube so ein Konzept ist schwierig, mit so vielen Künstlern. So ein Kollektivkonzept. Ich glaube, wenn man ein anderes genommen hätte … ich weiß es nicht. Ich hatte mich drauf gefreut, aber ich war eher wo ich gesagt habe: „Das muss ich nicht nochmal sehen.“ Ist einfach so. Ich glaube, das ging auch den meisten aus Kassel so, denn in Kassel ist es ja … Die Bewohner von Kassel fremdeln mit der documenta eher schon seit jeher. Jetzt – ich glaube, das wurde hier in Kassel auch nicht gut angenommen. Dann dieses Buchungssystem – war wohl eine grande Katastrophe, dass man nicht durchgestiegen ist: Wo muss man hin? Das war alles ein bisschen unübersichtlich. Das hat auch die meisten gestört, auch Leute, die aus Köln kamen, zum Beispiel, fanden das auch ganz furchtbar. Also wie gesagt: ich würde mir die nächste documenta wünschen, wo auch was bleibt im Kopf. Also zum Beispiel die documenta 13 von Frau Bakargiev, da war ja ganz viel hier im Areal Aue – das war ja fast gar nichts. Und auch diese „Return to Sender“-Geschichte. Ich meine, wir wissen das doch alle. Gut, man muss es heutzutage wahrscheinlich nochmal sagen, aber wir wissen doch alle, wo der Schrott landet, wo die Kleidung landet. Das Schlimme ist ja: Diese Packen, die wurden ja extra angeliefert. Das waren ja noch nicht mal Klamotten aus Afrika. Die hätte man ja auch verschiffen können.
M: Das wäre dann „Return to Sender“. Das ist es nicht. Das, was jetzt abgebaut wird, und das geht dann auch … so ist nämlich der Weg. Und deswegen ist das, was man gesehen hat … Ich bin drin überhaupt nicht … Weil ich es ablehne, aufgrund dieses Skandals. Aber das, was ich draußen gesehen habe, gerade dieses „Return to Sender“, da habe ich auch gesagt: Hier stimmt irgendwas nicht. Das passt nicht. Das ist einfach hingestellt, ja, gut. Aber dann ist der Titel der falsche.
F: Mir ist nichts – ich habe auch Fotos gemacht, aber ich habe sie dann gelöscht. Weil das blieb mir nicht im Kopf.
M: Schade.
F: Mir ist eines von der documenta sehr im Kopf geblieben, ich glaube … War das Bakargiev, mit diesen Erste-Weltkrieg-Opfern, den Verstümmelten? Das fand ich genial. Die hatten dann auch so Aschenbecher mit so Munitionshülsen. Das war ein ganz kleiner Raum, und dann diese verstümmelten Menschen, das ist mir bis heute im Kopf geblieben.
M: Das einzige, was hier hängenbleibt, ist die mangelnde konstruktive Kritik, die man üben kann. Egal, ob das jetzt einen antisemitischen Hintergrund hat oder nicht. Völlig egal. Aber dass man konstruktiv in Gespräche einsteigt, das wurde verweigert. Und die Kritiken, die ich jetzt immer so lese, die gehen alle in diese Richtung: Es ist eine vertane Chance. Die Idee als solche ist ja nicht schlecht. Ich hatte ja sogar eine Hundert-Tage-Karte, die ich dann zurückgegeben habe, weil ich es einfach für mich moralisch nicht vertreten konnte. Aber da fehlt was. Sich zurückzuziehen – und die Interviews, die wir ja viel gesehen haben, bei Arte und wo auch immer …
F: Die waren teilweise auch ziemlich weichgespült.
M: Das liegt ja nun an dem Reporter, aber man hat schon gesehen, dass … Durch so ein Grinsen in die Kamera, hat man schon gesehen, dass man überhaupt keinen Wert darauf legte, auf irgendwelche Diskussionen. Du da finde ich dann, ich will nicht sagen verarscht, aber es geht in diese Richtung. Das ist einfach nur eine Inszenierung. Wir haben uns hier am Tisch, haben wir ganz am Anfang gesessen mit einem Kunstkritiker aus [westdeutsche Stadt], und da hatten wir uns unterhalten. Die waren auch extra angereist. Die hatten a) schon mal Riesenprobleme mit dem Buch, das war das erste. Aber er sagte ganz deutlich zu mir: Das ist ne Big Verarsche, die hier läuft. Das ist ein Kollektiv, fünf Mann, die kennen sich schon seit dreißig Jahren, und die haben gesagt: Wir machen mal was, wir initiieren was, und da können wir auch gut Geld verdienen. Das kommt auch so wirklich durch. Muss man einfach den Sinn eine Kunstausstellung nicht so … Wir sind sehr oft auf Kunstausstellungen … habe ich auch den berühmten roten Faden, das ist alles … Sie [F] macht auch viel mit Kultur, auch die schrägsten Stücke, die es manchmal im Theater gab, da hat man trotzdem den roten Faden. Habe ich hier überhaupt nicht.
F: Wir hatten zu Anfang, der Eröffnung der documenta, war ein Künstlerpaar aus Schweden, die haben eine Performance gemacht, und das fand ich wesentlich besser als das, was ich da gesehen habe. Das ist mir auch im Kopf geblieben. Die Leute fanden das toll. Waren aber alles documenta-Besucher, die gedacht haben, es gehört dazu. Da muss ich mich dann auch mal fragen. Das war jetzt in Kurzform.
M: Es fehlen dann auch an einzelnen, was ich so von Freunden gehört habe, an den einzelnen Objekten Erklärungen. Wenn Erklärungen, waren sie in Kniehöhe. Das ist schlecht.
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M/30 J./
Hochschulabschluss/
Berlin, kommt aus Italien
Vor der Kirche St. Kunigundis
I: What did you already see?
M: Yesterday night we were at the presentation of this documentary, it was a garden projection, I am not sure about the name of the collective that presented the project. It was a documentation of this process of this building a garden with immigrants. And then – this is the first venue we are visiting this morning, we haven’t yet decided, we were really late.
I: What is the impression of the documenta that you already got?
M: It is kind of different from what I expected. Though I heard about the documenta, it is the first time that I come and visit it. I am actually … I’m positively impressed. The idea I got from the articles I read is that it has been a really wide process. So maybe it can be kind of really diverse project. So that’s kind of a positive aspect. Probably I would consider it a not completely positive thing that the curatory [curatorial team] didn’t have that much control of the result. If you want it to be kind of uniform, politically committed then you need … once you have all these different people, different collectives, different ideas, coming from different places, and you want to control … it’s a funny message. There were rumors about antisemitism, which I actually really didn’t see in the artworks, but I only have a first idea.
I: What is your plan, what do you want to see?
M: Yesterday night, we had … [To girlfriend joining the conversation] What was our plan today? You got some notes on what we want to see, right? This was the first thing we were interested in … She is the one… [laughs]
W: Let’s see. Maybe you mentioned that we passed by the …
M: Ah, yeah! This I didn’t mention, this was really good!
F: The voice …
M: “The Walls have Ears” … The trampoline house, I forgot to mention. This was impressive.
F: I would like to go into the city. Hübner [areal]. And then, from the collective at the Stadtmuseum. Yesterday we saw a documentation about the gardening, so it would be interesting to see the tree at the Stadtmuseum. Then what else? From … I mean, everybody knows about … the Tokyo collective, read about the “Toyko Reels” collective. That is already a few, maybe one is left. Then also the “Fehras Publishing” installation. Because I know them since a while and I was surprised to see that they have a space here. Since I like their practice it would be interesting to go to this. But then we only have today, so it is a very short time. So we also might take it as an input.
I: Could you say what your favorite cultural or leisure-time activity is?
M: I am quiet into art. Now we are with me girlfriend, we are actually doing a road trip with our camper. We are driving to France, so that would be our last stop in Germany. We are living in Berlin, we are interested in art, she is a designer, while I studied architecture. Pretty much that. I was always reported from friends who visited documenta that it is really interesting. My roommate was here a couple of weeks ago, she told me she was positively impressed, so that is basically it.
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M/ 30 J./
Hochschulabschluss/
Ljubljana, Slowenien
Im Hof der Hafenstraße 76
I: What did you see until now and what impressions stay in our mind from the documenta?
M: We are here for two days, I came here with colleagues from work, from Ljubljana in Slovenia, first we saw the church [St. Kunigundis], I don’t know the names of the locations, so you have to excuse me for that. The pool area, the bath house [Hallenbad Ost], those have been awesome. I can’t say enough good things about them. In the bath house I loved the prints, because I work in a printing studio, so it is my thing. And in the church I loved the fact that it is a bit morbid atmosphere, because I am familiar with it – I like the horror. But otherwise we saw most of the bigger venues, in the city centre. Most of them yesterday, because today it is quite full of people, because of the last weekend. Luckily, we got around the lines.
I: If you came all the way from Ljubljana, you might have known something about the documenta before. What is your overall impression of documenta, this one, but also before?
M: The thing is, that I jumped in the last minute, because one of our curators couldn’t come. Otherwise he would be here. But I was expecting much more physical works. Something like … not a statue … usually if you think – at least me – of art you think of an object, something that you do not even have to read about, that at least stimulates you to a degree. But there is a lot of objects that basically is word-based, concept-based. It’s quite a lot of reading about. Every project is for itself. When you go from a room to a room, and you … there is a gazillion of them – it is hard on your brain and hard on your body as well. You go from project to project, and just as you into one idea, one thinking, of one group or collective, you jump into another one. And often it is about quiet a heavy subject. I don’t know, like worker rights, or death or some fight for something. So it’s a bit exhausting in that regard, at least to me. I’d love to see more physical objects-type art, but maybe I’m old in that regard. I am not the one to say what art should be but that art is closer to me basically.
I: What is your favorite cultural or leisure-time activity?
M: It goes hand in hand: My hobby, my interest also became my work. I work in a print-making studio in Ljubljana. I run it basically. I love the print scene, I love the people around it. Otherwise I love music. Punk, Hardrock. I’m into the alternative scene, I love the squat scene. I try to support that in our region. I like to think community-oriented: Not what is good world-based, I would try to make the world better for the people around me. I do not say I do not care about other people, I just feel a bit overreached to think “Let’s help the world!” So that and music, alternative scene, art. Of course I love to support people around me, visit different shows.
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F/28 J./
Hochschulabschluss/
Brüssel, Belgien
M/29 J./
Hochschulabschluss/
Lille, Frankreich
Im Hof der Hafenstraße 76
I: Qu’est-ce que vous avez vu sur la documenta, quelles impressions vous restent à la tête?
M: On a vu quand même pas mal de chose, on a vu presque tout ce qui se passait à Mitte. On a pas mal aimé à Mitte le Musée des Sciences Naturelles: L’installation avant d’entrer dans la salle vidéo et la vidéo qui s’ensuit. On s’est un peu perdu un peu dans le Musée des Sciences Naturelles, lorsqu’il était assez bien. Quoi d’autre?
F : Ce qu’on a vu cet après-midi c’était bien. C’était des vidéos assez drôle. [Zeigt auf der Karte] C’était sur «M».
M : Grimmwelt Kassel?
I : Ah, Grimmwelt.
F : C’est vrai, on a pas mal aimé.
M: On a bien aussi aimé … Caravane … les projets de Hiroshima Ufer. Le Caravane Cinema. Ce n’était pas mal. On est aussi sorti à la petite présentation qui s’est organisée hier soir. Projection, tout, c’était assez bien. Là, on a aussi pu voir les … je croix qu’ils ont aussi travailler ici [in der Hafenstraße 76], dans leur bureau au troisième étage. On a pu voir un peu toutes ces maquettes, croquis aussi. On a peu voire comment ils travaillaient, ça a été proposé là-bas.
F: Quoi d’autre?
M: Pas mal de choses, mais finalement, c’était quand même … Enfin, nous, c’est la première fois qu’on vient à la documenta. Du coup, on connait pas trop, on en a beaucoup parler. Très engagé, un peu lourd, quand même. Beaucoup de vidéo, très dense, de la contraction. Bien, voilà, c’était intéressant. Beaucoup de questionnement, c’était très lourd. Et il y avait des moment qu’on a vu par exemple … le Stadtmuseum, là, c’était plus léger, ça fait du bien d’avoir quelque chose qui contrebalance avec toutes les choses très dures qu’on peut voir à la télé souvent.
I: Quel genre d’image s’est formé par toutes ces expériences?
F: C’est dur, une chose comme ça, sans prendre de recul. On part directement de ça [Hafenstraße 76].
M: Ce que tu disais : C’était bien qu’il y ait des lieux moins institutionnels.
F: Oui, comme tout à l’heure, quand on était au WH22. C’était bien, Ca donne l’impression que c’est un lieu de la vie habituelle où se passent des choses à Kassel. Que ça soit aussi utilisé par le documenta, mais avec des formes différentes. Engagés, mais de manière diffèrent, quoi.
M: On ne connait pas trop Kassel, on ne sait pas trop ce qui se passe au-delà de la documenta. Mais on a l’impression que ce lieu, WH22, qu’il y a aussi des choses pendant l’année, des manifestations locales. Souvent dans les grandes exposition on oublie un peu les locaux et ce qui se passe. Donc, on a une vision … On ne sait pas s’il y’a d’autre lieux qui n’a pas été mentionnés, qui existe. Moi, je trouvais ça bien qu’il y ait plus des lieux des artistes locaux qu’on puisse visiter, qui seraient inscrit dans la documenta. C’est un peu un truc pour n’importe quelle ville et pour n’importe quel évènement.
I: Qu’est-ce que vous aimez faire comme activités de loisir où culturels?
F: Finalement les loisirs sont souvent de ça . L’art on considère pendant le weekend entre guillemets, mais on est tous artistes, donc c’est un peu commun, c’est souvent ça. Sinon on adore faire le Karaoké.
I: Allez vous voir quelque chose d’autre de la documenta?
F: Non, on part ce soir, c’est notre dernier… On a fait deux jours. Finalement le seul endroit qu’on n’a pas vu, c’est le Nord, ces trois points.
M: C’est un peu loins. C’est au centre qu’on est passé.
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W/29 J./
Hochschulabschluss/
Rosenheim
M/28 J./
Hochschulabschluss/
Rosenheim
Im Hof von WH22
I: Was haben Sie bis jetzt von der documenta gesehen, und was ist in Erinnerung geblieben?
W: Wir haben tatsächlich keine Eintrittskarten gekauft bisher. Wir überlegen gerade, ob sich das noch lohnt, das jetzt zu machen, ab fünf Uhr. Wir waren erst in der Karlsaue.
M: Friedrichsplatz hatten wir angefangen.
W: Dann sind wir hinten zu dem Gewächshaus in der Karlsaue, das fand ich cool, das hat uns gut gefallen.
M: Die Sauna war vorher noch da, aber die war nicht in Betrieb. Dann der Bambus mit den Koks-Briketts außen rum. Am Hauptbahnhof waren wir eben noch gewesen. Das war mit den Zeitungsartikeln auf dem Boden, gell?
F: Eigentlich am beeindruckendsten fand ich das Gewächshaus, ehrlich gesagt.
I: Was war es, das es beeindruckend gemacht hat?
F: Ich muss sagen: Das war schon so mit allen Sinnen. Es war diese Geräuschinstallation irgendwie, und mit den langen Bäumen da drin. Das hat eine coole Atmosphäre ergeben da drin.
M: Das hat geklungen, als würde der Regen von oben auf das Gewächshaus prasseln.
F: Das war so das beeindruckendste.
I: Was kennen Sie von der documenta, was ist Ihr Gesamtbild der documenta als Ausstellung, als Institution?
F: Bevor wir hier waren, allgemein gesehen? Ich verbinde damit vor allem eine gute Atmosphäre in der Stadt. Es sind viele unterschiedliche Leute da, das finde ich total super. Zeitgenössische Kunst, da haben wir sonst eigentlich keine direkten Anknüpfungspunkte. Jetzt gerade bei der documenta – wir waren auch vorher schon auf zwei oder drei – speziell ist die Stimmung ein bisschen komisch vielleicht? Weiß ich nicht so genau.
M: Es ist halt überschattet von der antisemitischen Kunst, die anfangs ausgestellt war. Sonst – gut, wenn man die Stadt kennt, dann kennt man ja so die Laser-Installation oder den Rahmen am Friedrichsplatz oder den „Vertikalen Erdkilometer“. Oder den Obelisken von der vorigen documenta noch.
F: Ich verbinde damit klar zeitgenössische Kunst, aber auch, dass in der Stadt was los ist. Das gefällt mir, und deswegen wollte ich auch extra nochmal hierher, am letzten Wochenende.
I: Sie hatten gesagt, dass es eine komische Stimmung war, überschattet. Worin drückt sich das aus?
M: Ich finde, das Kunst-Highlight. Ich finde bei jeder documenta gab es so eines, was so in Erinnerung blieb. Bei der letzten war es beispielsweise der Obelisk, über den wurde ja auch gesprochen. Diesmal war es dann ja eigentlich das große Kunstwerk, was dann eben weggeräumt wurde. Jetzt war es so ein bisschen … wir waren ja selber schuld, wir waren ja jetzt noch nicht mal drin. Aber dass jetzt so diese … dieses große Kunstwerk in der Stadt, was offen zugänglich ist, das hat uns jetzt gefehlt – was sonst immer irgendwo gegeben hat.
F: Mir kam es auch ein bisschen leerer vor. Aber vielleicht ist das total subjektiv.
M: Das letzte Wochenende vielleicht, da ist die Luft vielleicht schon raus.
I: Von den Besucherinnen und Besuchern her?
F: Nein, ich meine von den Kunstwerken. Aber das ist jetzt wirklich super subjektiv und ich erinnere mich auch nicht mehr ganz genau, was wir uns zuletzt angeschaut hatten. Aber ich hatte irgendwie in Erinnerung, dass in der Karlsaue auch mehr los war.
M: Das sind dann auch Nachwirkungen der Pandemie, könnte ich mir vorstellen. Dass der eine oder andere sagt: Dann bleibe ich doch nochmal lieber, setz ich nochmal aus.
F: Und wenn ich noch Kritik sagen darf: Es ist auf jeden Fall zu teuer. Also: der Eintritt. Wir haben jetzt gerade nochmal geguckt, was der normale Tageseintritt kostet, und das ist ja schon … wenn man jetzt nicht so superviel Kohle hat, dann muss man sich schon gut überlegen, ob man das investieren will, hier zu zweit reinzugehen.
M: Das schließt dann vielleicht auch gewisse Gesellschaftsgruppen aus, die dann … wenn man mit der Familie her will, sind die 100 Euro weg.
I: Was ist denn Ihre Lieblingsfreizeit- und Kulturaktivität?
F: Wir sind jetzt nicht ganz fern von Kunstausstellungen und solchen Dingen. Es ist jetzt ein paar Jahre her, aber da sind wir schon auch häufiger …
M: Also wenn es jetzt um Freizeit- und Kulturaktivitäten geht, würde ich sagen, wir gehen gerne auf Konzerte.
F: Genau. Wir gehen aber auch schon mal auf irgendwelche Lesungen.
M: Und wenn wir mal irgendwo im Urlaub sind, gehen wir auch mal in eine Sammlung, Ausstellung.
F: Aber wenig zeitgenössische Kunst, eher die Sachen aus dem letzten Jahrhundert. Nicht die ganz alten Sachen, also 20. Jahrhundert, 19… Haben wir auch mal mehr betrieben als zurzeit.
I: Und Konzerte: Was wären das für Konzerte?
M: Rock, Pop, Heavy Metal. Eher Spaß als ernsthaft.
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W1/über 65 J./
Hochschulabschluss/
Allgäu
W2/75 J./
Abitur/
Stuttgart
Vor dem Fridericianum
I: Was haben Sie schon gesehen, was ist hängengeblieben?
W1: Im ruruHaus waren wir, und im Fridericianum.
I: Und was hat sich eingeprägt?
W1: Also im Fridericianum vor allem der Bell [Richard Bell] sehr gut. Der hat die Schuld, die der Staat hat, sehr gut dokumentiert. Und die Ungerechtigkeit teilweise den indigenen Völkern gegenüber. Ich fand, das hat er ganz toll dargestellt. Vor allem das eine Bild, wo alle Dunklen „I am a man“, nur der Weiße braucht keines, weil man da weiß, das ist ein Mann. Das Ganze fand ich sehr sehr gut. Auch – was hat mir noch gefallen? Im ruruHaus von dem Penscissor, diese Dinge waren auch super, dann hier haben mir auch die Wandteppiche sehr gut gefallen. Und es tut mir ganz arg leid, aber vielleicht bin ich auch zu dumm, andere kommen mir dann vor wie ein Schülerprojekt. Unter dem Thema, egal was, Weltverbesserung, da können sie alles nehmen. Fand ich wie ein Schülerprojekt, also vielleicht Kollegstufe. Und wie man dann vor allem hinterher den Müll da vor allem trennt, da bin ich schon gespannt. Und wenn das, es tut mir wirklich leid, ich habe in meinem wirklich schon langen Leben schon viele Sachen gesehen. Wie schon gesagt, ein Schülerprojekt.
W2: Na gut, aber die haben auch faszinierende Dinge dabei.
W1: Teilweise. Also da drinnen, in dem Hauptraum, wo es darum ging, dass dieses Lumbung konzentriert ist, also da sind Sachen dabei, es tut mir leid, das ist Dilettantismus.
W2: Aber die Bandbreite ist ganz groß.
W1: Ja, die Bandbreite schon, aber wissen Sie, ich denke an das ganz böse Wort, wo ich vorhin schon gesagt hab, von dem Bayern, von Karl Valentin, Kunst kommt von Können und nicht von Wollen, weil sonst würde es Wunst heißen.
W2: Ja, wie heißt es: Wir wollen Freunde sein und nicht über Kunst streiten.
W1: Ja, und vor allen Dingen, was ich finde: Also ich hab letztens ein Interview gesehen mit – von BAP, wie heißt der? – Niedecken, der ist ja ausgebildeter, zumindest akademischer, Künstler, der hat auch gesagt, es fehlt … ein Kollektiv, wenn nicht einer da ist, der irgendwo das Sagen hat, und irgendwo was vorgibt, dann haben wir ein großes Palaver, und es kommt nix bei raus.
W2: Und in unserer Sicht ist das keine Qualität. Aber ich kann mir vorstellen, dass das schon …
W1: Das kann schon sein, aber ob ich das als Kunst bezeichne, ist was anderes. Ich weiß nicht, wie viele Konferenzen sie mitgemacht haben, und und und, wo Leute sich also immer dann sich akustisch einbringen. Und wissen Sie, was am Ende passiert? Es kommt nix raus. Nein, also bei uns, das ist, was rauskommt. Böses Wort: Der Berg kreiste und gebar ein Mäuslein. Nein, als der Kunstbegriff. Ich denke halt jetzt an große Künstler der Vergangenheit, auch die heutigen, Richter zum Beispiel, das sind Egomanen, alle miteinander. Und nur, wenn ich ein starkes Ego hab, denke ich, kann man das.
W2: Also mir scheint es jetzt, als wenn das nur Egomanen machen …
W1: Nein, man sieht’s an, wenn’s einen berührt, innerlich berührt. Ich sag Ihnen ein Beispiel: Im Kunsthistorischen Museum, da war ich wegen der Dürer-Schau, bin ich extra hingegangen. Bin ich rein, und da bin ich ins Kunsthistorische gegangen, in die Bacon-Ausstellung, da hatte ich vorher einzelne Bilder gesehen. Ich habe die gesehen. Die sind nicht schön, um Gotteswillen. Aber ich war tief betroffen. Ich bin ein absoluter Fan. Das betrifft mich. Und wenn es mich betrifft, dann hat es was mit mir gemacht … Das [hier] hat mit mir nichts gemacht.
W2: Na ja gut, da ist ja dann auch so was, was wir auch Art Brut nennen, diese …
W1: Also die alten Kästen da, da gibt es welche, die das professionell machen, also alte Schulmöbel, und was anderes draus machen, also wirklich. Da sehe ich Sinn und Zweck dahinter. Das ist böse, vielleicht bin ich auch elitär ausgerichtet.
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W1/38 J./
Hochschulabschluss/
Kassel
W2/32 J./
Hochschulabschluss/
Friedberg
M/33 J./
Hochschulabschluss/
Frankfurt
Am Hallenbad Ost
I: Was haben Sie bis jetzt gesehen und was bleibt hängen?
W1: Ich war bis jetzt nur einen Abend unterwegs, hier [im Hallenbad Ost] und in der Unterführung, also ich habe noch nicht viel gesehen. Ich bin aus Kassel, und sie [W2 und M] sind aus extern zu Besuch. Also ich finde es sehr beeindruckend. Wir haben uns gerade darüber unterhalten, dass die Bildsprache sehr drastisch ist, und teilweise auch ein bisschen zu direkt vielleicht, und dass man eigentlich von Kunst erwarten kann … oder Kunst auch ein Mittel sein kann, um die Undeutlichkeit, die Ambivalenz mehr hervorzuheben. Das war, das fand ich bemerkenswert, dass das teilweise eben sehr direkt ist und sehr wenig Interpretationsspielraum dann lässt. Voll unterhaltsam, und man kann richtig viel Zeit damit verbringen, und es ist sehr zugänglich. Man kann viel entdecken, man versteht aber auch viel. Wobei man braucht Hintergrund, genau, man braucht vielleicht etwas politischen Hintergrund, um wirklich zu verstehen, worum es konkret geht. Ich finde persönlich, dass die Kapitalismuskritik schon einseitig ist, und dass sie sich ein bisschen zu stark bei dem Kollektiv auf den Israel-Palästina-Konflikt bezieht. Das verstehe ich nicht ganz, weil sie ja eigentlich eine sehr globale Perspektive einnehmen und man das differenziert auch anders angehen könnte, mich stört das ein bisschen. Ich hatte das andere, abgehängte Werk auch noch gesehen, und fand … das ist natürlich schon etwas, woran man sich sehr stoßen kann. Ich bin auch nicht genug vom Fach, um zu sagen, wie man das verhandeln könnte oder müsste. Ich glaube, es gäbe eine gute Chance, darüber ins Gespräch zu kommen. Was vielleicht nicht genug gemacht wird.
I: Auch wenn Sie gerade als Gäste [von außerhalb Kassels] dazukommen, was ist bisher Ihr Bild?
M: Also ich war vorher auf keiner documenta, das ist heute das erste Mal. Ich finde es interessant. Ich muss sagen, dass die Ausstellung hier etwas überwältigend war zu Beginn, muss ich sagen. Es ist vielleicht auch nicht der beste Einstieg. Aber wir haben uns ja davor auch schon ein paar andere Sachen angesehen, und ich fand es sehr interessant. Ich kann mich anschließen. Da ist eigentlich schon alles gesagt, ich weiß gar nicht, was ich da noch. Ich glaube, dass der ganze Eklat der documenta nicht nur geschadet hat. Ich glaube, dass das auch dafür sorgt, dass man im Gespräch bleibt, dass man das auch berücksichtigen muss. Es ist natürlich negativ, aber man kann es auch als Chance nutzen. Wenn man es dann auch als Diskussionsplattform realisieren kann. Ich habe das heute noch nicht so bemerkt. Vielleicht ist das ja der Fall, aber ich habe es noch nicht so wahrgenommen.
W2: Nein, ich bin gerade noch so ein bisschen überfordert.
I: Aber allein das ist ja auch schon ein Eindruck. Wie lange haben Sie eigentlich gewartet?
W1: Zwanzig Minuten, halbe Stunde? … Ich fand es auch bemerkenswert, dass die Sachen aus Pappe sind. Also wie lang anhaltend das ist. Also das ist jetzt die documenta, aber gehen die Sachen danach kaputt? Im Sommer hat es ja wenig geregnet, aber wie das jetzt so mit dem Wetter ist, das fanden wir dann schon …
M: Ich habe ein Feedback. Das hat aber weniger mit der Ausstellung zu tun, sondern die Website. Die Website hat mir viel, viel Arbeit bereitet, um da Informationen zu finden. Da sollte man vielleicht in Zukunft drüber nachdenken, ob die Ausstellung sich auch auf die Website erstreckt, oder ob man da vielleicht ein bisschen einfacher … ich möchte mich da ja informieren, um dann hier die Ausstellung zu konsumieren. Das wär vielleicht ganz hilfreich.
I: Was sind Ihre Lieblingsfreizeitaktivitäten?
W2: Handarbeiten.
M: Filme, Kino.
W1: Schon Sport, und Nachhaltigkeit und Aktivismus.
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W1/Tochter/
Studentin/
Bogotá, Kolumbien
W2/Mutter/
Hochschulabschluss/
Bogotá, Kolumbien
Am Hallenbad Ost
I: What did you see, what was your experience?
W1: So, with the whole exhibition we missed just this space and this one [pointing out two small venues on a map]. We stayed here for two days, so, the whole trip. We were to the documenta before. So, we are from Colombia, from the Third World. For us it is not as shocking, because we live in that world. All the places that we see that are very green and different, that is like normal for us. So this part of the documenta, the Third World, the minorities, the colonialism, for me it was not a big shock, because we are used to that world. But I think that they say things that were needed to be said. I learned a lot from other countries it turns out I haven’t heard of. I feel familiar with some speeches, but not all of it. I think that it was really open-minded. I really liked the part of solidarity, of working together, of community.
I: Between artists?
W1: Yes. I really liked that aspect. There was only one thing that I didn’t like, it was the WH22. Because they were not a community, they were not a group. I don’t know if you were there, but for us it was really bad. I don’t understand. And I also think that it was really challenging, the whole documenta. I study art history, and it was really challenging intellectually, although I study the history of art. It was really challenging, like you had to … It was challenging you intellectually, and it was not easy to engage with the work of art like it was in the documenta before, because they beautiful and they were like material that we are used to, but that was really challenging for me. That is what I like. They made me think. It was difficult to engage, more than one perspective. But I think it was really nice. I think that all the political innovations that they treat were well treated, and it was a point that we all need to speak about.
W2: I love this group [Taring Padi], I really like it. I don’t like that they took it.
W1: She means the work that they took down. She doesn’t like that they took it down.
W2: Because everything is about politics, and it is about minorities here. That is the only point that I don’t like. I really like the political aspect, I really love it. Documenta for is amazing, we really love it. The Colombian group, it was not that good.
W1: We were really happy about that. We liked their work, there is so much to say about that. But for us, it was difficult to understand – and we are Colombians. And this time the maps were easier, it was better organized.
I: So it wasn’t your first time either?
W1: No, she was with me in the last one.
W2: This is easier. Four years ago it was difficult to find the art places. This year it is more easy.
W1: She is mad because she read today the letter, and she is, like: They shouldn’t have taken it down.
W2: Yes. I don’t really like that.
W1: Yes. It is like censorship to us.
I: Were you aware about the discussion before?
W2: Yes.
W1: Yes. We studied a bit before, like reading the newspapers.
I: Did you come to Germany for the documenta?
W2: Yes. Bogotá, Frankfurt, Kassel. We really enjoy documenta. And you know, tomorrow we are going to Venice.
W1: Venice Bienniale.
W2: But you know, I prefer this.
W1: This makes you think, this makes you question.
I: It is not an art show, it is an exhibition.
W2: Exactly. Or a fashion show
W1: This makes you question. Even though, as I told you, this year intellectually it was really hard for me.
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W/24 J./
Berufsausbildung/
Braunschweig
Vor dem Fridericianum
I: Was hast Du bis jetzt gesehen auf der documenta, was hast Du gesehen, was ist Dein Eindruck?
W: Also ich war hier in dem ganzen Gebäude [Fridericianum], bin ich relativ schnell, glaube ich, durchgelaufen. Und ich habe mir diesen Keller dort hinten angeschaut, die Filme. Ja, was ist hängengeblieben? Ich habe es ein bisschen wüst wahrgenommen. Es war schwer, einen Überblick über das Gebäude im Allgemeinen zu bekommen, zu schauen: Wie ist das so aufgeteilt? Genau. Und so richtig gecatcht, also, was mich so festgehalten hat, gab es tatsächlich nicht. Fand ich auch ein bisschen schade. Eigentlich bin ich es mehr gewöhnt von Ausstellungen, eher einen roten Faden zu haben. Es gibt schon einen roten Faden, aber ich finde den schwer zu finden. Es ist ein bisschen schwierig. Was mir gut gefallen hat, was hängengeblieben ist, sind auf jeden Fall die Illustrationen. Ich glaube, im zweiten Stock waren die. Es war sehr viel Film, habe ich wahrgenommen, viel, was sehr zeitintensiv ist. Was ich als schwierig wahrgenommen habe, wenn man zu Besuch hier ist, auf einer Ausstellung. Ich komme auch nicht von hier. Es wirkt auf mich ziemlich komplex. Eigentlich so, als hätte ich mich besser darauf vorbereiten müssen, was ich mir da jetzt anschaue. So ein Grundgefühl.
I: Und was ist Dein Bild von der documenta insgesamt?
W: Ja, ich habe mir die Frage gestellt – um mal ganz plump anzufangen: Ich finde die Ticketpreise sehr teuer. Ich kann es verstehen, es ist ein wahnsinniger Aufwand. Was hier auch an Menge ausgestellt ist. Die Künstler wollen Geld, die Räume wollen Geld. Ich find’s ein bisschen wenig barrierefrei, im weitesten Sinne gefasst, nicht nur räumlich gesehen, da wurde ja schon drauf geachtet. Aber auch intellektuell gesehen fand ich es sehr wenig barrierefrei. Und das habe ich mich ein bisschen gefragt, gerade so als documenta, große Kunstausstellung in Deutschland, renommiert, großes Ding. Es ist mir aufgefallen, dass das Publikum schon weit gefasst ist, das fand ich ziemlich schön, dass man verschiedene Menschen trifft. Aber die documenta an sich hat für mich auf jeden Fall so etwas Elitäres. In dem Kontext, wenn ich jetzt einfach mal betrachte: Ticketpreise, die Menge an Besuchern, die kommen, die Zeit, die das läuft, das sind Unmengen an Geld, die hier fließen, so von allen Seiten. Das finde ich schon ein bisschen abgefahren, ich kann das aber nicht fassen. Ich bin kein Wirtschaftler, ich weiß nicht, wie die Ausgaben hier sind. Es ist nur etwas, was mich ins Nachdenken gebracht hat, in dem Kontext. Dann natürlich dieses Ding am Anfang, was natürlich so ein Geschmäckle hat, irgendwie.
I: Und was wollt Ihr Euch noch angucken von der documenta?
W: Wahrscheinlich bin ich hier jetzt am Ende, ich weiß nicht, ob ihr [Begleiter] morgen nochmal geht, aber ich fahre heute Abend wieder nach Hause. Wir sind relativ ziellos in die Innenstadt gefahren, gesagt, wir gucken mal, was hier zentral liegt. Wir standen jetzt tatsächlich auch sehr lange an, wir sind schon seit mittags hier. Haben jetzt das Video und das hier geschafft, jetzt ist der nächste Plan erstmal essen.
I: Was sind Deine Lieblingsfreizeit- oder Kulturaktivitäten? W: Ich liebe Kino. Ich gehe saugern ins Kino, gehe auch meistens allein ins Kino, auch zu ungewöhnlichen Zeiten, um mir den Film auch anzuschauen. Auch so kleine Kinos, das ist so, was ich regelmäßig mache.
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W1/49 J./
Abitur/
Marburg
W2/50 J./
Abitur/
Marburg
Vor der documenta-Halle
I: Was haben Sie schon gesehen, was bleibt hängen?
W1: Beeindruckend fand ich jetzt, was wir jetzt hier in der documenta-Halle gesehen haben. Mit der Ernährung, mit den Lebensmitteln. War das? Ja, das war hier in der documenta-Halle, genau. Also wirklich diese Darstellung, so wie es im Moment ist: Nutella, diese ganzen Lebensmittelriesen, ja. Also, es regt zum Nachdenken an. Ich bin da sowieso sehr reflektiert, was das angeht, und hat mich, denke ich, wird mich ins Nachdenken bringen. Da noch mehr achtsam zu sein. Und das dann so in der Form, mit der Kunst, zu sehen – so, wie das veranschaulicht.
W2: Was mich beeindruckt, was mich so fasziniert, was ich erstaunlich finde: Wie viele Menschen sich für Kunst begeistern. Wie viele Menschen hier zusammenkommen, um Kunst in irgendeiner Form, die so divers ist, erleben zu wollen. Wo ich bei bestimmten Sachen gesagt habe: Ach guck mal, das ist Kunst.
W1: Man kann es zu Kunst machen.
W2: Genau. Dinge, die auch so einfach … wenn die Geschichte dazu erzählt wird, wird es zu Kunst. Wo macht man selbst so viel Kunst in seinem Leben, ohne dass es einem bewusst ist. Das haben wir vorhin, als wir bei dieser Licht-Geschichte waren …
W1: Als wir auch bei der Brücke waren …
W2: An der Brücke haben wir das erlebt. Hat mich sehr beeindruckt, das fand ich …
W1: Das war sehr schön, aber auch die Brücke zum Beispiel.
W2: Weil man das so hautnah erleben konnte.
W1: Es sind ja einfach die Sachen … Das haben wir dann aber auch gezielt ausgesucht, ne? Das sind so die Sachen, die sehr lebensnah sind. Wobei – wir haben ja echt noch nicht viel gesehen. Müssen wir dazusagen.
W2: Aber ich finde allein diese Menschen. Ich gucke mir ja diese ganzen Menschen, die durch die Hallen gehen. Ich finde das toll, dass ich in der documenta-Halle Familien sehe, Mütter mit Kindern, das ist so unterschiedlich, ich kann das gar nicht kategorisieren. Natürlich sehe ich extrovertierte Menschen, aber auch ganz normale.
W1: Na, und dieses Internationale. Das habe ich gleich zum Anfang gesagt, das ist aber das, was ich jedes Mal schätze, wenn ich hierherkomme, die ganzen Sprachen. Danke, denke ich so: boah, wie schön. Dass Kunst wirklich so grenzüberschreitend ist.
I: Was wollen Sie sich noch angucken, was steht noch auf dem Programm?
W2: Eigentlich wollten wir noch [ins Fridericianum]
W1: [lacht]
W2: Ja ja, aber da ist jetzt die Schlange. Die Friedrichsauen wollen wir auf jeden Fall noch anschauen.
W1: Das war übrigens auch: Die Unterführung, worüber wir gesprochen haben: die Mauern, die lauschenden Mauern.
W2: Wir lassen uns jetzt ein bisschen treiben, wir gehen da ein bisschen, diese Unterführung nochmal angucken, das Hessenland nochmal, das Hotel. Was der Weg uns noch so … lassen wir uns noch ein bisschen treiben. Wir haben auch gesagt: Das Schöne ist, wir haben bewusst keine Führung – es gibt ja diese Führung. Haben wir heute noch gesagt. Das Schöne ist, sich selbst ohne Erwartungen durch den Tag treiben zu lassen, das mitzunehmen, worauf wir gerade Lust haben, ohne so einen Druck zu haben, dass wir alles gesehen haben. Das ist gar nicht unser Ziel. Schon jetzt ist es gut.
W1: Ich habe beides ja gemacht. Bei der letzten documenta habe ich tatsächlich mit einer Führung gemacht. Da nimmt man dann tatsächlich noch andere Sachen wahr. Was ich jetzt aber finde, nach dem heutigen Tag: Eine gute Vorbereitung ist tatsächlich alles. Da habe ich mich tatsächlich zu wenig vorbereitet. Also klar, wo ich hin will, was ich sehen will, weil ich aus Erfahrung weiß, das sind gute Sachen. Aber ein bisschen planen muss man dann schon. Also das Treibenlassen ist was Schönes, ist ja dann auch eine Art Happening, wo man da so hinfließt. Na ja, ist jedenfalls toll, könnte meinetwegen öfter sein.
I: Was sind Ihre Lieblingsfreizeitaktivitäten?
W1: Meine tatsächlich alles, was so in die soziale Richtung geht. Mit Leuten was unternehmen, mit Menschen was unternehmen, sich auszutauschen. Und Sport. Kunst war früher bei mir ein großes Thema, habe ich aber leider zu wenig Zeit. Abitur auch mit Leistungskurs Kunst gemacht, weil es mich wirklich anspricht.
W2: […] Ich schreibe Gedichte, ich schreibe Lieder, ich zeichne, ich singe ganz viel, also da die Musik. Ich bin in ganz vielen Künsten gerade.
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W1/44 J./
Hochschulabschluss/
Italien, derzeit in Berlin
W2/44 J./
Hochschulabschluss/
Italien, derzeit in Berlin
Vor dem ruruHaus
I: What have you seen at the documenta, what stays in your mind?
W1: Well, let’s say that it is a very special edition. Because there is a lot to see, but also a lot to experience, and maybe you are not in the right place at the right time, you know, to participate in all the workshops. To see the action, actually. All of those workshops and all those community works that are present here. This is for me personally what I felt most sorry for what I missed. But in general what I really liked is exactly this aspect. That they give a lot of space to community idea. This is the shape that it can take, something that is open to other kinds of influences, and not just like a specific artwork. And the … of course there are so many of those specific artworks in other venues less central than here, that were also very interesting. There has been a lot, of course in the former swimming pool, Taring Padi, it’s a very dense example of how a communal work can become very strong and very contained, in a way. But at the same time open to different interpretations and visions.
I: You also have seen prior documenta. What is your overall impression of documenta?
W2: We came here a little bit prepared for what we want to see. As we were saying, yesterday we were really mirroring our personal practice, because we also have a project, that is questioning what is a community today, what are the possibilities of working together. So sure that was for us very important to see that all over the world there are already these practices. So, sure, we felt very comfortable with this approach. We also have to say that we love the way that the placement of more spectacular works not in the center. But the Fridericianum used more for this questioning, considering community work. We loved the part that the kids have such a big role. The time and the space that is dedicated to education and to the future. And the … what else? We have been really disappointed about all the critique. We have been reading this and that and then we just came here to see if it was really necessary to attack in that specific sense on such a narrow vision of a body of work of artists and collectives that really struggle around the world. And we didn’t think that that was really fair. Really, that was important. As I said we came a little bit prepared, but we have also been into the press from abroad, from Berlin, where we come from, too. So it was quiet important for us to see that our position was exactly the same. So we also love the sensibility for the community and existing reality of Kassel being involved, for instance in the Weserstraße, see the existing reality involved. Or the skate park community. We really see a great sensibility and a great work of networking, but like intimate networking, and [W1] was saying an important thing: That giving so much space to one individual artist – normally you invite so many artists, especially in the documenta, that at times you miss the body of work of an artist, and we really love that the space for the artists is separated. Also the choice of the locations has been really neat.
W1: It is also interesting, how it is not self-affirmative, the structure of this exhibition. It is one of the most interesting approaches. Because in a way that is the interesting part, because especially the time we are living in and also the place where they come from, the way that they came here, bringing an entire practice, an entire question, an entire process. They were very generous in opening it up.
W2: A big sense of solidarity, also.
W1: When you open up to a different audience, and you open up also with your fragility. Because in a way the process is still fragile. Because it’s a process and probably every process is fragile. And it is interesting that they were so brave not to come here with statements but to come here with questions and a lot of openness. That is a very interesting, especially for such a big …
W2: Especially in the art.
W1: … for such a big thing. And exactly as [W2] was saying, it was so narrow-minded to criticize such narrow aspects of practice, making no sense at all. We are really happy that it is like that. There is so much more to be happy about about this exhibition, and to be inspired by. The entire critique stays with “Who did it?” In the end, with time, it will come out, that it was not at all what they deserved and necessary to point out and forget about all the rest at the same time.
I: What else will you see today? Is this your last day?
W2: Yes.
W1: We have to see the Rondelle. And other than that we have seen basically everything. It was also not overwhelming, like [W2] was saying. Like giving enough space to specific artists or groups. There was giving a lot of bodies of work, of their practice.
W2: And we have to say that we love the work of the group of [unverständlich] probably a coincidence, but in many videos there has been this group of women singing. It was really like a nice recurring image, reminding us of the chorus in Greek theatre. With this kind of connecting element that was giving a lot of structure.
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W/45 J./
Hochschulabschluss/
Berlin
M/30 J./
Abitur/
Hamburg
Im ruruHaus
I: Was haben Sie denn schon gesehen, was ist hängengeblieben, was sind Eindrücke, die Sie bis jetzt mitgenommen haben?
M: Alles was in Bettenhausen war, haben wir gestern gemacht.
W: St. Kunigunde, die Kirche, dann das Hallenbad. In der documenta-Halle. Da waren wir gestern.
I: Was waren Ihre Eindrücke, wie war’s?
W: Was ich als starke Qualität empfinde, ist, dass hier etwas vermittelt wird, was ich sonst nur von außereuropäischen Reisen kenne. Ich komme mit meinem europäisch geprägten Blick, reise irgendwo hin und sehe: Ah, hier ist ganz anders, hier funktionieren meine Kulturtechniken nicht. Das habe ich jetzt hier als große Qualität für mich entdeckt. Ich bin in einer deutschen Stadt und bekomme Eindrücke, wie auf anderen Kontinenten gelebt wird, oder wie die Kulturtechniken da sind. Das finde ich toll, dieses Reisen ohne zu reisen, auf eine Art.
M: Auf jeden Fall auch. Ich fand es überraschend anders als die andere documenta, auf eine sehr positive Art und Weise. Der Fokus weg von europäischer, westlicher Kunst, das finde ich sehr gut. Auch sehr viel schon gelernt. Über die Geschichten, die hinter den Künstlern, wo die herkommen, stecken. Sehr interessant, aufschlussreich, spannend.
I: Wenn Sie sagen, diese documenta ist positiv anders als die anderen: Was ist Ihr Gesamtbild von der documenta? Wofür steht die documenta insgesamt?
W: Also ich persönlich finde solche Großveranstaltungen immer fürchterlich anstrengend. Zu viele Eindrücke, viel zu viel. Das erfordert ja auch ein Sich-Einlassen, Fokussieren. In einer Situation, die sowieso schon überladen ist. Eigentlich wollte ich gar nicht herkommen. Weil ich dachte: Das ist mir glaube ich zu anstrengend. Dann wurde aber in meinem Freundeskreis doch so viel drüber gesprochen, dass ich dachte: Jetzt fahr mal hin. Und ich finde es ganz angenehm bisher. Eine ganz gute Gruppe, es ergänzt sich so ganz gut.
M: Ich weiß nicht, ob ich schon so ein Resümee fassen kann, wo wir heute erst auf der Hälfte sind.
W: Ich bin sehr begeistert von dem – ich bin Grafikdesignerin – ich mag sehr die Corporate Identity. Die Website fand ich sehr gelungen, das kann ich schon sagen.
I: Was ist Ihre Lieblingskultur- und Freizeitaktivität?
M: Sport machen, glaube ich. Fußball.
W: Naja, Lesen. Sport machen.
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M1/über 60J./
Hochschulabschluss/
Umland von Wien
M2/über 60J./
Hochschulabschluss/
Umland von Basel
An der documenta-Halle
I: Was haben Sie gesehen, was ist hängengeblieben von der documenta bisher?
M1: Düster, düster. Also zumindest in Bettenhausen ist es düster. Da wünscht man sich ein bisschen mehr Kunst. Also für mich. Also es ist ganz klar, es ist viel stärker eine politische Einstellung damit verbunden mit dem, was die hier präsentieren, als das, was wir, ich sag mal, üblicherweise genießen, wenn wir in eine Ausstellung gehen. Aber die documenta war ja schon immer eine politische Ausstellung, insofern. Also ich bin eigentlich vor allem deswegen hier, weil ich sehen wollte, was eigentlich dran ist an den Vorwürfen. Ich muss sagen, ich finde es überzogen, die Vorwürfe, bei Weitem, nachdem, was ich bisher gesehen habe. Ich bleibe morgen auch noch. Aber was man den ruangrupa vorwirft, glaube ich, ist Zeitgeist.
M2: Ja, man muss nicht alles abmontieren, man kann auch drüber diskutieren. Man kann ja auch provozierend sein. Das ist für uns Deutsche immer ein bisschen schwierig.
M1: Was ganz klar ist, es ist ganz selten Lebensfreude, das ist das, was du gerade gemeint hast: dass es so düster sei. Also ich hab Vorfahren im Nahen Osten, und ich hab jetzt zum Beispiel diese Dokumentation dieser japanischen Gruppe, dieser Unterstützergruppe für die Palästinenser, von der habe ich noch nie etwas gehört. Das hat mich ziemlich beeindruckt.
M2: Vor drei Jahren war ich mal für ein halbes Jahr in Indonesien zum Arbeiten. Ich hab eigentlich ganz positive Eindrücke mitgenommen von Indonesien. Gar nicht so düstere Eindrücke wie hier. Aber ich habe natürlich auch die Geschichte nicht erlebt. Ich habe da gearbeitet, habe da ganz tolle Leute getroffen, und habe eigentlich gute Erinnerungen mitgebracht, sehr aufstrebendes Volk, was ich so erlebt habe. Das war mitten in Java, im Nirgendwo.
I: Was wollen Sie sich noch ansehen? Wie lange sind Sie noch hier?
M2: Morgen.
I: Haben Sie noch etwas auf dem Programm?
M1: In der Innenstadt, was interessant ist, und hier.
M2: Wo jetzt die Schlange ist. Hätte ich jetzt nicht erwartet, am vorletzten Wochenende.
I: Ja, da muss man früher kommen.
M1: Naja, in Bettenhausen ging es.
M2: Na, da waren wir auch früh. Wir sind da fünf von zehn schon rein, in das Hallenbad.
I: Was ist Ihre liebste Freizeitbeschäftigung?
M1: Sport und Musik.
M2: Auf die Baustelle gehen und in Kunstmuseen. Ich wohne ganz nahe bei Basel, und da habe ich natürlich ganz viel Kunst zum Angucken. Ich habe da einen Kunstpass und kann da rein und raus in den Museen. Ich nutze das auch. Und ich bin halt aufm Bau.
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W/57 J./
Hochschulabschluss/
Öhningen
Vor der documenta-Halle
I: Was haben Sie schon gesehen und was ist hängengeblieben als Erfahrung der documenta bisher?
W: Ich war im Fridericianum, ich war im Hallenbad Ost … Was hängengeblieben ist, allgemein, ist, dass es sehr schwierig ist, den Inhalt darzustellen. Diese kollektiven Ideen abzubilden – finde ich schwierig. Kommt aber rüber, und ist klasse, finde ich inspirierend. Und die einzelnen Kunstwerke finde ich natürlich auch sehr interessant. Jetzt im Hallenbad Ost diese Wimmelbilder, das ist Wahnsinn, das kann man nicht an einem Tag anschauen. Da muss man wirklich … ich bin eine halbe Stunde vor einem Bild gestanden und habe es noch nicht erfasst. Das ist einfach too much, um das in so einer Ausstellung zu begreifen. Insgesamt fand ich es richtig klasse, sehr lebendig, auch gestern Abend, die Stadt war voll. Diese komische Antisemitismus-Diskussion – sehr befremdlich, ich weiß gar nicht, von wem die ausgeht, ich hab’s dann weder gespürt noch gefunden in der Ausstellung, nur immer in der Süddeutschen oder sonstwo gelesen. Also keine Ahnung, wo das herkommt. Nicht nachvollziehbar, diese Diskussion.
I: Wie lange sind Sie auf der documenta?
W: Seit gestern, nur bis morgen.
I: Was steht noch auf dem Programm?
W: Jetzt die Fulda. Und dann die Nordstadt schon auch. Ich habe mal in der Nordstadt gelebt, da wäre ich auch gerne noch hingegangen.
I: Was ist Ihre liebste Freizeit- oder Kulturaktivität?
W: Kino, das ist ja immer sehr einfach. Klassische Musik, da engagiere ich mich ehrenamtlich. Ich geh mal ins Theater, wenn ein Festival ist, aber ich bin nicht besonders kulturaffin.
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M1/21 J./
und
M2/21 J./
Westchester, New York, USA, derzeit Berlin
Vor dem Ottoneum/Naturkundemuseum
I: What did you see and what stayed in your mind?
M1: I like the big painting that was split into four. That’s what stuck with me the most. We did see a big dog, also. A kind of mechanical dog. And the tapestries. The quilts that were stitched together. Those were also very good.
M2: I saw in the Hübner building, they had – one of the smaller prints in the exhibition was of four artists, a collective of artists from Frankfurt. They showed some pieces of their art, and that was really profound. They had a few pieces that really spoke to me. They were showing kind of where the art is coming from, who is making it. Really highlighting minority voices, but less visible.
I: Was it more or less what you expected when you came here to visit the exhibition?
M1: This is the about the first time I have ever been to an art exhibition. So some of it is kind of as I expected, some of it isn’t. I think overall, as I don’t have so much experience I didn’t have much expectations, but in the end I like it.
M2: I have some experiences with contemporary art exhibitions and shows. But documenta is … what surprises me the most was the shear scope of it all. The number of exhibits, the number of different buildings. But what is also surprising is the use of different spaces. So we went to St. … to the church, and the warehouse, and the National History Museum, the State Museum. The use of the spaces was really interesting to see. I think that the curators did a wonderful job using every inch of them.
I: Could you tell what your favorite leisure time activity is?
M1: Sports. Anything to do with sports.
M2: I love pretty much what you call socializing. Sitting around and talking to people. And that’s been great to do here, a great town, really nice people, places to just enjoy the street life.
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M/51 J./
und
W/56 J./
Umland Kassel
Im Foyer des Hotel Hessenland
I: Sie sagen, Sie haben das hier [im Hotel Hessenland] gesehen, haben Sachen im Außenraum gesehen, etwas von dem Flair. Welchen Eindruck macht denn die documenta fifteen auf Sie?
W: Ich glaube, ich konnte von der alten mehr übernehmen.
M: Schwarz und dunkel, ja.
I: Also nicht nur hier [im Hotel Hessenland], sondern insgesamt, von der Stimmung?
W: Ja, und die ganzen Medien, die Zeitungsberichte schon … dass es wirklich nicht alles so schön ist. Man kann sich da auch reinsteigern. Es ist schlimm, damit auseinandersetzen, klar. Aber …
I: Sie hatten ja gesagt, hier [im Hotel Hessenland] hätten Sie jetzt nur die Atmosphäre genossen, das Haus, das ja ein sehr besonderes ist. Gehen Sie denn sonst in Museen, Theater? Sind Sie Kulturgänger?
W: Ja, das Landesmuseum finde ich schon sehr klasse, hier um die Ecke. Und zur Museumsnacht letztens waren wir auch, das fanden wir auch sehr gut.
M: Das machen wir schon, so was. Jetzt nicht jeden Monat einmal. Aber so Museumsnacht, das machen wir dann schon.
W: Das hängt dann aber auch mit dem ganzen Flair zusammen. Was dann so los ist.
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M/58 J./
Hochschulabschluss/
Berlin
Am ruruHaus
I: Sie haben gesagt, Sie waren schon mal da – was haben Sie schon gesehen, was ist davon hängengeblieben?
M: Hängengeblieben, das wichtigste fand ich das Nordbad [Hallenbad Ost], heißt das glaube ich, wo die … nee … ruangrupa?
I: Taring Padi
M: Genau. Die ganzen Namen, sehr verwirrend … wo die ausgestellt haben. Die Halle fand ich super, auch die ganzen Arbeiten vor allem. Natürlich ist das auch interessant, das im Zusammenhang mit dem Skandal zu sehen, wie die da gewirkt haben. Ich habe das nicht mitbekommen, ich war erst danach da, als das Plakat abgehängt wurde. So nach eineinhalb Monaten, da war das Plakat schon nicht mehr da, was ja glaube ich da vorne auf dem Platz gehangen hat. Das fand ich ziemlich beeindruckend. Ansonsten war ich in der documenta-Halle, natürlich im Fridericianum. Und dann war ich auch in dem Industriegebiet draußen, und die Kirche habe ich auch gesehen. Dann noch das Grimm-Museum [Grimmwelt], was ich nicht so interessant fand. Das war es so mehr oder weniger.
I: Das war ja dann ein breites Spektrum, was Sie schon gesehen haben. Wie ist denn so der Gesamteindruck der documenta, der davon geblieben ist?
M: Was ich interessant fand, auch eher interessant als wirklich schön, ist, dass man es weniger mit Künstlern zu tun hat – also Einzelpersonen und deren Kunstwerke – das war ja früher stark personalisiert. Und dass es jetzt mehr um Gruppenkunst geht, das Kunstwerk selber steht mehr im Hintergrund, finde ich einen interessanten Aspekt. Mir macht es eigentlich mehr Spaß, Kunst von Künstlern zu sehen, das zuordnen zu können. Das ist eine Unsicherheit, die man dadurch bekommt. Finde ich als Konzept aber sehr interessant, und ich finde es auch gut, dass die documenta immer etwas anderes ist, andere Schwerpunkte, und dieser Schwerpunkt liegt in diesen Experimenten dieses Mal, den Kollektiven. Finde ich eine tolle Sache, deswegen gucke ich es mir nochmal an.
I: Was ist Ihre Lieblingsfreizeit- oder Kulturaktivität?
Mich interessiert Kunst schon, normalerweise. Kunst angucken. Moderne Kunst meistens. Die alten Meister habe ich noch nicht so auf dem Schirm. Gerade gestern war ich in Berlin und hatte da die Art Week, da war ich auch unterwegs und habe mir Veranstaltungen angeschaut.
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M/64 J./
Plauen
Am ruruHaus
I: Was haben Sie bis jetzt gesehen und was ist hängengeblieben, was waren die Eindrücke von der documenta?
M: Na, wir haben fast alles gesehen. Das Problem ist ja, dass es immer mal regnet, Dinge im Freien sind ja dann nicht so toll. Die Wiese haben wir gesehen, diese Stoffinstallation. Dann waren wir auch am Hiroshima-Ufer, dem Luftbad, dann waren wir in der Neuen Galerie, haben uns die Bilder angeguckt von den vergangenen documenten – oder wie das heißt. Dann waren wir in der Hafenstraße, in der riesigen Lagerhalle. Wo waren wir noch? Wir waren fast an jedem Standort, an sehr vielen zumindest. Dann natürlich im Fridericianum. Insgesamt muss ich allerdings sagen, bin ich ein bisschen enttäuscht. Es ist zwar sehr interessant, sage ich jetzt mal, das Familienleben in Afrika in vielfältiger Form zu sehen, aber das ist … so richtig hat das nicht so viel mit Kunst zu tun. Ein paar Sachen waren wirklich ganz schön, auch bei der Lagerhalle. Aber ein paar Sachen waren auch dilettantisch, muss ich sagen. Ich bin jetzt zum neunten Mal auf der documenta, das ist die, die mir bis jetzt am wenigsten gefallen hat. Aber gut, das ist halt ein bisschen Geschmackssache.
I: Was macht das mit Ihrem Bild der documenta? Hat sich da etwas verändert durch diesen Eindruck?
M: Also sagen wir mal: Früher war es ja irgendwie ein Zeitdokument, zu sagen: Das ist im Moment die aktuelle Kunst, die zeitgenössische Kunst. Das ist es aber hier nicht. Das ist das, was mir hier so fehlt. Das war halt früher so, dass man, wenn man hier war, Dinge gesehen hat, die man dann drei Jahre später in Museen gesehen hat. Und das kann ich mir jetzt hier kaum vorstellen.
I: Wer weiß.
M: [lacht] Ja, wer weiß. Da haben mir eigentlich die Sachen von früheren documenten mehr gefallen. Zum einen natürlich die Spitzhacke am Hiroshima-Ufer, aber auch andere Sachen. Gemischte Gefühle. Vielleicht liegt’s auch am Wetter.
I: Was machen Sie am liebsten in Ihrer Freizeit?
M: [Aktiv in Kunstverein]
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M/67 J./
Hochschulabschluss/
Wien und Linz
Hinter der documenta-Halle
I: Was haben Sie bis jetzt gesehen und was ist hängengeblieben von der documenta?
M: Wir waren ja jetzt hier auf dem zentralen Forum und haben drei, vier Ausstellungen angesehen, auch dann entlang der Fulda, also ich muss sagen – wir sind auch nur den heutigen Tag hier, wir haben ein Ein-Tages-Ticket – ich muss sagen, es ist sehr beeindruckend, sehr lebendig, auch ein Perspektivenwechsel, sozusagen. Eigentlich bin ich nicht mit den allergrößten Erwartungen hergekommen, auch vor dem Hintergrund dieser sozusagen politischen Diskussionen, die auch durchaus ernst zu nehmen sind aus meiner Sicht. Ich habe das bis jetzt als sehr inspirierend empfunden. In so einem Notensystem würde ich mich da schon so in den besseren Rängen bewegen, so um „1“ herum, „1,2“ oder so. Ich meine, besser geht’s immer, im Prinzip. Aber im Großen und Ganzen, dass wir das erleben durften, toll, ja? Das einzige, wo mehr anderes erwartet haben, ist beim Wetter. [lacht] Also heute früh war’s etwas kalt, also das möchte ich schon mal kritisieren. [lacht] Das war schon eine Vorstufe für den Oktober. Odins langer Arm, ne? Aber im Moment scheint wieder die Sonne des Südens.
I: Sie hatten gesagt „Perspektivwechsel“. Was meinen Sie damit?
M: Dass hier sozusagen von den Akteuren, den Künstlern, Themen besetzt werden, die üblicherweise in unseren Breitengraden nicht so üblich sind.
I: Was planen Sie heute noch zu sehen?
M: Jetzt werden wir noch ein bisschen dasitzen, ein Expertengespräch gab es ja auch, gegen Abend werden wir schauen, ob wir gastronomisch auch etwas finden, das unseren hohen Ansprüchen genügt. Gestern waren wir im [Name eines Restaurants], das ist nicht so empfehlenswert. Sind Sie von hier? Also das würde ich nicht empfehlen. Wir werden uns noch das eine oder andere anschauen, auch zum Bahnhofsareal, weil da unser Hotel lokalisiert ist. Da gibt es auch noch ein, zwei Sachen, die zu sehen sind, und dann treten wir den geordneten Rückzug in die Gastronomie an. Stressfrei, ja?
I: Was sind Ihre Lieblingsfreizeit- oder Kulturaktivitäten?
M: Also ich bin durchaus kunst- und kulturinteressiert. Standortbedingt – wir kommen aus Österreich – eher Museen der Gegenwart, die in unseren Breitengraden anzutreffen sind, die Renaissance, die italienische, das ist schon, was mich vor allem interessiert. Das andere Thema ist jetzt aktuell Energie, der Bereich [unverständlich] da bin ich gerade dabei, mich damit zu beschäftigen.
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W/55 J./
Hochschulabschluss/
Hamburg
An der Orangerie
I: Was haben Sie gesehen, was ist hängengeblieben, was waren Ihre Eindrücke?
W: Also, wir waren in der Willkommenshalle, dort haben mich zwei, nein drei kleine Zeichnungen, einfach so auf Papier, so Großstadtdschungel, das hat mich erinnert, weil ich nämlich gerade vorher in Bangkok war. Dann waren wir im Fridericianum, da hätte ich gerne mehr Zeit gehabt, das war sehr beeindruckend, vor allen Dingen fand ich diese Wandteppiche toll, mit den vielen Elementen, im ersten Stock. Aber auch die große Halle, mit den Sachen zum Beispiel über die Kolonialgeschichte, die Werbung, diesen Sarotti-Mohr oder so was. Als ich im Kindergarten war, hatten wir tatsächlich noch so ein Pixie-Buch „Zehn kleine Negerlein“, also über den Rassismus. Dann sind wir runtergelaufen, da fing die Musik an zu spielen, das war sehr schön. Besonders beeindruckend war dann das über die Bekleidung, über das Textil … die Geräusche, die man so weit schallen hörte, diesen Marktplatz schätze ich mal, in diesen Ländern, wo die Kleider dann … So viel haben wir noch nicht gesehen, das sind die wesentlichen Elemente. Wir sind zwei Tage hier, das ist der erste Tag.
I: Und was ist Ihr Gesamteindruck von der documenta?
W: Also – ich habe sehr viel Schlechtes gehört: dass es nicht alles bespielt ist, dass es nicht viel zu sehen gibt. Aber bisher habe ich schon was entdeckt, was mir gefallen hat. Auch viele junge Leute mit Schulklassen und mit Lehrern. Bisher hat es mir eigentlich gut gefallen.
[Ergänzt bei späterer Frage]
Das erste Mal war ich auf der documenta mit 35, vor zwanzig Jahren, das zweite Mal vor zehn Jahren, jetzt also das dritte Mal. Also alle zehn Jahre schaffe ich das. Vielleicht wird sich das ja noch verbessern.
I: Was ist Ihre Lieblingsfreizeit- oder Kulturaktivität?
Ich interessiere mich schon auch für Kunst, gehe sehr gerne ins Museum, auch gerne moderne Kunst, reise viel, lese unheimlich gerne, male selber, ich singe im Chor, so was.
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W/34 J./
Hochschulabschluss/
Fulda
Vor der documenta-Halle
I: Sie haben bereits gesagt, Sie haben das Fridericianum schon besucht. Wie war das, was ist hängengeblieben?
W: Ich muss sagen, es war ja dann der Einstieg, ich musste erstmal ein bisschen reinkommen, dann hat mich erstaunt, was für Eindrücke man schon in kürzester Zeit sammeln kann. Erst dachte man, es ist so ein bisschen chaotisch, aber dann hat man einen roten Faden erkannt und kam dann mehr rein, das fand ich ganz schön. Wir haben uns von unten nach oben durchgearbeitet, so durch die einzelnen Räume, das war dann ganz angenehm. Viel ist es auf jeden Fall.
I: Was steht noch auf dem Plan?
W: Wir wollten hier jetzt noch in die documenta-Halle rein, dann durch die Aue und dann das Hallenbad Ost nochmal. Das ist so das Ziel.
I: Was ist die Lieblingsfreizeit- oder Kulturaktivität?
W: Wir kommen aus der Region Fulda, wir gehen gerne in die Rhön wandern. Ich bin sonst Ingenieurin, eher so pragmatisch, weniger kunstorientiert. Aber weil documenta ist, sind wir gerne hier.
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M/72 J./
Hochschulabschluss/
Kassel
Vor dem Fridericianum
I: Was haben Sie bis jetzt gesehen und was ist hängengeblieben von der documenta?
M: Ich habe seit der documenta 1 bisher jede documenta gesehen, und ich kann nur sagen, dass das mit Abstand ein Absturz ist. Das ist genauso, als wenn man auf eine Automobilausstellung geht und dort Kakteen gezeigt werden. Die Enttäuschung ist groß. Ich bin Kunstlehrer, ich habe an einem Gymnasium dreißig Jahre Kunst unterrichtet. Ich habe immer versucht, das Bild der documenta als etwas ganz Besonderes im Bewusstsein meiner ungefähr 10.000 Schüler zu verankern. Ich wollte, dass die, die hier in Kassel Abitur machen, auch was zur documenta sagen. Und ich muss sagen, dass ich dadurch, dass ich mittlerweile pensioniert bin, diesen Job nicht mehr machen muss. Zu dieser documenta fällt mir außer einer tiefen Frustration nicht mehr ein. Ich kann dazu sagen, ich habe Kunst studiert hier in Kassel, ich habe Arnold Bode noch kennengelernt, als Grundschullehrer, weiß also von dem Esprit und dem Elan, mit dem er dieses Forum auf den Weg gebracht hat. Ich bin als fassungslos, wie diese Sache an die Wand gefahren wurde. Es ist eine aus meiner Sicht sozio-ethnologische, sozialpädagogische Veranstaltung unter Auslassung von jeglicher Art von Kunst. Und die vielen Leute, die hier strömen, kommen ja nicht wegen dieser documenta, sondern die kommen im Grunde wegen des lange aufgebauten Images der documenta als Plattform für moderne Kunst. So gesehen spricht aus jedem Halbsatz meine Frustration über das, was sich hier ereignet.
I: Wo sehen Sie da vor allem die Verantwortung?
M: Ich sehe die Verantwortung, auch schon bei der letzten documenta, bei der Findungskommission, die offenbar unter Abwesenheit jeglicher Form von Kriterien, irgendwelche innovativen oder scheininnovativen Ansätze, die dort vorgestellt werden, hochgejuxt, Hype, würde man sagen … es ist ja das Grundproblem, dass es keine Definition von Kunst mehr gibt. Ich habe ja bei der documenta 5 als Assistent gearbeitet. Ich habe also bei der documenta 5, die sich ja im Nachhinein als besonders richtungsweisende herausgestellt hat, Gelegenheit gehabt, jeden Tag mit Joseph Beuys und anderen Artisten im Gespräch gewesen zu sein. Vor dem Hintergrund all dieser Erfahrungen erklärt sich meine Fassungslosigkeit angesichts dieser Präsentation. Das kann ich dazu sagen, aus Betroffenheit, aus Irritation. Verzweiflung wäre zu viel, aber … ich hatte schon bei der letzten documenta das Gefühl, eigentlich kann jetzt nichts mehr kommen. Diese Entordnung, die damals schon stattfand, war ja eine … Wenn Sie sich hier umschauen, wie Werke dieser neuen documenta mit anderen Werken in Kontakt geraten, dann ist das für mich auch eine Sprache: zum Beispiel der Erdkilometer von Richard Serra [Walter De Maria] sozusagen überbaut und damit ignoriert wird. Dass die documenta-Halle, die aus genau diesem Grund gebaut worden ist, mit einer Favela sozusagen vorweg gebaut wird, und damit quasi negiert wird, oder in Frage gestellt. Das im Haus Rucker die Bodenbeleuchtung überdeckt worden ist. Das also diesem Werk seine Aura, seine Strahlkraft genommen wird. Also alles, was je in Kassel hingestellt wurde. Auch diese Bemalung an den Säulen – Wenn man die documenta lange genug kennt, dann weiß man, dass eine Dosis Provokation seit Generationen dazugehört, und so gesehen kann ich das auch so hinnehmen. Aber jetzt gibt auch dieser Kontext ein Bild, das mit dem wie auch immer gearteten westlichen Kunstbegriff einfach radikal gebrochen wird, also eine Antithese sozusagen. Ich hatte ja schon die Vorstellung, dass das Standbild von dem Friedrich, der für das Fridericianum hier verantwortlich ist, dass das noch irgendwie im Sinne der Diskussion über die Ausbeutung von Südafrika oder so was hier auch irgendwie bearbeitet wird, aber das hat irgendwie nicht funktioniert. Sie sehen, ich bin sehr skeptisch und sehr betroffen, dass sich so etwas ereignen konnte. Und wenn man, wie ich beschrieben habe, die Hintergründe so ein bisschen kennt oder die Leute, die hier zur Zeit als Agierende zugange waren – hier ist ja Kunstgeschichte geschrieben worden, das darf man nicht vergessen. Ich erinnere mich noch an die documenta 5 oder die documenta 4, da haben Joseph Beuys und Andy Warhol da drüben im Café Kaffee getrunken. Das war die kreative Atmosphäre einer Auseinandersetzung. Und da ich bei der documenta 5 hundert Tage hinter die Kulissen schauen durfte, habe ich ja mitbekommen, wie die Protagonisten der Moderne hier zugange waren. Die sich aneinander gerieben haben, hier Dinge auf den Punkt gebracht haben und sich auch bemüht haben, sie an die Bürger zu bringen. Und dieser vornehmlich politische Inhalt … also lässt jegliche Art von ästhetischer Gestaltung vermissen. Auch die Kuratoren sind augenscheinlich in ihrer Arbeit völlig überfordert gewesen mit diesem Ding. Das sieht man an vielen Aspekten. Das sieht man an den geradezu jeden Betrachter verachtenden Beschriftungen bei den Kunstwerken.
I: Auf welche Weise verachtend?
M: Diese Art der Scheinerläuterung zeigt im Grunde, dass es denen gar nicht darum geht, die Sache zu vermitteln oder rüberzubringen. Das ist so gemacht, als wenn Schulen Jahresausstellungen machen. Völlig unambitioniert. Und wenn Sie dann die Gelegenheit nutzen, diesen sogenannten Führungen beizuwohnen – da fällt Ihnen nichts mehr zu ein. Da werden Zettelchen verteilt an die Umstehenden. Und da stehen Leute, die ich teilweise sogar kenne, auch hier von der Kasseler Kulturszene, ausgewiesene Leute, ja? Die werden dann mit Zettelchen konfrontiert, was es da an Humoristischem gibt, so Anleitungen, wie man sie aus Spielchen kennt. Das ist einfach nur peinlich. Die Leute, die sich auf diese Sache einlassen, und sich von solchen Unkompetenten da durchführen lassen. Die Sprachlosigkeit, die wir auch in der Vermittlung haben.
I: Es geht Ihnen also nicht um das Politische, sondern um die Gestaltungshöhe, um das mal auf den Punkt zu bringen.
M: Ja, das könnte man sagen. Und diese ganze Diskussion um Antisemitismus, die überlagert das in einer Weise, das ist elend. Ich habe das zu Anfang schon gesagt: Ich finde, diese Findungskommission hat schon zum zweiten Mal wirklich gravierend versagt in ihrer Positionierung. Man darf ja nicht vergessen, dass die ja als Museumsdirektoren, als Biennale-Kuratoren, Kunstwissenschaftler, Kunsthistoriker, vom Fach sind, die müssen ja immer wieder einen neuen Trend herauskitzeln, um sich gegeneinander auch in ihrer Progressivität zu positionieren. Eine psychodynamische Geschichte, die da läuft, hinter verschlossenen Türen. Dazu kommt, dass die Personen, die dafür Verantwortung tragen – also der Christian Geselle, der Oberbürgermeister, der zerreibt sich natürlich in dieser Konstellation, die er gar nicht mehr überblickt, da da Formen der Selbstdarstellung und des Sich-selbst-Inszenierens eine ganz eigene Psychodynamik entwickeln. Sie sehen, dass ich schon versuche, dass auf einer Metaebene zuzuordnen, einzuordnen – es wird aber nicht besser. Man kann es besser verdauen für sich selbst, aber das war es dann auch. Mit Freunden zusammen, die ähnliche Biographien haben, wie ich schon gefragt: Was soll da jetzt noch kommen? Es war ja schon grenzwertig genug, was der Szymczyk da gemacht hat. Und diese Frage ist natürlich jetzt erst recht wieder da. Und all die Leute, die hier reinrennen, sind ein weiteres Beispiel für die bewusste Ignorierung der Geschichte der documenta. Das Fridericianum ist immer der zentrale Ort gewesen. Der ist jetzt umfunktioniert worden zu einem Kindergarten, zu einer Werkstatt. Deutlicher kann man da eigentlich gar nicht mehr die documenta als Ausstellungsort ablehnen. So dass Leute, die waren wie ich sechs, sieben Mal auf documenta-Veranstaltungen, die haben gesagt: Es ist eine Zumutung. Die waren sowas von frustriert, das habe ich noch nie gesehen. Dass man Dinge nicht versteht, das gehört ja zu der modernen Kunst dazu, das gehört ja zur Sache dazu. Das sind ja Objekte zum geistigen Gebrauch. Wenn man dazu in der Lage ist, davon geistigen Gebrauch zu machen, dann ist es eventuell ein Kunstwerk, wenn es diese ästhetische Form oder Beschaffenheit hat. Das ist meine Position. Und statt dieser ästhetischen Form geht es nur noch um den Inhalt, den politischen Kontext, das Postkoloniale, alle Probleme dieser Welt werden herangenommen. Und dann diese dogmatische Inszenierung dieser Kuratorengruppe. Mir fallen mehrere Künstler ein, diesseits des Äquators, die nicht in einem Kollektiv arbeiten, die dennoch relevante Aussagen über diese Welt zu machen haben. Zum Beispiel so ein Banksy – der hat in Palästina, an dieser elenden Mauer, hat er seine Sachen positioniert. Genauer kann man das doch gar nicht ins Ziel führen. Der ist eben kein Kollektiv, deswegen ist er nicht hier. Das ist doch total verbohrt. Es gibt hier sicherlich Leute, die hier total fasziniert sind von dem offenen Angebot, das in jede denkbare Richtung ausgedeutet werden kann.
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W/26 J./
Abitur/
Hildesheim
M/28 J./
Abitur/
Hannover
Vor dem Fridericianum
I: Was haben Sie bisher von der documenta gesehen und wie haben Sie das erlebt?
W: Wir haben jetzt das Fridericianum und das Stadtmuseum gesehen. Das waren die Orte, die wir bisher gesehen haben.
M: Das hat uns dann auch erstmal ganz gut gefallen. Das war interessant. Hier war es auch wieder ein bisschen auffällig mit den Plakaten von ruangrupa. Also mit dem Antisemitismus, dass die hier überall hingen, diese Ausdrucke, das war relativ auffällig. Das war ziemlich präsent.
W: Ja, vor allem im Stadtmuseum, direkt der erste Bereich, da hängen die „Free Palestine“, schwierig, mehr als schwierig, ehrlich gesagt.
I: Auf welche Weise?
W: Ich persönlich finde, dass der Umgang der documenta bisher mit dem präsentierten Antisemitismus nicht OK ist. Ich finde gut, dass das Expertengremium eingeführt wurde, was dann ja aber auch von der künstlerischen Leitung nicht anerkannt wird, dass die Kritik, die da kam, nicht wirklich ernstgenommen wurde. Was ich persönlich traurig finde.
I: Wenn Sie ansprechen, dass das „überall hängt“: Prägt das auch das Gesamtbild – oder gibt es auch andere Sachen, die prägend sind für diese documenta?
M: Ich kann schon – es fällt ja auf, dass es viel um koloniale Strukturen geht, über Rassismus. Das ist ja auch eine gute Sache, und es ist auch gut. Aber dass dann eine andere Form von Diskriminierung so präsent ist, das ist schade. Dass man über ein so wichtiges Thema spricht, aber ein anderes so wichtiges Thema wie Antisemitismus in der künstlerischenn…
W: Ich finde, es hängt so wie ein Schatten über der documenta. Es hat ja offensichtlich mit einem großen Knall angefangen, aber dass dann im Laufe des Sommers immer wieder neue Sachen gefunden wurden, und das eben auch nicht in dem Maße thematisiert wurde – und eben jetzt überall die Plakate [der BDS-Aktion] hängen, die eine antisemitische Konnotation grundsätzlich haben, die man da auf jeden Fall reinlesen kann, ist dadurch, dass es so präsent ist, hat einen bitteren Beigeschmack.
Obwohl es wie gesagt grundlegend ein tolles Konzept der documenta ist, zu sagen: OK, wir gehen weg von der westlich geprägten Blickweise und geben anderen Menschen die Bühne. Aber auf Kolonialismus und Rassismus aufmerksam zu machen und dann gleichzeitig …
M: Das ist dann ein bisschen konträr. Dass das Thema trotzdem stattfindet, obwohl das Thema ja Antikolonialismus und Antirassismus ist – und da gehört der Kampf gegen Antisemitismus ja eigentlich mit dazu.
W: Genau.
I: Was wollen Sie sich von der documenta noch ansehen?
W: Auf jeden Fall die documenta-Halle, dann die Kunigundis-Kirche, Hallenbad Ost, Sandershausen auf jeden Fall.
M: Ja, das erstmal, und schauen, wo es noch hingeht.
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M/61 J./
Hochschulabschluss/
Kassel
Telefonisch
I: Sie haben gesagt, Sie haben die documenta schon mehrmals besucht. Was ist denn am meisten hängengeblieben von den Besuchen?
M: Vielleicht muss ich vorwegschicken: Wir wohnen erst seit fünf Jahren in Kassel, und es ist für uns die erste documenta, die wir als Einwohner der Stadt Kassel sehr intensiv erleben. Also ich habe keinen Vergleich zu vorherigen Veranstaltungen. Das müssen dann sicherlich andere machen, die das besser überblicken können. Also erstmal natürlich, dass eine Stadt Kassel, die jetzt 200.000 Einwohner, die jetzt sozusagen so sehr im Scheinwerferlicht steht, dass davon auf diesem Planeten Menschen sich aufmachen in die Mitte Deutschlands, das ist natürlich eine tolle Atmosphäre, dieses große, internationale Publikum, die vielen Menschen, eine komplett andere Atmosphäre in der Stadt. Und das Wetter war ja warm, sommerlich, sehr sommerlich, so dass man viel auch draußen machen konnte. Das ist auch ein Bild in der Stadt, was erstmal auch ansprechend ist, weil es einfach sehr bunt und farbig und fröhlich – ich finde diese Atmosphäre macht schon sehr viel aus. Ich sag mal, man geht nicht auf ein Messegelände abseits von der Stadt und dann erst recht außerhalb einer Innenstadt, sondern das ist ja mitten in Kassel. Das ist denke ich mal ein wichtiges Element. Und wenn ich die Zahlen richtig verstanden habe, dann dürfen wir damit rechnen, dass wir gleich, vergleichbare Besucherzahlen haben werden wie beim letzten Mal. Das wären dann irgendwo zwischen 800.000 und 900.000, so in der Größenordnung, und das wäre für sich genommen – ich meine, wir sind noch nicht aus Corona raus so richtig, und viele sind sicherlich zurückhaltend, was Reiserei angeht. Das ist so das Grundsätzlich-Atmosphärische. Dann würde ich sagen, dass in Summe, also was ich gehört habe, so mit vielen Bekannten, über die Messe [die documenta] gegangen, ich bin bei [Club/Verein] aktiv, wir hatten Besucher aus dem Ausland in Kassel, mit denen wir auf der documenta waren, und die Rückmeldung war durchweg positiv. Insofern – Begeisterung ist jetzt vielleicht übertrieben, aber auf jeden Fall: Das, was sie gesehen haben, hat den Menschen gefallen. Und dann ist natürlich die Frage: Was hat ihnen da gefallen? Und da würde ich mich dann anschließen: dass es sehr viele Denkanstöße liefert, Dinge, die einem vielleicht so nicht bewusst sind. Wenn ich am Beispiel an „Return to Sender“ in der Karlsaue denke, das Geschäft mit den Altkleidern da beschrieben wird, was es mit Menschen in Afrika ausmacht. Dass da eben das alte Zeug, nenne ich es mal, da ankommt. Das ist aber ein Beispiel von sicherlich vielen anderen möglichen. Das hätte ich so nicht gedacht – was mache ich denn jetzt damit, auch so privat. Zu reflektieren: Wo stehe ich denn da, was habe ich bisher gemacht, und ist das denn gut? Das sind so Dinge, die sehr positiv sind. Das andere ist dann von den Locations her. Was sehr positiv, auch ich persönlich sehr positiv finde: Ich wohne in der Unterneustadt, also in dem Stadtteil, der unmittelbar an der Fulda liegt – ich genieße das sehr, am Fluss zu wohnen. Das ist ein Element, das ich sehr positiv finde, das war ja auch eines der Anliegen: Stadtzentrum Kassel, aber eben mit Ausstrahleffekten räumlich in den Kasseler Osten. Und die Fulda mit einzubeziehen. Mit der Spitzhacke, mit dem – ich nenne es jetzt mal Strandbad, und und und. Viele Elemente, um den Menschen das nochmal zu verdeutlichen: Hey, ihr wohnt an einem Fluss, das ist grün hier, und wir zeigen, wie es schöner sein kann. Das ist ein Element, das über den reinen Kunstbetrieb hinausgeht. In dem Biergarten „Ahoi“, da waren wir häufiger, das hat uns sehr gut gefallen, das gefällt uns immer noch sehr gut. Das waren auch ein paar Rückmeldungen, die wir bekommen haben. Die alten Industriegelände sind ja immer attraktiv, von der Auswahl der Locations her sehr interessant, weil sehr abwechslungsreich. Dann St. Kunigundis als ehemalige katholische Kirche, dieses haitianische, beinahe Voodoo-Kunst, dann in einer ehemaligen katholischen Kirche, dieses besondere Ambiente für diese Ausstellungsobjekte, das fanden viele auch sehr interessant, weil das dann ja auch einen gewissen Spannungsbogen schon für sich bildet. Also da sind sehr viele Dinge, die mit den Locations, mit der Anordnung, kurze Wege, also jetzt relativ, das Hübner-Gelände sicherlich am weitesten weg, und St. Kunigundis, beide im Grunde aber auch wunderbar zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar. Insofern war das jetzt in Summe, was diesen infrastrukturell-logistischen Teil angeht, sehr positiv. Das, was sicherlich dem einen oder anderen irgendwann vielleicht auch zu viel wurde, ich bin jetzt ein bisschen auf der, ich will nicht sagen Kritik, aber auf der Anmerkungsseite, dass dieser erhobene Zeigefinger, dieses in den Spiegel gucken, und, sozusagen der globale Süden hält uns jetzt mal den Spiegel hin: ist OK, aber das war ja fast überall, egal, wo man hingegangen ist. Das ist dann jedes für sich OK. Aber wenn man jetzt so wie manche es ja machen, versucht, viel documenta in kurzer Zeit zu sehen – wir haben auch Besucher gehabt, wo wir dann zwei Führungen am Tag hatten, und das fühlt sich dann fast wie eine Überdosis an. Die Sozialkritik ist ja OK, und es ist ja auch alles richtig, aber: Hey, Leute, jetzt ist auch mal gut.
Manche haben es so formuliert, andere haben es vielleicht diplomatischer ausgedrückt, aber das war dann irgendwo auch ermüdend. Man will irgendwie auch einfach mal Spaß haben. Das man einfach mal sagt: Hey, wow. So ein bisschen was Entspanntes. Da war wenig Entspanntes dabei. Dann ging es um die Bora Bora, dann ging es um Südafrika, dann ging es um die „Return to Sender“. Im Hübner-Gelände waren ja sehr, sehr viele. In Dänemark die Geflüchteten. Jedes für sich genommen war es wert, separat wahrgenommen zu werden. Aber wie gesagt: Wenn man versucht, das an einem Tag reinzudrücken, dann ist die Dosis schon sehr hoch.
I: Und das ist jetzt gar nicht so sehr auf die Atmosphäre insgesamt bezogen, sondern auf das, was an Kunstwerken oder an Praxis gezeigt wurde?
M: Ja, und ich kann mir vorstellen, dass viele dann einfach an der Stelle auch den Empfänger abschalten, und sagen: OK, ich habe die Botschaft verstanden, ich habe mich ja jetzt an zwei, drei Stellen damit auseinandergesetzt, sehe, dass es an anderen Stellen so ähnlich ist. Also blende ich das jetzt mal aus und guck mir mal die Sachen an, als solche. Was natürlich nicht im Sinne der Künstler ist, aber einfach der Anzahl der Objekte geschuldet ist. Und dann macht es insofern wieder Spaß, weil man dann einfach ein Stück weit den ernsten Hintergrund ausblendet. Das gelingt natürlich nicht immer, aber manchmal.
I: Ein interessanter Hinweis: Dass man das ausblenden kann. Aber hätten Sie sich das grundsätzlich anders gewünscht? Oder ist das etwas, wo Sie sagen: Na gut, da hat jeder die Hoheit darüber, wie er sich das auswählt?
M: Ja, das ist ja bei dieser Ausstellung, die so viele verschiedene Orte hat, wo wahrscheinlich sehr viele Besucher innerhalb von maximal zwei Tagen sich das anschauen: Man kann nie alles sehen. Und sicher muss ich dann eine Auswahl treffen, manche Dinge guckt man sich nur oberflächlich an, mit anderen beschäftigt man sich intensiv. Das muss man dann dem Besucher überlassen, da würde ich auch keine Vorgaben machen. Was ich damit sagen will, ist: Das ist jetzt keine leichte Kost im Sinne von Konsumkunst. Man geht da nicht einfach hin und sagt: Wow, schön! Bis hin zu: Würde ich mir das selbst in den Garten stellen? In die Wohnung hängen? Weil mich das einfach erfreut, der Anblick? Oder ich das einfach schön finde? Davon war jetzt sehr wenig. Bis hin zu der Frage, die ja am Ende jeder documenta steht, wie ich das gelernt habe: Was wollen wir Kasseler denn in der Stadt behalten? Da würde mir jetzt spontan nicht wirklich so ein herausragender Kandidat einfallen, im Sinne wie die Spitzhacke, oder letztes Mal der Obelisk. Das habe ich ja live miterlebt, die Diskussion. Wo alle sagen: Hey, den wollen wir behalten. Das ging ja nur darum: Wo steht das Ding dann langfristig? So was fällt mir jetzt hier nicht ein. Im Sinne von: Das müssten wir unbedingt in der Stadt halten. Vielleicht zeigt das Beispiel, dass es diesmal eine andere documenta war. Mit anderem Schwerpunkt, anderen Facetten. Ohne, dass ich jetzt auf die Antisemitismus-Debatte eingehe – das darf man nicht ausblenden, aber für den Moment mal, dann ist da nichts, wo ich sage, das müssen wir unbedingt da und da hinstellen, weil das einfach gut ist.
I: Aber auch, wenn es nicht unbedingt um die Antisemitismus-Debatte gehen muss. Gerade wenn Sie sagen, dass es die erste documenta ist, die Sie so bewusst erleben: Was für ein Bild hat sich denn aus diesen einzelnen Besuchserfahrungen und Rückmeldungen von der documenta als Ausstellungsinstitution in der Stadt Kassel ergeben? Wie sehen Sie die documenta da verankert, was ist die Bedeutung?
M: Ich meine, die Stadt nennt sich ja nicht umsonst documenta-Stadt, steht ja auch auf den Ortsschildern drauf. Das ist vielleicht ein sichtbares Zeichen dafür, dass das beim größten Teil der Bevölkerung, nicht bei allen, werden es ja nie, dass eben doch sehr viele Menschen überzeugt sind, dass die documenta ein wichtiges Element in der Stadt ist. Sie ist ja mit dem Abstand von fünf Jahren ja auch ein vergleichsweise seltenes Ereignis. Die Olympiade ist häufiger als die documenta. Sie ist in Kassel entstanden, die Kasseler sind stolz darauf, dass die documenta in Kassel entstanden ist und bis heute ihren Stellenwert hat. Sie hat überall in der Stadt Spuren hinterlassen, in vielerlei Hinsicht. Nicht nur rein oberflächlich-optisch, das ist ein Fixpunkt in der Stadtgesellschaft, im Leben in Kassel. Ich bin ja vor fünf Jahren gekommen, da waren gerade noch die letzten drei Tage documenta, die letzte documenta, dann der Abbau, die Diskussion danach: Wir haben Schulden gemacht. War das gut mit Athen oder nicht? Das beschäftigt die Stadtgesellschaft noch Monate danach. Die Leute engagieren sich, Leserbriefe in der Zeitung. Das ist wirklich etwas, das bewegt die Leute. Positiv wie negativ. Aber es gibt kaum Leute, die keine Meinung haben. Es ist einfach ein wichtiges Element. Das ist so als wenn die Olympiade immer in Kassel wäre. Also wenn man jetzt anfängt, darüber nachzudenken, ob die jetzt immer in Kassel sein muss, dann gehen da die Alarmglocken an.
I: Die Diskussionen haben ja stattgefunden. Haben Sie den Eindruck, dass die documenta, nicht nur, was den Antisemitismus angeht, sondern auch die Tatsache, dass da wenig Kunst im klassischen Sinne, oder wie Sie es genannt haben, Entspanntes ist – haben Sie den Eindruck, dass sich das Bild der documenta in der Stadt verändert hat?
M: Das weiß ich nicht. Ich glaube, man muss mal ein paar Tage Abstand dazu haben. Wenn man dann, und deswegen ist es glaube ich wichtig, dazu gleich auch noch ein paar Worte zu verlieren, wenn man dann dieses Thema Antisemitismus – wieviel Verantwortung tragen Künstler, künstlerische Kollektive und, und, und … das sind Dinge, die müssen dringend aufgearbeitet werden, aus vielen Gründen. Das ist das eine. Aber die documenta an sich stellt niemand in Frage. Die documentas waren immer sehr kontrovers. Das auch jetzt im Nachhinein in der ersten documenta Männer aktiv waren, die glaskar einen NS-Hintergrund hatten, und sich da als Unterstützer der freien Kunst geriert haben. Da gibt es schon immer wieder Widersprüche in der Geschichte der documenta. Da waren die Kasseler Bürger damals überhaupt nicht begeistert, als der Herr Beuys da 7.000 Granitblöcke auf den Friedrichsplatz geknallt hat, oder hat knallen lassen. Was dann ja Jahre gedauert hat, bis die dann vergraben waren. Jetzt sind alle stolz darauf, und das sieht man ja im Stadtbild sehr spektakulär, welche Spuren das hinterlassen hat. Jetzt sind alle stolz auf diese 7.000 Eichen, die 7.000 Bäume, die entstanden sind bzw. die gepflanzt wurden. Die ja auch sehr nachhaltig sind. Also das eine ist der Moment selber, das Verstörende, Überraschte, das Erstaunen, oder auch das Geschocktsein. Vieles wird dann auch nicht verstanden am Anfang. Mit Distanz und mit etwas größerer Distanz, wenn man dann die Entwicklung der Kunst danach reflektiert, stellt man fest, dass die documenta eben auch sehr viele Anstöße gegeben hat, wie sich Kunst dann entwickelt hat. So wie die documentas auch immer wieder wichtige Meilensteine in der Entwicklung der Kunst gebildet haben, so kontrovers sie dann zu dem Zeitpunkt auch diskutiert wurde. Das ist auch unstrittig. Das sagt ja jeder: „Also, die documenta, die muss ja zu Streit führen, sonst wäre es ja keine echte documenta.“ Jetzt mal grundsätzlich gesprochen. Der Antisemitismus ist natürlich jetzt das mit Abstand allerschlechteste Thema, mit dem man sich jetzt irgendwie ins Streitgespräch begeben sollte. Dafür braucht es eine klare Haltung. Und das ist jetzt sicherlich die größte Kritik, die man an der jetzigen documenta haben kann und muss: dass da nicht von vornherein glasklar kommuniziert wurde. Ich meine, dass die Institution documenta, dass der Anspruch einer documenta, das Nachwirken der documentas, das ist völlig unstrittig, und das ist auch gewollt. Da sind auch die Kasseler Bürger, die sich da nur ein bisschen mit beschäftigen, sind die wirklich stolz drauf.
I: Das ist der Eindruck, den ich auch habe. Aber dann vielleicht doch nochmal: Wie haben Sie persönlich denn die Antisemitismus-Debatte wahrgenommen?
M: Die Frage ist, wenn man … wo zieht man die Grenze zwischen künstlerischer Freiheit und geschichtlicher, historischer Verantwortung, die wir gerade auch in Deutschland haben, eingedenk unserer Geschichte. Es gab ja frühe Signale, so spätestens im Januar, das ist dann ja auch bei uns durch die lokale Presse gegangen, und überregional ist das ja sicher auch wahrgenommen worden, dass alle Beteiligten, ich will jetzt keinen besonders in Schutz nehmen, da sind viele beteiligt gewesen, Aufsichtsrat, auch die gGmbH, die politischen Akteure, die Künstler selber sicher auch, die Kollektive. Dass ihnen allen nicht bewusst war, wie sensibel … nein, das ist falsch formuliert. Das ist vielen bewusst, aber man hat nicht konsequent genug sich damit auch öffentlich auseinandergesetzt. Wo ist die Grenze, was ist akzeptabel, und was ist nicht akzeptabel? Warum ist es nicht akzeptabel? Da die Grenze zu ziehen, wo sich auch die künstlerischen Kuratoren orientieren müssen, zu sagen: „Ja, künstlerische Freiheit ist richtig, wollen wir auch. Und sie sollen auch alle Freiheiten haben. Aber die Freiheit muss an dem Punkt die Grenze haben, weil …“ Und das konsequenter einzufordern: „Leute, ja, das ist eure Verantwortung, und wir messen euch an eurer Verantwortung. Und wenn ihr der Verantwortung nicht gerecht werdet, liebe Kuratoren, dann werden wir uns da auch mit einbringen.“ Sage ich mal vorsichtig. Und das ist in der … zumindest, wie ich so wahrgenommen habe – ich weiß natürlich auch nicht viel, ich lese Zeitung und höre das eine oder andere, dieses sehr konsequente, sehr energische, auch wahrnehmbar Energische … da hätte man zumindest sicherstellen können, dass alle Aktiven in Kassel und um Kassel herum wahrgenommen werden als die, die das versucht haben, sagen wir mal, zu sortieren, auch Grenzen aufzuzeigen. Und wenn sich dann Kuratoren nicht daran halten, dann ist das sicherlich eine andere Diskussion, als wenn man sich letztlich vorwerfen lassen muss, man hätte sich eben nicht energisch genug darum gekümmert. Danach klingt es wie eine lahme Ausrede.
I: Nur um es auf den Punkt zu bringen: Es geht gar nicht darum, das Abhängen zu veranlassen, sondern Position zu beziehen, und dann zu sehen, was als Reaktion kommt. Sehe ich das richtig?
M: Ich benutze mal das Beispiel, weil das ja auch in der Zeit per Gerichtsurteil in die Öffentlichkeit gekommen ist, diese „Judensau“ da in der Kirche, in Wittenberg – ist das nicht, nee? Oder doch Wittenberg? Wo ja vor 700 Jahren die damaligen Erbauer eine „Judensau“ in diese Fassade eingebaut haben, unten aber eine Stele in der Kirche steht, die das in den Kontext bringt, kommentiert. Für das Gericht war das dann ausreichend. Es gibt aber trotzdem Leute, die sagen: „Hey, das sollte man aber trotzdem entfernen.“ Man kann das ja dann in ein Museum stellen, um all das zu dokumentieren. Dass es eben historisch gesehen Antisemitismus schon seit Langem gab, was man zu Beispiel an so einem … na und so weiter. Es gibt Leute, die sagen, hätte man dieses Banner nicht hängen lassen können? Dann hätte man ein großes Plakat daneben gemacht: „Achtung! Antisemitismus!“ Und hätte versucht, das zu erklären. Manche sagen, das wäre gut gewesen, dann hätte man sich da klar positioniert und hätte damit auch Gesprächsstoff geliefert. Andere sagen: „Das reicht nicht, man muss es abhängen.“ Es gibt da für beides Argumente, auch gute Argumente, und dagegen auch. Aber man hat das zu spät gemacht, und gerade das Projekt, was vor zwanzig Jahren entstanden ist, und schon an vielen Stellen wohl gehangen hat – kann keiner sagen, er hätte es nicht gewusst. Also, er kann das zwar sagen, aber dann muss man ihm vorwerfen, Du hast Dich nicht früh genug damit beschäftigt. Zumal es Signale gab. Das ist ein klarer Hinweis, dass da ein paar Leute ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. So nehme ich das wahr. Und den Vorwurf muss man machen, und dem kann man sich auch kaum entziehen. Da braucht es auch eine Aufarbeitung. Finde ich. Da finde ich, ist kommunikativ – ich bin da nur so Halb-Profi – auch vieles sehr unglücklich gelaufen, muss man im Nachhinein sagen, was das noch verstärkt hat. Dann fühlen sich Leute berufen, das dann aufzugreifen, da gibt’s dann natürlich Leute in der Hauptstadt, in der Landeshauptstadt, die meinen, sie müssten da auch was zu sagen. Warum? Weil da ja offensichtlich eine Lücke ist, die gefüllt werden will. Und dann wird die eben positiv oder negativ gefüllt, aber so ist das halt mit Lücken. Und das ist das Ding, das braucht sicherlich eine Aufarbeitung, das ist für mich unstrittig. Da lagen dann natürlich auch politische Elemente, die Roten und die Grünen mögen sich nicht leiden, und in Kassel ganz besonders nicht. Da gibt es auch noch verschiedene andere Schichten, die, wenn man das wie so eine Zwiebel auseinandernimmt … verschiedene Schichten zu Tage kommen. Die auch nicht helfen gerade.
I: Diese Ebenen sind mir im Verlauf auch immer bewusster geworden. Ich hätte noch als Hintergrund eine Frage: Wie stark ist denn Ihr persönlicher Bezug zu Kunst? Ist das etwas, wovon Sie sagen: „Das mache ich sowieso immer“, oder ist das etwas, wo Sie sagen: „Na ja, ist jetzt etwas, das ist jetzt eigentlich nicht so meins, aber ich nehm’s mal auch mit“?
M: Also, ich bin jetzt nicht so ein Biennale-Besucher, der jetzt von einer Ausstellung zur anderen pilgert, so nicht. Ich habe das jetzt deswegen … Wir haben uns auch auf die documenta gefreut, weil das auch einfach in Kassel lebt, einem für eine Zeit lang bewusst wird, wie wichtig diese documenta doch ist, ganz grundsätzlich. Und einmal diese Atmosphäre, deswegen hatte ich das eingangs auch erwähnt, das fanden wir einfach toll. Weil das auch ein anderes Kassel herausbringt, als das normale, sage ich mal, Kassel. Und das ist einfach spannend, auch unabhängig von der Kunst an sich. Aber wenn es dann da ist, und wir besuchen auch Museen und so, aber wir sind jetzt nicht die super intensiven Kunstanhänger, sage ich mal.
I: Ich bin mit meinen Fragen durch. Gibt es Sachen, die Ihnen noch auf den Nägeln brennen?
M: Ich meine, wir sind ja an ein paar Punkten vorbeigekommen. Aber wenn man mich jetzt fragt, oder wenn ich einen Artikel schreiben würde über die documenta aus Kasseler Sicht, dann würde ich immer sagen: Die documenta Punkt bleibt Punkt in Punkt Kassel Punkt, oder so ähnlich. Um einfach zu sagen: „Hey, die documenta hat eine Geschichte, die wechselvoll ist, sicherlich nicht immer gut war. Und hier war jetzt auch vieles nicht gut.“ Aber man darf überhaupt keinen Zweifel aufkommen lassen an der Institution documenta grundsätzlich und schon gar nicht daran, dass sie wenn, dann in Kassel stattfinden muss. Das ist das eine, und das andere: Selbstverständlich muss jetzt im Nachgang sauber aufgearbeitet werden, mit Blick auf die dann nächste documenta. Weil in einem Jahr, eineinhalb, fängt ja der Prozess der Auswahl der nächsten Kuratoren an. Das muss vorher sortiert sein, damit klar ist, was man beim nächsten Mal anders machen muss. Und insofern werbe ich dafür, dass wir das in diesem Jahr aufarbeiten, und zwar wirklich sauber, und nicht politisch koloriert, sondern sachlich – schwierig bei dem Thema, aber auch in der Klarheit muss das gemacht werden. Damit da auch keine Zweifel hängenbleiben. Und damit dann auch der Blick nach vorne zur nächsten documenta irgendwann wieder mit Vorfreude und Spannung möglich ist. Das eine geht nicht ohne das andere. Aber es darf keinen Zweifel daran geben: Die nächste documenta ist 2027 in Kassel.
I: Ein schönes Schlusswort.
M: Es ist immer schwierig, mit Besucherzahlen zu argumentieren. Ich habe in der Schule mal gelernt: Abstimmung mit den Füßen. Aber dann müsste ja die Bildzeitung immer recht haben, weil es eine Menge Leute gibt, die Bild-Zeitung kaufen – oder früher gekauft haben. Das macht ja nicht richtig, was drinsteht. Aber dass so viele Menschen nach Kassel gepilgert sind, beweist, dass es eben auch eine wichtige Institution in der Kulturlandschaft weltweit ist. Und der Anspruch ist richtig, aber auch der Anspruch an hohe Qualität, und ich sag mal an ordentliche Aufarbeitung. Wenn man Weltmeister sein will, oder bei dieser Champions League der Kunstveranstaltungen mitspielen will, dann braucht es auch ein sehr, sehr professionelles Umfeld, wie in jeder anderen, ich sage mal, Sportart.
I: Auch noch ein wichtiger Punkt!