Die Bürger-Stimmen fangen die Stimmungen auf der documenta ein. Zufällig ausgewählte Besucher der documenta fifteen geben in spontanen Interviews Auskunft zu ihrer Erfahrung beim Besuch der Ausstellungen und ihrer Wahrnehmung der documenta fifteen. Angesprochen und befragt werden sie vor Ort, direkt nach dem Besuch der documenta. Die Gespräche werden offen und an die Gesprächspartner angepasst geführt – gleichzeitig folgen sie einer Reihe von Leitfragen. So wachsen die Erfahrungen der Besucher, so unterschiedlich sie sind, positiv oder negativ, zu einer Atmosphäre in Worten zusammen. Eckige Klammern wie […] enthalten Auslassungen unverständlicher Passagen, Korrekturen zum Beispiel zu falsch benannten Veranstaltungsorten oder Ergänzungen.
Hans EichelInterview mit Sonja Rosettini und Helmut Plate (Welt.Kunst.Kassel)
Nach der documenta ist vor der documenta
Hans Eichel im Gespräch mit Sonja Rosettini und Helmut Plate von Welt.Kunst.Kassel
Das Interview ist im Original veröffentlicht auf der Website von Welt.Kunst.Kassel (www.welt-kunst-kassel.de)
Die documenta ist die weltweit wichtigste Ausstellung für Gegenwartskunst, die Auskunft über Themen, Diskurse und Ästhetik der Kunst in ihrer Zeit gibt. Wie keine andere Großausstellung verbindet die documenta immer wieder Tendenzen der globalen Welt mit ihrem Standort Kassel. Welt.Kunst.Kassel. hat Hans Eichel eingeladen, um mit ihm über die vergangene documenta fifteen und die Kunst in Kassel zu sprechen. Im Interview erzählt er von seinen documenta-Erfahrungen, spricht über Politik, Kunst und seineLeidenschaft für die documenta.
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W.K.K.: Ihr Herz schlägt gewissermaßen für die documenta. Wie kein anderer haben Sie Partei für die documenta ergriffen. Sie haben auch sehr schwierige Zeiten in der documenta-Geschichte erlebt. Ich denke da z.B. an das Defizit, das Harry Szeemanns documenta 5 verursacht hat.
H.E.: Ja, das war zunächst eine für die Weiterexistenz der documenta bedrohliche Krise. Der Aufsichtsrat wollte Harry Szeemann, ein äußerst gewissenhafter Mensch übrigens auch beim Umgang mit Geld, persönlich für das Defizit seiner documenta verantwortlich machen. Das rief weltweit heftige Reaktionen hervor. Museumsdirektoren drohten, keinerlei Leihgaben mehr nach Kassel zu schicken, Kuratoren wollten künftige documenta-Ausstellungen boykottieren, Kunstkritiker ebenso. Der Aufsichtsrat gab schließlich nach, die Krise war abgewendet. Dabei hätte man von vornherein wissen können, dass solche Kunstereignisse, die so stark auf Eintrittsgelder und Sponsorenmittel angewiesen sind, immer ein finanzielles Risiko bedeuten. Über ihre künstlerische Bedeutung sagt das nichts aus. Die d5 z.B. gilt längst als eine der wichtigsten Ausstellungen in der bald siebzigjährigen Geschichte dieser Weltausstellung.
Das Defizit der d5 war, gemessen am Ausstellungsetat, etwa so groß wie 2017 das Defizit der d14. Hätte man 2017 die Erfahrungen beherzigt, die der Aufsichtsrat 1972 machen musste, hätte man sich die Skandalisierung dieses Defizits erspart und so die documenta vor einem Rufschaden bewahrt.
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W.K.K.: Herr Eichel, Sie sind ein ausgezeichneter Kenner der documenta und als Kasseler Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzender der documenta GmbH 1975–1991 waren Sie selbst unmittelbar in eine schwierige Entwicklungsphase der Großausstellung involviert. Sie haben viele documenta Ausstellungen besucht und einige aktiv begleitet, haben selber als documenta-Guide gearbeitet. Welche war Ihre erste documenta, die Sie besucht haben?
H.E.: Ich habe alle documenta-Ausstellungen erlebt, auch die erste schon, 1955. Mein Vater war Architekt und Maler, sehr an der documenta interessiert, nahm mich mit. Aber klare Erinnerungen besitze ich erst an die zweite documenta (1959).
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W.K.K.: Wie konnte die documenta die bedeutendste Ausstellung der Gegenwartskunst, das Forum der globalen Kunstgemeinde werden? Welches waren die Bedingungen dafür und wie kann das so bleiben?
H.E.: Arnold Bode hatte von Anfang an die documenta als periodisch wiederkehrende internationale Kunstausstellung gedacht. In den 1970er Jahren skizzierte er dann schon ihre Globalisierung. Er hat eben immer groß gedacht. Und so haben sich die documenta-Verantwortlichen, bei allen Fehlern, die sie auch begingen, schließlich immer verhalten.
1972 leitete zum ersten Mal ein Externer, der Schweizer Harald Szeemann, die Ausstellung. 1992 versammelte dann Jan Hoet, belgischer documenta-Leiter, erstmals Künstler von allen Kontinenten in Kassel. 1997 erklärte schließlich Catherine David, die erste Frau an der Spitze der documenta, die Kunstausstellung zur Weltausstellung. Seit 2002 gab es dann auch Ausstellungsorte außerhalb Deutschlands, auch auf anderen Kontinenten.
Die Bedingungen dafür, dass die documenta das Forum der globalen Kunstgemeinde, das bedeutendste Ereignis der Gegenwartskunst, bleibt, sind klar: Die künstlerische Leitung muss im Rahmen des Grundgesetzes vollkommen frei sein, niemand darf ihr reinreden. Alle künstlerischen Entscheidungen müssen ausschließlich in der globalen Kunstgemeinde getroffen werden. Das bedeutet: Eine hochkarätige internationale Findungskommission schlägt die künstlerische Leitung vor, die documenta-Leiter machen den Vorschlag für die Besetzung der internationalen Findungskommission. Der Aufsichtsrat übernimmt diese Vorschläge. Es findet also keinerlei politische, staatliche Einflussnahme statt. Das ist einmalig weltweit bei internationalen Kunstereignissen. Das ist die Voraussetzung für die herausragende Bedeutung der documenta.
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W.K.K.: Wenn Sie die bisherigen documenta-Ausstellungen Revue passieren lassen: Wie ordnen Sie die documenta fifteen ein? Was hat Ihnen gefallen? Was hat Ihnen weniger gefallen? Haben Sie persönlich ein Lieblingskunstwerk bei der documenta fifteen gehabt?
H.E.: Die documenta fifteen ist einen großen Schritt weiter zur Globalisierung gegangen. Erstmals verantwortete ein Kuratoren-Kollektiv aus dem „globalen Süden“ das Weltkunstereignis. Das bestimmt ihre bleibende Bedeutung.
Gefallen hat mir der heitere, auf gemeinsames Tun orientierte Geist. Es ging nicht nur um Probleme, sondern um gemeinschaftlich erdachte und erarbeitete Lösungen.
Nicht gefallen hat mir die Unfähigkeit der documenta fifteen zur zugleich nachdenklichen wie offensiven Auseinandersetzung mit ihren Kritikern beim Thema Antisemitismus.
Mein Lieblingswerk dieser documenta war das ruruhaus. Es verkörperte mit seiner Offenheit, dem herrschenden kreativen Geist, der Bereitschaft zum hierarchiefreien Diskurs und der fröhlichen Geselligkeit den Geist dieser documenta wie kein anderer Ort, kein anderes Kunstwerk. Das ruruhaus hätte erhalten und weiterentwickelt werden müssen.
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W.K.K.: Herr Eichel, Sie haben in den vergangenen Monaten die Konzentration auf die Antisemitismus-Debatte beklagt und mit scharfen Mitteilungen das bundesweite Medieninteresse wieder auf sich gezogen. Die Bewertung der documenta fifteen in den meisten deutschen Feuilletons war anfangs durchweg positiv bis euphorisch. Das änderte sich schlagartig nach der Entdeckung der antisemitischen Darstellungen in „People’s Justice“. Von da an berichteten die meisten Medien lange nicht mehr über Inhalte und Konzepte der documenta fifteen, sondern fast nur noch über den „Antisemitismus-Skandal“.
Es war in der öffentlichen Wahrnehmung eine turbulente documenta, ausgelöst durch diese Vorwürfe, die sich ja bis zum Ende der documenta fifteen und darüber hinaus zogen. Wie hätte Ihre Krisenintervention ausgesehen? Was wäre Ihr Rat gewesen, um die Eskalation zu vermeiden?
H.E.: Ich glaube nicht, dass diese Eskalation zu vermeiden war. Die Weichen dazu waren seit Anfang Januar 2022, also lange vor Beginn der documenta gestellt. Wir haben die Ausstellung nicht nach ihren Inhalten befragt, sondern ihr unsere Frage: Wie hältst Du es mit dem Antisemitismus, wie hältst Du es mit Israel im Konflikt mit den Palästinensern, gestellt und uns dann auf ihre Konzepte, ihre Anliegen nicht wirklich eingelassen. Tania Bruguera, die weltbekannte kubanische Künstlerin hat das zu Recht kritisiert.
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W.K.K.: War es unter den gegebenen Umständen ein Fehler, ein Kuratoren-Team zu wählen?
H.E.: Nein. Die Entwicklung in der globalen Kunstszene legte es nahe, erstmals ein Kollektiv mit der Leitung der Ausstellung zu betrauen. Die Findungskommission hat das überzeugend begründet. Das Kollektiv hat sich aber zu wenig auf die Besonderheiten der deutschen Situation eingelassen. Und viele Feuilletons in Deutschland und vor allem die Politik in Deutschland waren überhaupt nicht willens und wohl zum Teil auch gar nicht in der Lage, sich auf die ganz neuen Herausforderungen durch diese documenta einzustellen.
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W.K.K.: Unter anderem ist durch Wortmeldungen zahlreicher außenstehender Kritiker vor allem auch von Politikern, die sogar den Abbruch der documenta fifteen forderten oder die Verlegung in eine andere Stadt und nicht zuletzt durch die in großen Teilen negative Presse der documenta ein nicht unerheblicher Imageschaden entstanden. Sehen Sie Möglichkeiten der Reparatur?
H.E.: Nur allmählich und durch beharrliche Wiederholung der Tatsachen. Boris Rhein, der Hessische Ministerpräsident hat Recht: Die documenta fifteen war zu 99,9 % nicht antisemitisch. Wenn wir in Deutschland so wenig Antisemitismus hätten, würde der Zentralrat der Juden unser Land als eine Insel der Vorurteilslosen loben.
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W.K.K.: Mit der Aufarbeitung des Antisemitismus-Themas beschäftigen sich gleich zwei Gremien. Noch während der documenta hat das siebenköpfige Experten-Gremium mit der Vorsitzenden Nicole Deitelhoff seine Arbeit aufgenommen. Die Ergebnisse stehen noch aus. Und das documenta Institut hat mit seinem Gründungsdirektor Prof. Dr. Heinz Bude und Prof. Dr. Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, ein zweijähriges Forschungsprojekt zur Analyse der Antisemitismus-Kontroverse begonnen. Begrüßen Sie diese Initiativen?
H.E.: Die Einsetzung des Expertengremiums unter Leitung von Frau Prof. Deitelhoff halte ich für grundsätzlich verfehlt: Die Gesellschafter Stadt Kassel und Land Hessen müssen auch nur jeden Anschein von Zensur vermeiden. Auch ist „betreutes Kuratieren“ der Tod der documenta, dafür finden sich keine hochrangigen Kuratoren. Das Wesen der documenta ist die Freiheit. Und auch die Besucher brauchen niemanden, der ihnen qua staatlicher Autorität sagt, was gefährlich ist an der Kunst, die gezeigt wird.
Im übrigen warte ich noch auf die Antwort des Expertengremiums an der Fundamentalkritik, die in ZEIT ONLINE an der „Wissenschaftlichkeit“ seiner Arbeit geübt worden ist.
Prof. Bude und Prof. Mendel haben eine Chance, zur Versachlichung der Debatte beizutragen, nachträglich.
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W.K.K.: Glauben Sie, dass es notwendig ist, Veränderungen in der Geschäftsstruktur der documenta gGmbh, beispielsweise bei den Verantwortlichkeiten des Aufsichtsrates, der Findungskommission, im Verhältnis der Geschäftsführung zur künstlerischen Leitung zu initiieren?
H.E.: Nein. Die Verantwortlichkeiten sind klar. Die künstlerische Verantwortung liegt ausschließlich bei den Kuratoren, Organisation und Finanzen bei der Geschäftsführung, dem Aufsichtsrat und den Gesellschaftern. Jeder muss seine Verantwortung wahrnehmen, keiner darf sich in den Bereich des anderen einmischen.
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W.K.K.: Soll der Bund Gesellschafter werden? etc …
H.E.: Das muss zuerst der Bund für sich selbst entscheiden. Kassel aber darf nichts von seinen 50 % Gesellschafteranteile abgeben. Das ist die einzige Garantie dafür, dass die documenta in Kassel bleibt.
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W.K.K.: Insbesondere DIE GRÜNEN fordern ja solche Veränderungen, u. a. im 5‑Punkte-Plan von Frau Roth. Oder die Alt-Grünen stellen sich eine andere documenta-Zukunft vor, fordern neue Strukturen, mehr Öffentlichkeit und einen Beirat für die Kuratoren. Reinhold Weist hat ein Papier verfasst zur Be- und Aufarbeitung nach der d 15. Festzustellen ist, dass die Politik und einige Interessenverbände mehr und mehr Einflussnahme auf die Institution documenta wünschen.
H.E.: Der Vorschlag von Frau Roth, der documenta eine ähnliche Struktur wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu verpassen mit Aufsichtsgremien, in denen alle möglichen gesellschaftlichen Gruppen vertreten sind, wäre der Tod der documenta. documenta ist frei und radikal subjektiv. Darin liegen ihre enormen Chancen, aber auch ihre großen Risiken. Wer keine Risiken will, kann keine documenta machen.
Die Vorschläge mancher, keineswegs aller Grünen, zeugen von der Unkenntnis der documenta. Sie würden die documenta ruinieren. Und staatlicher und politischer Einfluss hat in dem Weltkunstereignis nichts zu suchen.
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W.K.K.: Sie haben gekämpft für die documenta wie kein anderer. Ich erinnere an Ihre Stellungnahme gemeinsam mit Wolfram Bremeier, Bertram Hilgen und Christian Geselle. Sie haben auch zahlreiche Interviews in der überregionalen Presse gegeben. Sie sind aus der Deutsch-Israelischen Gesellschaft ausgetreten…
Sie haben eine Bekenner-Petition mit dem Titel: DOCUMENTA FIFTEEN: DANKE! mit Dr. Wendelin Göbel initiiert, mit dem Ziel einer Würdigung der documenta fifteen. Die Petition hat 1.753 Unterstützer. 1.309 aus dem Regierungsbezirk Kassel plus 426 Auswärtige.
Sie haben eine WebSite in Form eines Bürgerforums gemeinsam mit Prof. Siebenhaar eingerichtet. „Bürger-Bündnis – d15.de“. Die HNA mit Frau Fraschke, Herrn Lohr und Herrn von Busse, haben saubere und gut recherchierte Beitrage gebracht. In der Debatte waren aus Kassel Christian Kopetzki und Miki Lazar populär vertreten.
H.E.: Die documenta braucht viele engagierte Verfechter, sonst wird sie nicht überleben.
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W.K.K.: Kunst und Politik sind seit jeher untrennbar miteinander verbunden, und doch stellen sie ihr Verhältnis wechselseitig immer wieder neu in Frage. „Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit“, vermerkte Friedrich Schiller. Ohne Freiheit keine Kunst. Wie politisch ist Kunst in Deutschland? Und wo sind der Kunst Grenzen gesetzt?
H.E.: Ich will Schiller widersprechen. Auch in Diktaturen gibt es Kunst. Das hat uns die documenta fifteen, z.B. mit der Präsentation von Kunst aus Kuba gezeigt. Diese Kunst ist meist direkt politisch, agitiert gegen die bestehenden Verhältnisse, die Künstler verstehen sich zugleich als Aktivisten.
Und doch hat Schiller auch Recht. Kunst, die in Freiheit gedeiht, ist niemals eindeutig, niemals einfach agitatorisch, sie ist komplex, lässt verschiedene Deutungen zu. Um diese Kunst zu retten, müssen wir auch in Deutschland, auch für die documenta um die Kunstfreiheit kämpfen, wie sie Art. 5, 3 des Grundgesetzes garantiert. Nur dort, nur am Schluss im Strafrecht liegen die Grenzen der Kunst, nicht z.B. bei den Erwartungen gesellschaftlicher Interessengruppen.
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W.K.K.: Wie bewerten Sie das Spannungsverhältnis von Kunst und Politik?
H.E.: Kunst ist niemals affirmativ, sie bejubelt nie einfach bestehende Verhältnisse. Sie befragt sie auf ihre negativen und positiven Möglichkeiten. Insofern ist sie gegenüber Politik, die meist auf irgendeine Form von Bewahrung des Bestehenden gerichtet ist, subversiv. Das spüren die politisch Verantwortlichen, deswegen versuchen sie, die Kunstfreiheit einzuschränken, in Diktaturen sowieso. Aber auch in Demokratien gibt es diese Versuchung.
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W.K.K.: Hat Kunst heute einen Einfluss auf die Gesellschaft? Haben Künstler Einfluss auf die politische Debatte in Deutschland? Denken Sie, dass die aktuelle politische Situation einen großen Einfluss auf die Kunst hat?
H.E.: Ich sehe nicht, dass Künstler gegenwärtig stärker Einfluss auf die politische Entwicklung zu nehmen versuchen. Zu Willy Brandts Zeiten z.B. war ihr politisches Engagement sehr viel größer und sichtbarer. Brandts Friedenspolitik und sein Einsatz für den „globalen Süden“ regten die Fantasien aller an, die über die bestehenden Verhältnisse hinaus denken wollten.
Umgekehrt gibt es heute eine Tendenz der Politik und einzelner gesellschaftlicher Gruppen, die Kunst- und die Meinungsäußerungsfreiheit einzuschränken. Die Diskussion um die documenta fifteen war — und ist z.T. immer noch — ein besonders erschreckendes Beispiel dafür.
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W.K.K.: Was sagen Sie als Politiker zur derzeitigen politischen Lage? Leben wir in einer gespaltenen Gesellschaft? Die Situation wirkt verfahren, die Lager zerstritten, der gesellschaftliche Diskurs gespannt. Haben Sie eine Idee, wie wir dort wieder herauskommen?
H.E.: Wir leben in einer Gesellschaft, die zunehmend diskursunfähig wird. Man denkt immer mehr nur noch in Schwarz-Weiß, Grautöne, vermittelnde Positionen scheinen immer weniger Chancen zu haben. Gegensätze, Unvereinbarkeiten können offenbar immer noch friedlich ausgehalten werden. Das aber ist erst Demokratie in Bestform. Wie wir aus dieser Verhärtung wieder herauskommen? Sprachlich abrüsten, geduldiges Zuhören, Nachdenken und unaufgeregtes Argumentieren — mehr fällt mir dazu nicht ein. Hoffentlich reicht das auf Dauer.
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W.K.K.: Grundsätzlich stellt sich die Frage: Träumen Sie von einer homogeneren Gesellschaft? Sollte es überhaupt ein Ziel sein, zu einer einigenden Gesellschaft zu kommen? Oder sollten wir im Sinne einer Vielfalt vielmehr lernen, mit Unterschieden konstruktiv umzugehen?
H.E.: Die Schere zwischen arm und reich hat sich viel zu sehr geöffnet bei uns, aber auch weltweit. Das müssen wir dringend ändern, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu bewahren und wieder zu stärken. Kulturelle, ethnische, weltanschauliche Vielfalt dagegen ist Reichtum, wir müssen sie entfalten, kreativ nutzen, keinesfalls zwangsweise einschränken. So machen wir das Zusammenleben im globalen Dorf lebenswert. Davon handelte übrigens auch die documenta fifteen.
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W.K.K.: Kann Kultur dabei helfen, diese Widersprüche und Spaltungen zu überwinden? Ist es überhaupt Aufgabe von Kunst, gesellschaftliche Wunden zu heilen oder wäre diese Erwartung nicht vielmehr eine heillose Überforderung? Oder sollte Kulturpolitik unter Umständen sogar mehr Gewicht in der politischen Landschaft haben?
H.E.: Bei Kunst und Kultur geht es um den kreativen Umgang mit Widersprüchen. Eine von diesem Verständnis geprägte Kulturpolitik sollte eine viel größere Rolle in unserem Zusammenleben spielen. Aber überstrapazieren darf man seine Erwartungen an ihre glück- und friedensstiftende Wirkungen nicht.
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W.K.K.: Wir bedanken uns bei Ihnen für das Gespräch.
Nachlese 1
Achim Müller
Auf den Spuren der documenta fifteen in der Vorweihnachtszeit
Am 6. Dezember 2022 fahre ich erneut nach Kassel. Zweieinhalb Monate nach dem Ende der documenta fifteen ist es eine Suche nach Spuren und einer neuen Antwort in den Wahrnehmungen, den Erinnerungen von Menschen in Kassel und im urbanen Raum, im Stadtbild. Es ist eine erste Annäherung an ein Phänomen: Mit dem jeweiligen Ende der documenta verwandelt sich die Stadt über Nacht zurück in ihren „Normalzustand“ – der nordhessischen Provinzstadt von herbem Charme. Auch diesmal?
Ich beginne die Recherche am ruruHaus, also an dem Ort in Kassel, den ruangrupa vor drei Jahren als ersten in Kassel mit ihrem Lumbung-Gedanken „besiedelt“ hatte. Während der documenta fifteen war hier ein quirliger Begegnungs-, Orientierungs- und Ausgangsort für all die Besucher, die die documenta in diesem Sommer angezogen hat, entstanden. Für einen Sommer lang avancierte das ehemalige Sportkaufhaus zum „Wohnzimmer“ der Stadt und der globalen Kunstwelt zugleich.
Nun wird der Blick auf die farbfrohe Grafik, die von der documenta fifteen geblieben ist, abgelenkt von der großen Rutschbahn auf der Treppenstraße – wegen Sparmaßnahmen zwar ohne Eis, aber freudig belebt und laut.
Im ruruHaus selbst ist ein Impfzentrum eingerichtet worden, ganz im Gegensatz zum Sommer fast unbesucht. Rund um das Gebäude pulsiert die Einkaufsfußgängerzone, der Weihnachtsmarkt, und auf dem Friedrichsplatz, vor dem Fridericianum mit wieder würdevoll weißem Säulenportal ist das riesige gelb-schwarze Zelt des Artistenfestivals Flic Flac fast fertig.
Im Zentrum: erste Straßenbegegnungen
Die Sorgen und Vergnügungen des Alltags haben das Leben im Zentrum Kassel also wieder fest im Griff – was auch im Verhalten der Passanten direkt spürbar ist: Während im Sommer fast alle Angesprochenen für ein Interview zur documenta zu gewinnen waren und sie in der Regel auch besucht hatten, wollen im Dezember nur die wenigsten angesprochen werden. In der Regel eilen sie im vorweihnachtlichen Einkaufsstress vorüber oder möchten nicht vom wärmenden Glühwein abgelenkt werden. Documenta fifteen – tempi passati?
Die Aussagen der zu einem Gespräch Bereiten zeichnen ein nüchternes und eher verhaltenes Bild: neben Ablehnung aufgrund der Antisemitismus-Vorwürfe oder wegen eines zu starken Fokus darauf, wegen zu wenig „schöner“ Kunst findet sich aber auch Wohlwollen wegen der politischen Haltung, der Lebendigkeit und der Zugänglichkeit der im Sommer gezeigten Kunst: geteilte Meinungen bei den Auskunftswilligen
Im Osten: der zweite Befragungstag
Der zweite Nach-documenta-Erkundungstag beginnt in Bettenhausen mit den Spielstätten, in denen zum Höhepunkt im Sommer die Besucherschlangen häufig die Suche nach den Orten erleichterten. Nun ist es hier winterlich grau, aber anders als im Weihnachtseinkaufstrubel der Innenstadt ist die Gesprächsbereitschaft größer, seien es Wartende an der Straßenbahnhaltestelle, Betreiber von Spielstätten, Obdachlose oder Tankstellenkunden. Die Stimmen reichen von wohlwollender Einordnung der Debatten in internationale Diskurse über fröhliche Erinnerung an die Stimmung der Orte bis zum kategorischen „Die schlimmste documenta jemals, was haben die sich dabei gedacht?“. Gemischte Gefühle, gemischte Erinnerungen!
Die sichtbaren Spuren sind rar: ein von den Künstlern zurückgelassenes Bild im Hallenbad Ost, nun wieder Kreativoffice und Eventlocation, die mit Graffiti zu verwechselnden Sprühzeichnungen beim Hübner-Areal.
Am Sandershaus und bei St. Kunigundis sind die Spuren dagegen gründlich getilgt. Wie in den Aussagen des Tankstellenkunden spürbar, gehen auch hier die Alltagssorgen deutlich vor.
Am Fluss und um den Kulturbahnhof herum
Ein ähnliches Bild zeigt sich an der Fulda: Die kinderfreundliche Kletterlandschaft am Bootshaus Ahoi – durch das verschlossene Tor sind lediglich ein paar Pfosten zu sehen – ist ebenso Geschichte wie die Verweilangebote am gegenüberliegenden Ufer. Die Spitzhacke von Claes Oldenburg erzählt wieder ganz alleine von vergangenen documentas und ihrer heimlichen Beziehung zum Herkules.
Weiter geht es, zu den Werken früherer documentas – dem Obelisken der d14 und dem „Man walking to the sky“ am Kulturbahnhof. Feste Fermente der documenta fifteen nirgends.
Selbst das skandalumtoste WH 22 und sein so populärer, gern besuchter Innenhof wirken wie ein fest verriegeltes Paradies. Bonjour tristesse!
Schließlich führt der Weg zum für diesen Tag letzten Ortsbesuch, dem Trafohaus, während der documenta eine weiterer Ort außerhalb des klassischen Ausstellungsbetriebs. Hier gibt es Spuren, liegen- und stehengelassene Gegenstände, Zeichnungen, QR-Codes.
Ohne das dazugehörige lebendige soziale, künstlerische Ereignis sind sie mehr wie Zurückgelassenes denn wie ein Werk für die Kassel, atmen sie eher Achtlosigkeit denn Achtsamkeit.
Dazu passend hat eine Passantin an der Straßenbahnhaltestelle von der documenta fifteen nur vom Hörensagen etwas mitbekommen: Während die Welt für die documenta nach Kassel kam, war sie größtenteils zur Arbeit nach Nordrhein-Westfalen, und hat die documenta auch in ihrer Zeit in Kassel nicht besucht.
Vom Wesertor zum ICE-Bahnhof: der dritte Tag, kein Echoraum
Am letzten Tag geht es zu einem weiteren „Außenort“: dem Wesertor und dem dortigen Stadtteilzentrum. Keine „künstlerischen“ Spuren – aber in den Gesprächen sind konkrete kleine Arbeiten für die documenta und die lebhaften Veranstaltungen in Erinnerung geblieben.
Der letzte Weg durch die Innenstadt, langsam in Richtung ICE-Bahnhof Wilhelsmhöhe wird dann auch forscherisch zu einer bemerkenswerten Abschiedstour: Auf der gesamten Strecke finden sich keine Gesprächspartner, die an einem grauen Dezember-Alltags-Nachmittag über die documenta fifteen im vergangenen Sommer sprechen möchten. Auch das bedeutet Normalität.
Ein erstes Resümé
Was also war noch zu finden von der documenta fifteen mitten im Advent? Im Stadtraum eher zufällig und absichtslos Zurückgebliebenes. Bei den befragten Menschen die aus den Interviews während der documenta im Sommer vertraute Mischung von positivem – starke politische Stellungnahme, leicht zugängliche Kunst aus anderen Regionen, lebendigen Begleitveranstaltungen – bis zu den bekannten Kritikpunktenn – Antisemitismus, verpasste Möglichkeiten für Dialoge, zu wenig „schöne“ Kunst im öffentlichen Raum. In Unterschied zu den Kunstinteressierten im Sommer jedoch war bei den „normalen“ Menschen in Kassel aber oft auch eine deutliche Distanz zur documenta spürbar. Diese auf Bürgerstimmen und urbaner Sichtbarkeit fokussierte Nachlese mag nur den überraschen, der den „Mythos documenta“ oder Kassel nicht wirklich kennt, der vielleicht eine übergroße, zu optimistische Erwartung an die „Nachhaltigkeit“ künstlerisch künstlerisch-kultureller Großereignisse hegt. Die documenta bleibt über ihre No. fifteen hinaus ein unvergleichbares, nur mit einem Ort verbundenes, sich selbst zeugendes System. Was vom Nachhaltigkeitsanspruch und „Ekosystem“ ruangrupas, dem eher auf den zweiten oder dritten Blick Sichtbaren Bestand hat, soll eine „Nachlese 2“ Anfang 2023 herausfinden, in der es um die mit der documenta fifteen verknüpften Projekte und Initiativen gehen wird.
Nachstudie zur documenta fifteen
6. bis 8. Dezember 2022
Zweieinhalb Monate nach Ende der documenta, vom 6. bis 8. Dezember 2022, hat Achim Müller vom IKMW Berlin Kassel noch einmal für eine Feldforschung besucht: Was ist von der documenta fifteen geblieben?
Gefragt wurde sowohl an den zentralen Orten der Documenta Fifteen, dem ruruHaus und dem Friedrichsplatz, als auch an „Außenspielstätten“: am „Kulturbahnhof“, an der Holländischen Straße, am Wesertor, in Bettenhausen und beim Bootshaus Ahoi. Die spontanen offenen Interviews richteten sich auf zwei grundlegende Fragen: Was von der documenta fifteen positiv wie negativ in Erinnerung geblieben war und welche Bedeutung die Documenta insgesamt für das Leben der Befragten und Kassel hat. Für eine einfache soziokulturelle Einordnung wurden auch danach gefragt, was die Befragten am liebsten in ihrer Freizeit taten.
Bei der Auswahl der Befragten wurde darauf geachtet, Menschen verschiedener Altersgruppen, verschiedenen Geschlechts und unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit anzusprechen. Dokumentiert wurden auch abgelehnte Gespräche, um ein vollständiges Bild von der Resonanz der Documenta bei Menschen im öffentlichen Raum von Kassel zu dokumentieren.
Dienstag, 6. Dezember 2022
Vor dem ruruHaus
M/58 J./Kassel/Mittlere Reife
M: Und wenn ich mir das angucke, da muss man wirklich mal die Mitglieder von diesen alten Schuldkomplexen mit dem Nationalsozialismus… Und wenn das da der August Bode wüsste, der die geschaffen hat. Ich kenne seine Nachkommen, die in Kassel wohnen, in Wilhelmshöhe. Das ist nicht das, was er gewollt hat. Und wenn documenta, dann hier. Nicht in Griechenland oder wo. Der August hat das hier gemacht. Und nicht so ein Pipifax. Das ist nichts. Und das kostet euch in den nächsten fünf Jahre eine Menge Leute. Weil die Leute es satt haben. Es gibt genug Theater in der Welt, und dann braucht man das nicht. Wenn man sich Kunst angucken will, dann braucht man das nicht. Dann muss man früher gucken, wenn man da holt, und dann muss man besprechen. Denn ich denke ja, dass die ausstellenden Künstler eingeladen werden. Dann kann es ja nicht sein, dass die einen mit den Palästinensern, der eine mag keine Juden – Pipifax; Kinderkram. Erwachsen werden. Kunst machen, ausstellen, und gut.
I: Was machen Sie sonst in Ihrer Freizeit am liebsten?
M: Ich bin Rentner, ansonsten Fußball. Ein bisschen Feuerwehr. Und Musik, Musikfestivals
Verweigerung:
Weihnachtsmarkt Friedrichsplatz
F und F/20-30 J., slawischer Akzent
Wollten die documenta zwar sehen, haben sie dann aber nicht besucht – nach Aussage einer der beiden Frauen, weil die Tickets zu teuer waren.
Weihnachtsmarkt Friedrichsplatz
F1 und F2/70-80 J./Kassel/Mittlere Reife
F1: Das ist die documenta gewesen, eine Kunstausstellung, und da müssten sie es alles lassen. Das kann man so sehen und so sehen. Wo man dann auch noch auf solche Sachen achten soll. Nee, das hat mit documenta nichts mehr zu tun, mit Freiheit. Fand ich nicht so gut.
I: Hatten Sie andere documentas schon gesehen?
F1: Ja, hatte ich. Immer. Der Beuys … das fand ich besser. Immer da gewesen. Aber das hat mir nicht, hat mir gar nicht … dass sie alles abgemacht haben, abgebaut haben.
F2: Ja, und manche Sachen haben sie ja gekauft, und sind geblieben.
F1: Was haben sie denn gekauft? Ja, gar nichts. Ich weiß nicht, den Obelisk haben sie ja damals gekauft, beim letzten Mal.
F2: Da am Hauptbahnhof, dieser… wie nennt es sich denn? Der auf dem schrägen… der hat einen bestimmten Namen.
F1: Der hat ja in der Aue gestanden. Viele Sachen, die schön waren. War OK. Aber jetzt, dass da so ein Streit, documenta und so ein Streit, zwischen den Künstlern.
Weihnachtsmarkt Opernplatz
M/28 J./Kassel/Mittlere Reife
I: Sie sagten, es war nicht so gut. Haben Sie Sachen gesehen auf der documenta?
M: Nee, dieses Jahr mag ich nicht. Es war halt nicht wie die letzten documentas in Kassel waren. Durch diese politische Sache auch, die dazwischengekommen ist. Das hat mich einfach genervt und das habe ich einfach nicht akzeptiert. Deswegen habe ich die documenta dieses Jahr ausgelassen.
I: Die davor haben Sie Sich angesehen?
M: Ja, habe ich mir angesehen. Das fand ich auch viel schöner. Dieses Jahr wurden ja nicht so Sachen aufgebaut, die … Bei den letzten documentas waren halt Sachen, die viel schöner waren, und interessanter waren.
I: Was machen Sie sonst am liebsten in Ihrer Freizeit?
M: In der Freizeit Sport, Fußball.
Weihnachtsmarkt Opernplatz
F/58 J/Kassel/Hochschulabschluss
I: Was ist Ihnen denn von der documenta in Erinnerung geblieben?
F: Viel, viel mehr Auseinandersetzung als sonst, im negativen Sinne. Die, wie ich fand, fatale Kampagne zum Antisemitismus, die man für einen Dialog hätte nutzen können – was ja ruangrupa und die Kollektive gewollt haben. Ich finde, es ist eine documenta der vertanen Chancen.
I: Hatten Sie vorher schon andere documentas gesehen?
F: Ja, natürlich. Kassel ist meine Wahlheimat, und deswegen immer wieder.
I: Wie sehen Sie grundsätzlich die Bedeutung der documenta für Kassel?
F: Das ist so das, wenn man international unterwegs ist, was Menschen, die Städte kennen, die größer sind als 200.000 Einwohner, überhaupt mit Nordhessen verbinden. Das ist das, was uns in die Welt trägt. So sehe ich das.
I: Was machen Sie sonst am liebsten in Ihrer Freizeit?
F: Ich bin sehr gerne unterwegs, in Kassel, um Kassel herum und auch ein bisschen weiter. Ich bin ein bisschen ökologisch, deswegen in Europa unterwegs. Ich treffe mich sehr gerne mit anderen Menschen, mit Freunden, und liebe es, dann zu kochen.
Verweigerung:
Weihnachtsmarkt Friedrichsplatz
M und M/30-40 J. und M und F/30-40 J.
Zwei junge Männer und ein junges Paar bleiben kurz stehen, haben aber die documenta nicht besucht und auch keine wirkliche Vorstellung davon, was die documenta ist.
Verweigerung:
Weihnachtsmarkt vor dem ruruHaus
F/40 bis 50/
Hat diese documenta – anders als vorherige – nicht besucht und will nicht interviewt werden.
Weihnachtsmarkt vor dem ruruHaus
M/28 J./Kassel/Hochschulabschluss, F/26 J./Kassel/Hochschulabschluss
I: Was ist von der documenta fifteen in Erinnerung geblieben?
M: Falscher Umgang, finde ich. Mit dem Gemälde, mit der Debatte um Taring Padi – finde ich den falschen Umgang. Gerade in Deutschland. Dass man es eher cancelt als im Raum zu diskutieren. Das wäre so mein Eindruck. Haben wir heute schon in der Stadt drüber gesprochen. Wenn man Sachen wiederherstellt, ist es, als wär’s kaschiert. Wenn man’s weghängt, ist es, als wär’s kaschiert.
F: Ich fand, das hing auch wie eine große graue Wolke über allem. Das ist auch, was mir immer noch in Erinnerung geblieben ist. Wir haben viel mit Studierenden zu tun, weil wir an der Uni arbeiten, und wenn man mit denen spricht, die neu nach Kassel gekommen sind: Da haben viele gesagt, sie seien bewusst nicht zur documenta gegangen.
I: Hatten Sie schon andere documentas besucht?
F: Ja.
M: Ich nicht.
F: Ich kenne die davor. Vielleicht was positives: Ich finde, dass die jetzige documenta weniger finanziell wirkte als die davor. Mehr kollektive Gedanken, mitmachen
M: Mehr mit dem Fokus auf einer kollektivierten Kunst aanstatt einer avantgardistischen, die so abgekapselt ist, für bestimmte Gruppen, die Geld haben. Es war viel niedrigschwelliger.
F: Auch weniger den Wert als Kunst, sondern Kunst als Happening. Aber auch gesellschaftliche, politische, kulturelle Themen aufgearbeitet, nicht einfach nur Ästhetik. Was ich auch gut fand, war der Standort im Kasseler Osten. Dass das auch stärker in das Stadtgeschehen eingebunden werden muss. Dass die da angefangen haben, Orte aufzuzeigen, mit denen man sich in den nächsten Jahren beschäftigen sollte.
I: Was machen Sie sonst am liebsten in Ihrer Freizeit?
F: Wir sind Architekten und Architektur Studierende. Unsere Freizeit bestimmt die Architektur.
M: In letzter Zeit viel Kino. Viel in den Programmkinos hier. Die brauchen ja auch Unterstützung.
Am Obelisken
M/67 J./Kassel/Mittlere Reife
I: Was ist von der documenta fifteen in Erinnerung geblieben?
M: Ich weiß nicht, wie die Kirche heißt, an der Leipziger Straße. Kunigundis-Kirche. Da war ich ziemlich beeindruckt. Also, die ganze documenta hat mir gut gefallen. Auch dass da für Kinder, dass da mal ein Spielplatz war. Das war ganz gut.
I: Hatten Sie andere documentas gesehen?
M: Ja, habe ich schon. Es ist schon die dritte oder vierte. 20 Jahre bin ich ungefähr hier, also die vierte documenta.
I: Und welche Bedeutung hat die documenta aus Ihrer Sicht für Kassel?
M: Ja, ich finde gut, dass das hier so ein Künstlerstandort ist und dass das alles organisiert wird von hier aus. Und ich finde, das Interesse ist da auch rege. Das organisieren immer irgendwie andere. So weit.
I: Was machen Sie sonst am liebsten in Ihrer Freizeit?
M: Ich bin Rentner, am liebsten gehe ich spazieren. Höre Musik.
Gesammelte weitere Verweigerungen vom 6. Dezember 2022
Am RuruHaus
- Zwei slawische Frauen – keine Zeit
- Nettes junges Paar von rechts nach links, auch keine Zeit
- Viele Menschen, die sich gar nicht ansprechen lassen, verschlossen herumlaufen oder mich ignorieren
Weihnachtsmarkt beim Karussel (Friedrichsplatz)
- Zwei junge Männer mit Akzent, 20-30, sehr freundlich, sagen erst, dass ihr deutsch schlecht sei, dann aber, weil sie die documenta nicht besucht haben
Weihnachtsmarkt beim Weihnachtsmann (Opernplatz)
- Dreiergruppe, zwei Männer und eine Frau, einfach, zwischen 30 und 40, haben die documenta nicht besucht
- Einzelner migrantischer Mann, mit Glühwein, hat zwar ein paar Sachen gesehen, will sich aber nicht darüber unterhalten, weil er sich mehr für Fußball interessiere
Mittwoch, 7. Dezember 2022
Leipziger Straße, Bushaltestelle vor dem Hallenbad Ost
M/20-30 J./Kassel
I: Was ist von der documenta fifteen in Erinnerung geblieben?
M: Dass ich Schwierigkeiten hatte, aus dem Bett zu kommen, auch zum Arbeiten. Aber an und für sich ist es nicht schlecht gewesen. Aber die Musik von hier war ziemlich laut. Das hätten sie ein bisschen leiser machen müssen.
I: Haben Sie Sich auch etwas angeschaut?
M: Ja, ich hab mal da und mal da geschaut. Also schlecht war’s nicht, muss ich sagen. Viel Spaß gehabt.
I: Haben Sie Sich andere documentas schon angesehen?
M: Nein, noch nie, ehrlich gesagt
I: Hat es für Sie irgendeine Bedeutung, dass es die documenta gibt?
M: Ehrlich gesagt: Leider nein.
Hallenbad Ost
M/49 J./Kassel/Hochschulabschluss
I: Was ist für Sie von der documenta geblieben?
M: Bei uns am Ort ist natürlich auch ein bisschen so der Spirit geblieben. Wir hatten gestern hier eine Kunstausstellung von dem Saki, das ist einer von dem Sobat Sobats gewesen. Das poppt immer wieder auf, das Thema. Da wird natürlich auch gewitzelt. Ich bin ja jetzt auch Kurator, und dann so: „Hast Du denn auch geguckt, ob da jetzt Antisemitismus auf dem Bild, in der Bildsprache, zu finden ist?“ Das ist jetzt ein Witz. Nein, das Thema hängt natürlich von der d15 noch nach. Leider. Aber auf der anderen Seite haben die Kollegen dieses Bild hier vergessen. [lacht] Wir haben es mal hier hingehängt, und würden es auch sofort abgeben. Aber vielleicht ist es ja auch eine ganz nette Anekdote. Passt auch wunderbar hierher. „Die Wasser des Lebens“ oder so, so heißt das ungefähr. Was haben wir sonst noch hier am Ort? Wir haben hier diesen „Reflecting Point“, was ja so eine Parallelarbeit vom Bund der Architekten war, das steht immer noch. Gestern zum Beispiel ist ein Besucherin, eine Kunstliebhaberin, angekommen und hat gesagt: „Wir haben ein documenta-Kunstwerk, [Name des Werks], hieß das glaube ich, das wollen sie auf einem Privatgrundstück aufbauen, und die brauchen einen Bauantrag für einen Schuppen. Solche Begegnungen und Anekdoten.
I: Sie sagen, sie hätten gestern noch darüber gewitzelt. Wie stark sind denn diese Debatten noch in den Köpfen?
M: Also in Kassel war ja immer das Verhältnis ein bisschen anders zu dem Thema, als es bundesweit debattiert worden ist. Wir haben uns eher, schon während der documenta, angeguckt: Was nimmt denn die Auslandspresse eigentlich wahr. Und da ist ja gerade letzte Woche auch rumgegangen in den Social Media, dass ruangrupa in New York auf dem ersten Platz beim wichtigsten Influencer auf dem Kunstmarkt – ich weiß nicht so genau. Aber sowas wird natürlich diskutiert. „Wir haben es ja immer schon gewusst.“ Und wir standen ja auch immer – „wir“ heißt die Kasseler Kunstszene … Ich glaube, dass da nicht allzu viele an der Intention von ruangrupa gezweifelt haben. Dass da einige Bilder sehr unglücklich waren, das steht außer Frage. Das ist immer noch in Gesprächen immer wieder mal Thema. Es gibt ja verschiedene Initiativen, die sich auch im Jahresrückblick damit beschäftigen. Ob man da eine Jahresabschlussveranstaltung hier im Haus macht, oder der Runde Tisch der Kasseler Kulturgesellschaft, da wird das auch aufgearbeitet, darüber gesprochen. Das ist im Moment noch Thema. Ich bin gespannt, wie das im Rückblick in drei, vier, fünf Jahren aussieht. Ob dann sich dann die Meinung von außen, dass wir es übertrieben haben mit dem Thema Antisemitismus, dass es eigentlich viel wichtigere Themen gab auf der documenta, die leider sehr in den Hintergrund geraten sind – das wird sich hoffentlich durchsetzen.
I: Ich bin gerade dabei, hier einen Rundgang zu machen: St. Kunigundis, Sandershaus, Hübner Areal, hier. Haben Sie den Eindruck, dass das hier vor Ort, bei den Menschen, die hier leben, etwas verändert hat?
M: Also bei den Kulturschaffenden vielleicht, hier rundrum – Sandershaus, Agathenhof weiter hinten. Bei den Bewohnern kann ich die Frage nicht beantworten. Weiß ich nicht. Muss ich passen.
Verweigerung:
Bettenhausen Dorfplatz
M und F/20-30 J.
Bleiben kurz stehen. Beim Wort „documenta fifteen“ sagt der junge Mann mit Kapuzenpulli „Oh, bitte nicht!“ und geht wütend weiter.
Bettenhausen Dorfplatz
M/ca. 30 Jahre, F/ca. 50 Jahre/beide aus Kassel, beide scheinbar obdachlos.
I: Was ist Ihnen denn in Erinnerung geblieben von der documenta fifteen?
M: Also, ich habe mit die documenta fifteen an der … am Hallenbad Ost. So eine Art Naturkundemuseum war das. Das war mehr über historische Gesellschaften. Über frühere, von älteren Generationen, die vor uns gelebt haben. So eine Art Neandertaler. So was in der Art. Das habe ich mir angesehen. Auch so ein Art indianisches Gebäude war da, aus Holz. Da waren auch Musiker, die haben da Musik gespielt.
F: Genau, unser Kollege, hier. Der [Name], mein Kollege hier, aus [Land], der spielt wunderbar [Instrument], der spielt ohne Noten. Der war früher Orchesterchef, hier [Name Band], ist leider obdachlos, unser [Name], der schläft heute da, morgen da. Keine Wohnung. Platz verloren, Katastrophe. Aber wir wollen über die documenta sprechen. Ich war auch da, Hallenbad Ost. Da waren diese Pappfiguren, interessant. Alle Nationalitäten. Musste erst mal sehen: Was ist das hier? Türkisch, und chinesisch. Hier, Kung Fu Fighting. Es war recht interessant. Ich war dort wegen meinem Kollegen. Der hat wunderbar Geld gemacht. [Musikstück] spielt der. Publikum hat angebissen. Der hat Geld gemacht, 20 Euro und noch mehr. Da haben wir uns was gekauft. Zu essen und was man so braucht. Das wär’s dann von der documenta.
Verweigerung:
Vor der Kirche St. Kunigundis
M/40 – 50J./starker Akzent, vielleicht nordafrikanisch, vielleicht aus dem Nahen Osten
Freundlich, wollte aber nicht aufgenommen werden. Sagt sofort: „Die schlimmste documenta. Die Bilder, die die hier gezeigt haben…“ [zeigt auf St. Kunigundis]. Wohnt in Kassel, hat schon viele documentas gesehen. Tenor: „Früher, in der Innenstadt … alles viel schöner. Überall Sachen. Und diesmal – ich weiß nicht, was sich die Politiker dabei gedacht haben. Alles ganz furchtbar.“
Tankstelle am Sandershaus
M/50 bis 60/starker Akzent
I: Was ist von der documenta fifteen im Sommer in Erinnerung geblieben?
M: Die hier auch gewesen ist? Das Problem ist: Ich war gar nicht dabei. Wo arbeiten in drei Schichten, keine Zeit. Also ich war gar nicht da, aber ich glaube, war gut. Meine Frau war glaube ich ein paar Mal da. Aber sonst, ich war nicht da. Keine Ahnung, das ist die Wahrheit. Weil, wenn Du arbeitest drei Schichten, hast Du keine Zeit. Ich musste das Wochenende auch arbeiten, und dann Katastrophe. Aber es gibt Leute, die haben das mitgemacht, gesehen. Was ist neu, was sich verändert. Aber ich nicht. Du weißt ja, heute ist es schwierig. Deinen Job behalten, zum Leben. Schwierig.
I: Hätten Sie es Sich gerne angesehen?
M: Ja. Vor jetzt drei Jahren, früher. Da ich habe frei gehabt, da war die Firma… Im Sommer. Das ist das Problem im Sommer. Entweder arbeitest Du oder bist Du zuhause. Und da war was gekommen, ich hatte was mit Füßen, und ich war zuhause. Aber ich konnte laufen, ich konnte gehen, wo ich will. Da ich war überall. Jetzt vor vier, dreieinhalb Jahren. Da war ich überall, Friedrichsplatz, überall. Das war gut gewesen. Aber dieses Jahr war es komisch. Das weißt Du auch, brauche ich Dir nicht zu sagen. Wenn Du keine Zeit hast, Früh, Spät, Nacht, drei Schichten. Das ist nicht eine Woche – eine Woche, dass ist alle zwei Tage. Zwei Tage früh, zwei Tage spät, weißt Du. Da kommst Du nicht. Deswegen wirklich, ich habe das gar nicht mitgekriegt.
I: Aber ist es trotzdem gut, dass es das gibt?
M: Natürlich! Man lernt. Neue Erfahrungen! Wie Ökologie – wie wechselt … Wie Du sagst. Dieses Jahr… Aber wie meine Frau sagt: Das hat sich nicht so 100% verändert. Das ist ein bisschen ähnlich geblieben. Ein bisschen vielleicht, so ein großer Unterschied ist nicht. Hier habe ich das gesehen: Manchmal rede ich mit dem, der hat das gesehen. Der hat gesagt: Vielleicht 10% geändert. Ich verstehe auch nicht so viel von diesen Sachen. Wie soll ich Dir sagen? Es ist schwierig.
Aber wenn Du hier suchst nach Erfahrungen, es ist auch schwer, hier Leute zu kriegen. Hier, siehst Du, ist Katastrophe. Hier sammeln sich nur Autohändler, die Schrott machen. Keiner interessiert. 100%. [lacht] Deswegen, Leute, die das gesehen haben – ich kann Dir nicht versprechen. So richtig: Wer hat mitgemacht? Das kann ich Dir nicht sagen.
In dieser Zeit ist es schlimm geworden. Alles teuer geworden. Man macht seinen Job, Geld bleibt oder nicht bleibt. Wir haben Kurzarbeit. Katastrophe. Und deswegen hast Du kein richtiges Interesse für neue Sachen. Du musst erstmal klarkommen, mit Deinem Leben. Jetzt hast Du das, das, das… vielleicht Urlaub. In Deinem Kopf hast Du immer: wie soll ich das finanzieren. Das lässt die Menschen nicht, wie Du sagst, schön in Ruhe: Mal sehen, mitmachen, alles sehen.
Aber die Leute, die dabei sind. Ich glaube, die meisten von außen. Von Kassel vielleicht – meine Meinung – 10%, vielleicht 15%. Wie hab ich das mitgekriegt? Ab und zu gehe ich hierher zum Tanken. Da war es jeden Tag voll mit Leuten. Das merkst Du sofort, das sind Fremde. Aber das war richtig voll. Von Montag bis – ich glaub, das geht bis Sonntag abend. Die haben sich überall gesammelt hier, aber ich glaube, von Kassel wenig. Die sind alle von außen. Berlin, Mannheim, Stuttgart, Leipzig, überall. Aber aus Kassel ich glaube 10%. Weil Leute haben Probleme mit Leben. Hier die meisten Hartz IV, wenige Jobs. Du hast zwar einen Job, aber trotzdem kannst Du keine Familie ernähren. Da musst Du wieder Staat. Papier ausfüllen. Monatsrechnung schicken. Abwarten. Stressig. Diejenigen, denen es gut geht: Ich glaube, die haben das mitgemacht. 100%. Hier aber… kann man nichts ändern. Wie kannst Du die Lösung suchen? Schwierig. […] Dahin oder gehen wir lieber einkaufen. Da siehst Du, was da läuft: Deswegen haben die Leute kein Interesse zur documenta, oder irgendwas neues. Hauptsache Essen, dass man auf seine Reihe kommt. Wenn man Ruhe hat, und wenn ich versuche – wie Du sagst, es ist documenta, oder irgendwas mit Wissenschaft. Ich sag nur, das interessiert mich, aber ic habe keine Ruhe. Das heißt: Auch wenn Du das mitmachst, reagierst Du nicht so.
Gehweg vor dem Bootshaus Ahoi
M/36 J./Kassel/Hochschulabschluss
I: Was ist Ihnen von der documenta in Erinnerung geblieben?
M: In Erinnerung – die vielen Menschen, die hier im Viertel waren und das Viertel belebt haben. Der Lumbung-Gedanke, also dieses Miteinander. Das lebhafte Kunst-Erleben, wenn ich das mal… also, dass viele Veranstaltungen waren. Viele Zusammenkünfte, sage ich mal. Also es war richtig viel los, das ist mir in Erinnerung geblieben. Es war sehr freundlich, und … wie soll ich sagen … so auf Augenhöhe. Ich hatte selbst ein bisschen damit zu tun und hatte auch direkten Kontakt mit den Kuratoren. Das war sehr nett.
I: In welchem Rahmen?
M: Wir sind an der [Unternehmen] und hatten da ein paar Aufträge für die documenta, haben aber auch einfach Freundschaften geschlossen mit den Künstlern.
I: Hatten Sie auch schon andere documentas gesehen?
M: Ja, die davor und die davor. Also die 13 und 14.
I: Welche Bedeutung hat das insgesamt für Sie, die documenta in Kassel.
M: Insgesamt, nicht nur für diese? Ich würde schon sagen, dass das eine Bubble ist. Das ist schon, sage ich mal, dass nicht alle Kasseler daran partizipieren, aber ich würde schon sagen: Dass für die Stadt, die ja nicht so super viel bietet ansonsten, die documenta schon ein riesiger Gewinn ist. Ich finde das sehr sehr wichtig. [unverständlich wegen Nebengeräuschen] Ich finde es immer schön, wenn viel im Außenbereich stattfindet. Das fand ich … Ich hätte mir noch ein bisschen mehr in der Aue gewünscht, im Aue-Park. Da fand ich es ein bisschen wenig. Da finde ich es immer schön, wenn da viel – weil es ja auch im Sommer stattfindet – draußen stattfindet.
I: Was machen Sie sonst in Ihrer Freizeit am liebsten?
M: Sport. Und Musik. Singen.
Verweigerung:
Neben dem Flic-Flac-Zelt
F/25 – 35J.
Scheinbar polnischer Akzent, verstehen und sprechen so schlecht Deutsch, dass sie nicht interviewt werden sollten.
Verweigerung:
Weihnachtsmarkt
M/50 – 60J.
Spricht nach eigener Aussage nicht genug deutsch, um sich befragen zu lassen.
Weihnachtsmarkt
M/76 J./Jesberg/Mittlere Reife
I: Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben von der letzten documenta?
M: Vor allem diese Plakatwand mit diesen Riesenskandalbildern.
I: Haben Sie die noch gesehen?
M: Ja klar, ich war ziemlich am Anfang da.
I: Und wie haben Sie das Abhängen und die Diskussion darum wahrgenommen?
M: Na, ich betrachte es als künstlerische Freiheit und ich würde sagen, da sollte man nicht so empfindlich drauf reagieren. Meine Meinung.
I: Hatten Sie schon andere documentas gesehen?
M: Vorher? Ja, schon.
I: Aus Ihrer Sicht: Welche Bedeutung hat die documenta insgesamt für Sie und für Kassel?
M: Ich bin gerne unterwegs normalerweise. Ich hatte aber dieses Jahr im Sommer wenig Zeit, weil ich gesundheitliche Probleme hatte, deswegen nur ein so kurzer Aufenthalt.
I: Was machen Sie sonst am liebsten in Ihrer Freizeit?
M: Ich bin sehr viel am Computer, lese viel und gucke auch relativ viel fern. Mache auch lange Wanderungen durch den Wald.
Verweigerung:
Weihnachtsmarkt
M und W/beide 40 – 50J.
Wollen nicht bei ihrem Gespräch gestört werden.
Verweigerung:
Vor der Handwerkskammer
W/40 – 50J./ Kassel
Sagt, dass sie keine Ahnung von der documenta habe, die documenta noch nie gesehen habe. Musste die documenta immer mit der Schule besuchen und hat jetzt überhaupt nichts dafür übrig. Seitdem nicht da gewesen, deswegen auch nicht bei der documenta fifteen.
Werner-Hilpert-Straße, vor dem Hauptbahnhof
M/29 J./Kassel/Abitur
I: Was ist denn hängengeblieben von der documenta?
M: Ich bin nicht so derjenige, der in die Orte reingeht, ich gucke mir immer vor allem die offen stehenden Exponate an. Ich bin häufig am Rondell spazieren gegangen, bei dieser Installation im Wasser, und dem Gemälde, was bei dem Wasser hing. Das ist mir so spontan noch in Gedächtnis geblieben. Und natürlich, ein bisschen übergeordnet, der ganze juristische Presse-Sprech, der diesen Sommer über die documenta veröffentlicht wurde. Da war ja viel Nebenschauplatz der documenta, was es dieses Jahr auch gab.
I: Und haben Sie die documenta insgesamt als positiv oder negativ wahrgenommen?
M: Also das, was am Ende noch zu sehen war, fand ich jetzt nicht schlecht – also es war nicht negativ. Generell wird diese documenta nicht unbedingt als Pluspunkt gewertet, tatsächlich. Es wurde viel diskutiert. Dann wurde noch diskutiert, sie sollte abgesagt werden oder in Zukunft nicht mehr stattfinden. Ich glaube, es ist ganz gut, dass sie gesagt haben, wir machen es auf jeden Fall weiter. Aber es war definitiv kein gutes Jahr für die documenta.
I: Hatten Sie andere documentas schon gesehen?
M: Ja, vor fünf Jahren war ich schon mal hier, seitdem bin ich in Kassel.
I: Und was ist Ihr Eindruck, welche Bedeutung hat die documenta für das Leben in Kassel?
M: Da fällt mir spontan nichts zu ein. Es ist so: Die documenta ist eher so ein passiver Effekt. Man würde eher bemerken, wenn die documenta nicht mehr da wäre. Und zwar nicht durch das Jahr selber, wo keine documenta stattfindet, sondern einfach dadurch, dass in den anderen Jahren auch nicht viel gemacht wird. Ich glaube, die documenta hat erstmal einen positiven Effekt auf Kassel, und an Veranstaltungen, die dann auch da sind. Das nochmal anfügend, was hängenblieben ist: Mir fällt immer auf, wenn documenta-Sommer ist, wie viel für Besucher noch frei gemacht wird. Dann ist hier noch ne Veranstaltung, ne Ausstellung, die frei gemacht wird, wo man sich nett zusammensetzen kann. So etwas kommt auch immer gerne durch die documenta. Das fehlt Kassel sonst tatsächlich.
I: Was machen Sie sonst am liebsten in Ihrer Freizeit?
M: Ich bin tatsächlich sehr viel gerne am Computer, ich fahre gerne draußen mit dem Fahrrad, und ab und zu gehe ich mal klettern.
Straßenbahnhaltestelle vor Trafohaus
W/31 J./Kassel/Mittlere Reife, Krankenpflegerin
I: Was ist denn in Erinnerung geblieben von der documenta?
W: Leider war ich nicht da im Sommer. Eine Woche oder so. Ich war in Mannheim.
I: Und haben Sie von der documenta etwas mitbekommen?
W: Eigentlich nicht.
I: Wohnen Sie in Kassel?
W: Ja.
I: Hatten Sie von früheren documentas etwas mitbekommen?
W: Ich glaube … Nein. Über meine Arbeit – Foto – meine Kolleginnen, ja. Aber ich nicht.
Verweigerung:
Straßenbahnhaltestelle vor Trafohaus
M/20 – 30J./Szene-Sportkleidung, vielleicht Transgender
Weist Ansprache brüsk ab.
Donnerstag, 8. Dezember 2022
Stadtteilzentrum Weserstraße
M/32 J./Kassel
I: Was ist denn so von der documenta geblieben?
M: Na, ich habe ja auch Bänke und so gestaltet hier. Und es ist ja auch nicht mehr viel übrig von der documenta hier. Das wurde alles wieder abgebaut, weggemacht, weggeräumt. Viel kann ich nicht dazu sagen.
I: Sie sind Teil von dem Team hier?
M: Ja, genau.
Stadtteilzentrum Weserstraße
M / 29 J./ Kassel/Mittlere Reife
I: Was ist denn so in Erinnerung geblieben von der documenta?
M: Viele Sachen, nicht so gute Sachen. Ganz viele rechtsradikale, antisemitische Äußerungen. Hier in Kassel sehr extrem. Das ist auch für mich hier in Kassel sehr extrem.
I: Also nicht nur von der documenta, sondern insgesamt.
M: Ja, genau. Ich finde, mit der documenta ist es auch nochmal ziemlich deutlich geworden, was Kassel davon hält und wie es sich da positioniert. Was ich echt schade finde, weil ich sie mir gerne angeguckt hätte, aber ich dann für mich gesagt habe: Das sind Gründe, das nicht zu unterstützen.
I: Sie haben die documenta dann auch selber gar nicht besucht, auch nicht die Sachen, die hier nebenan waren?
M: Also hier nebenan tatsächlich… da drüben waren immer Veranstaltungen, die kriegt man dann ja auch immer mit. Hier war das immer OK. Hier ist ein geschützter Rahmen, hier würde so etwas auch gar nicht akzeptiert. Das waren schon schöne Veranstaltungen, auch die Leute, die hier waren, auch da hinten im Hofgarten.
I: Hatten Sie vorherige documentas schon mitbekommen?
M: Ja, bei der vorherigen documenta war ich da, da war ich auch selber ein Teil eines Ausstellungsprojektes, da ging es auch um Kassel, um viele unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Herkünften, auch transsexuell zum Beispiel. Da wurde ich gefragt, ob ich mich mit Bildern, also den Entwicklungsweg … das war eigentlich gar nicht schlecht, da habe ich mich gefreut, dass es dieses Jahr wieder… aber…
I: Wenn Sie das insgesamt betrachten: Können Sie sagen, welche Bedeutung die documenta in Kassel oder auch für Sie, in Ihrem Umfeld, hat?
M: Weiß ich nicht. Kann man ja jetzt nicht sagen. Man weiß ja auch nicht, ob das jetzt noch mal hier stattfindet. Eher ja nicht. Was ja nachvollziehbar ist, was ich sehr traurig finde, weil sich Kassel sehr gut dafür geeignet hat.
I: Was machen Sie sonst am liebsten in Ihrer Freizeit?
M: Musik.
Waschcenter am Wesertor
M/ 23 J. /Kassel/Hochschulabschluss
I: Was ist denn von der documenta in Erinnerung geblieben?
M: Leider bin ich erst im November hierhergezogen, deswegen bin ich nicht zur documenta gegangen. Aber ich weiß [kenne] die Institution der documenta, und es ist sehr schade für mich, dass ich die documenta nicht mehr sehen kann.
I: Was für ein Bild haben Sie aus den Sachen, die Sie gehört haben? Was für ein Bild von der documenta ist für Sie entstanden?
M: Ich habe gehört, dass die documenta eine große Ausstellung ist, wo viele Leute ihre Meinungen und Werke mitteilen. Für politische Meinungen und Kultur, auch für Diskussionen über Städte und über den Menschen. Das ist, was ich gehört habe.
I: Was machen Sie am liebsten in Ihrer Freizeit?
M: In der Freizeit mag ich ins Fitnessstudio zu gehen, Filme schauen, ich gehe oft in den Filmpalast, und Musik hören. Und ich mag Kochen.
Am Wesertor
M/60 bis 70 Jahre/Kassel
Verweigert die Aufnahme des Gesprächs, gibt dann aber ein längeres Interview.
Sagt, dass er diese documenta aus politischen Gründen weitgehend boykottiert habe – weil er der Meinung war, dass man die antisemitischen Karikaturen nicht hätte zeigen dürfen. Dass der Umgang anders hätte sein müssen. Ruangrupa selbst nimmt er in Schutz: Aus seiner Sicht seien das Indonesier, die wahrscheinlich unseren Umgang mit Antisemitismus, den wir aus unserer Geschichte haben und haben müssen, nicht kennen können. Aber man hätte es aus dieser Geschichte sowohl vor der documenta als auch nach Beginn der documenta handhaben müssen, die Diskussionen offensiver führen müssen. Er glaubte auch den Besuchszahlen nicht, er hatte auch im Vergleich mit früheren documentas den Eindruck, dass deutlich weniger Menschen, vor allem aus dem Ausland, in seinem Umfeld am Wesertor waren. Er war sehr dezidiert: In Indonesien, das ist ein anderes, ein muslimisches Land. Andere Themen, andere Sensibilisierung, auch andere Geschichte mit dem Antisemitismus als in Deutschland – er kenne das Land nicht und könne das nicht einschätzen. Aber in Deutschland würde er solche Dinge aber eben nicht sehen wollen, und darauf hätte man klarer, eindeutiger und direkter reagieren müssen. Ruangrupa seien überrumpelt von dieser Diskussion, sieht Verantwortung bei Claudia Roth, die aus seiner Sicht zu spät reagiert habe.
Außerdem wünscht er sich eine bessere Streitkultur in Deutschland. Mehr Austausch, mehr kontroversen Austausch auf Augenhöhe.
Er spricht sich auch gegen Politisierungen aus. Aus seiner Sicht war es eine „schräge“ documenta, die so stark politisiert gewesen sei. Aber er sehe das auch insgesamt, alles sei politisiert, er spricht auch Fußball an. Man wolle vielleicht mal wieder Kunst sehen oder Fußball, ohne eine politische Metadebatte dazu – das würde er sich auch für die documenta wünschen.
Verweigerung
Vor Berufsschule am Wesertor
M1 und M2/knapp 20/Berufsschüler
Haben von der documenta nichts gesehen, weil sie nicht aus Kassel kommen.
Verweigerung
Zeughausstraße
M/Ende 40
Ist heute zum ersten Mal in Kassel und kann mir nichts zur documenta sagen.
Verweigerung
Untere Königsstraße
M und F/60 bis 70 J.
Schlecht gelaunt, zögert kurz, M grummelt: „Ah die wollen was wissen.“ und geht weiter.
Verweigerung
Untere Königsstraße
M1 und M2/20 bis 30 J.
Gut gelaunt spanischsprechend, antworten fröhlich „No entiendo.“ und ziehen weiter.
Verweigerung
Königsplatz
F1 und F2/20 bis 30 J.
Zwei junge Frauen mit Kindern auf dem Weihnachtsmarkt, wollen nicht beim Glühweintrinken gestört werden.
Verweigerung
Friedrichsplatz
F/50 bis 60 J.
Frau am Rande des Weihnachtsmarkt mit „schicken“ Einkaufstüten; murmelt etwas von „keine Zeit“, kramt in den Einkaufstüten und dreht sich um.
Verweigerung
Friedrichsplatz
M und F/25 bis 35 J.
Ehepaar mit Migrationshintergrund, wollen / können zur documenta nichts sagen, weil es sie nicht interessiert.
Verweigerung
Untere Königsstraße
F1 und F2/um 20 J.
Zwei schüchtern junge Frauen. Sagen, dass sie, außer dem, was offen zugänglich war, nichts gesehen haben.
Verweigerung
Friedrich-Ebert-Straße, Straßenbahnhaltestelle
F/20 bis 30 J.
Mit Koffer und schlecht gelaunt. Sagt, sie müsse zum Zug (wird später von Bekanntem von der Haltestelle abgeholt.
W/25 J./
Abitur
Vellmar
Telefonisch
I: Was haben Sie gesehen von der documenta fifteen, welche Erfahrungen und Eindrücke sind in Erinnerung geblieben?
W: Ich finde, ich habe extrem viel mitgenommen. Nicht, dass ich sagen würde: ein besonderes Kunstwerk, oder so. Aber die allgemeine Stimmung hat mein Leben noch einmal aufgelockert, sage ich mal. Gerade nach der Pandemie war das extrem erfrischend, auch als junge Person. Ich habe direkt eine Dauerkarte geholt, und bin auch so häufig hingegangen, wie es irgendwie nur ging. Ich fand vieles eindrucksvoll: Die documenta-Halle fand ich wunderschön, ich fand auch das in der Unterführung schön, bei der Frankfurter Straße. Also dass es auch überall in der Stadt verteilt war und man viel erleben konnte, die Orte anders erleben konnte, als sie bisher waren.
I: War das Ihre erste documenta oder haben Sie schon andere erlebt?
W: So intensiv war das jetzt tatsächlich die erste. Ich war bei der letzten documenta, weil ich auch Kunst Leistungskurs belegt hatte, als ich Abitur gemacht habe. Da waren wir auch häufiger mal da, aber nicht dass ich gesagt hätte, ich habe mir eine Dauerkarte geholt. Die documenta davor war ich auch mal da, aber da bin ich ja noch relativ jung gewesen und hatte noch nicht so das Verständnis dafür, muss ich mal sagen. Aber jetzt war die erste, die ich so richtig erlebt habe, und wo ich mir alles angeschaut habe.
I: Wenn Sie die Eindrücke zusammenfassen, auch von anderen documentas: Was macht die documenta aus, als Ausstellung, als Institution?
W: Für mich wirklich dieses andere Lebensgefühl in Kassel. Das ist für mich wirklich der Hauptaspekt. Dadurch, dass man ganz viele Eindrücke sammeln kann. Ich bin auch in Kassel geboren, ich komme von hier. Ich weiß, wie das den Rest des Jahres hier ist. Es ist halt sehr erfrischend und hat einen ganz anderen Flair in die Stadt gebracht. Ich muss auch sagen, dass ich es sehr wichtig finde, dass man dadurch sehr viel lernt und neue Einsichten gewinnt.
I: Was sind denn sonst Ihre liebsten Kultur- und Freizeitaktivitäten?
W: Ich treibe schon ganz gerne Sport. Aber ich gehe auch extrem gerne ins Museum. Oder ins Theater. Das genieße ich schon immer wieder, muss ich sagen. Mache ich auch viel zu selten, aber ich versuche immer alles mitzunehmen. So wenn ein neues Theaterstück ist, was ich ziemlich interessant finde, oder mal in die Oper zu gehen. Also ich versuche schon, relativ viele kulturelle Sachen zu machen, auch mit meinem Partner zusammen.
Abschied, Kehraus
Achim Müller
Das letzte documenta-Wochenende
Noch einmal Besucherbefragung, noch einmal die documenta fifteen life erleben. Die erste Überraschung: Es ist etwas ruhiger als noch am Wochenende davor, selbst Samstag Mittag sind die Schlangen vor Fridericianum und documenta-Halle überschaubar. Es ist spürbar anders: alles ruhiger, fast schon melancholisch.
Nach dem freien Treibenlassen die Woche zuvor will ich diesmal vor allem kleinere Orte abseits des Zentrums erkunden. Was für Menschen finden sich an den Stätten, die man auf-suchen muss, auf die man nicht zwangsläufig stößt, wenn man am Friedrichsplatz aus der Straßenbahn steigt? Sind die Erwartungen und Erfahrungen hier „spezifischer“, so wie man die Orte mit einem spezifischen Interesse, einer bestimmten Agenda erkunden will?
Los geht es im Norden der Innenstadt im WH 22, nahe am „Kulturbahnhof“. Zunächst übersehe ich den Aufsteller der documenta fast zwischen Schildern und Aufstellern von Imbissbuden und anderen kleinen Geschäften darum herum, die documenta scheint hier an der Peripherie tatsächlich fast bis zur Übersehbarkeit mit dem „Ökosystem“ der Stadt Kassel verwachsen – auch im Innenhof, wo der Biergarten optisch präsenter und mindestens so gut besucht ist wie die Ausstellungsräume selbst. Die Vermutung von spezifischeren Perspektiven scheint sich zunächst zu bestätigen: In den beiden Interviews mit insgesamt vier Personen werden die Antisemitismus-Debatten angesprochen, reflektiert – hängen bleibt der Rückblick eines Interviewten, der die documenta wegen der Vorwürfe lange nicht besucht hat, jetzt aber feststellt, dass man sie dennoch hätte besuchen sollen, um alternativen Eindrücken eine Chance zu geben.
Als zweite Station geht es zur Hafenstraße 76. Ein Ort zum Stöbern in Projektwelten – auch für meine neunjährige Tochter, die auf der Suche nach Entdeckungen durch die Räume streift und auch in einigen Winkeln fündig wird. Das Publikum ist hier gefühlt internationaler – zumindest vier meiner fünf Gesprächspartner sind aus dem Ausland angereist – und mit einem gezielten Interesse an den hier gezeigten Projekten und Kollektiven. Dementsprechend positiv die Resonanz, genau das Erwartete hier zu finden.
Aber auch hier klingt der Tag passend zur schon mittags gespürten Abschiedsstimmung relativ ruhig aus. Als ich gegen 19:00 in der Abenddämmerung in meine Unterkunft in einem Dorf südlich von Kassel fahre, ist der Ort bereits weitgehend verlassen.
Am nächsten Morgen, dem wirklich letzten Tag der documenta fifteen, hat sich das Wetter der Stimmung angepasst: ein wirklich herbstlicher Ausklang, es ist kalt und etwas regnerisch. Erster Anlaufpunkt ist noch einmal das ruruHaus für zwei Interviews mit Menschen, die sonst weniger Kunst wahrnehmen, aber von der documenta mobilisiert wurden: Publikumsentwicklung aus dem Bilderbuch!
Dann zu einer „Außenstation“, dem Boosthaus Ahoi – atmosphärisch eine künstlerisch-soziokulturelle Erlebnislandschaft mit Kletterwänden, wieder auch für Kinder geeignet. Angesichts des Wetters ist es aber leer, das Floß ist vertäut. Hier muss es schön gewesen sein. Gegenüber hätte das ZK/U mit seinem „Citizenship“ angelegt, wenn es nicht vorher wegen Niedrigwasser auf der Weser nahe Rinteln gestrandet wäre. In den beiden Interviews viel Reflexion, eine Generalabrechnung zweier ob der fehlenden echten Kunst und tiefen Auseinandersetzung enttäuschte Kasseler – und zwei Brasilianerinnen, die die Kunst zwar genießen, sich aber mehr Leitsystem und Corporate Design gewünscht hätten.
Zum Finale noch ein als Höhepunkt empfundener Außenpart im Kasseler Osten: die Kirche St. Kunigundis. Auch hier gibt es an diesem letzten Tag zwar keine Schlangen, aber zahlreiche andächtig-interessierte Besucher. Die beiden letzten Interviews sind noch einmal positiv geprägt von der Vielfalt der Orte – und der Veranstaltungsformate der letzten Tage.
So haben die letzten beiden Tage tatsächlich die erhoffte Ausdifferenzierung in der Wahrnehmung der documenta fifteen durch ihre Besucher erbracht: Mehr wohlwollende, weniger hochkulturaffine Besucher um dem Friedrichsplatz herum einerseits, mehr politisches Bewusstsein, gezielte Suche von Kollektiven und ihren Positionen, größere Anteile aus dem Ausland gezielt angereister Besucher bei den documenta-Orten an der „Peripherie“ andererseits.
Diese differenzierten, in ihren heterogenen Erwartungshaltungen heute im Hochkulturbetrieb kaum zu findenden Publika verwandelten sich am Abend noch einmal in eine homogene Fangemeinde – sei es, weil vorwiegend die Kasseler Stadtgesellschaft zusammengekommen war, sei es, weil ein paar hundert Menschen artikulieren wollten, was der politischen Verantwortlichen kaum noch möglich schien: sich stilvoll zu verabschieden und Danke zu sagen für 100 bewegte, kontroverse, erhellende und erlebnisreiche Tage. Im Abschiednehmen spiegelte sich noch einmal die ganze emotionale Bandbreite dieser denkwürdigen documenta: heitere Trotzigkeit, harsche Kritik, Erleichterung, es endlich geschafft zu haben, Feierlaune trotz alledem!
Diese gemischten Gefühle offenbarten sich nach 19 Uhr im und am ruruHaus: Kehraus mit Weingläsern, letzte Buchkäufe, Teile von ruangrupa und seinem „Curatorial Team“ stimmten sich für die Abschlussveranstaltung vor dem Fridericianum ein. Ab 19:30 Uhr begann sich der Friedrichsplatz zu füllen, eine Blaskapelle sorgte für Stimmung, man sammelte sich, lokale Prominenz – kein Wiesbaden, kein Berlin. Oben auf den Treppenplateau des Fridercianums beginnt nach 20 Uhr, dem offiziellen Ende der documenta fifteen, ein sehr spezielles Event: halb förmlicher Abschlussakt mit resümierender Rede des Obergürgermeisters, halb launig-fröhlich performativer Schlussakt mit ruangrupa, den Künstler-Kollektiven und den documenta-Teams. Ein echtes Kontrastprogramm: ein nur allmählich Form und rhetorische Fassung findender Oberbürgermeister, danach ausgelassen mit der Stadtgesellschaft rappende Künstler. Für eine halbe Stunde scheinen trübes Wetter, harte Auseinandersetzungen und mediale Untergangsszenarien im ausgelassenen Kehraus verschwunden zu sein.
Dies galt auch für die Abschlussparty der Künstler, Mitarbeiter und Freunde im Kulturbahnhof zwischen Gleisen, Bahnsteigen, ehemaligen Läden und Wartehallen: Unglaublich viel junges Volk wie aus einer Diversity-Utopie, die documenta-Organisation, der ganze große Apparat klassenlos feiernd vereint!
Hans Eichel
documenta fifteen – ist eine Weltkunstausstellung, in der erstmals ein Kollektiv aus dem globalen Süden die Perspektive bestimmt, in Deutschland überhaupt möglich?
Um die documenta fifteen wird eine lebhafte, teils heftige Debatte geführt. In dieser Debatte offenbart sich ein Grundmissverständnis über Wesen und Bedeutung der documenta, das lebensgefährlich für die Kunstausstellung werden kann. Die documenta ist längst keine deutsche Ausstellung mehr, bei der man vielleicht noch auf die Idee kommen könnte, ihr mit nationaler Politik Vorgaben zu machen. Die documenta ist das Forum der globalen Kunstgemeinde. Sie findet überwiegend in Deutschland, in Kassel statt, sie wird überwiegend mit deutschem Geld finanziert, aber ihr Inhalt wird global bestimmt. Das macht sie so einmalig, deshalb ist sie so bedeutend. Was sind die Voraussetzungen für ihre Globalität?
1955 wurde sie in Kassel von Arnold Bode und seinem Freundeskreis gegründet, um Deutschland wieder in die „Westliche Moderne“ zurückzuführen. Die erste documenta löste eine überwältigende Resonanz aus, so dass die zweite sich wie selbstverständlich anschloss. Es ging um die künstlerischen Positionen der Gegenwart. Die documenta internationalisierte sich, blieb aber europäisch-nordamerikanisch zentriert. Die documenta 5 (1972) verantwortete erstmals ein „Externer“, der Schweizer Harald Szeemann. Seitdem gilt das Prinzip der Alleinverantwortung des Kurators, der Kuratorin. Das ist die künstlerische Freiheit der documenta.
Mit der d 10 (1997) beendete die Französin Catherine David die europäisch-nordamerikanische Vorherrschaft. Sie erklärte die documenta zur Weltkunstausstellung. Okwui Enwezor (d 11, 2002), Nigerianer mit amerikanischem Pass, erster Nichteuropäer als Kurator, zog daraus die Konsequenz: Fünf Plattformen auf vier Kontinenten, die letzte die Ausstellung in Kassel, das zusammen war für ihn die documenta. Sie globalisierte sich also auch räumlich. Die d 12 (2007) und die d 13 (2012) führten das fort. Adam Szymczyk (d 14, 2017) veranstaltete die Ausstellung in Athen und Kassel als gleichberechtigten und gleichgewichtigen Standorten. Und nun verantwortet erstmals ein Künstler/- innenkollektiv aus dem globalen Süden das Weltkunstereignis.
Auch das Auswahlverfahren für die künstlerische Leitung ist längst kein deutsches Verfahren mehr. Acht höchst renommierte Museumsleiter/-leiterinnen, Ausstellungsmacher, Kunstkritiker aus mehreren Kontinenten erarbeiten einen Vorschlag (nicht eine Vorschlagsliste) für die Leitung der documenta. Der Aufsichtsrat übernimmt dann diesen Vorschlag als förmlichen Beschluss. Der letzte gestaltende deutsche Einfluss liegt also bei der Benennung der hochkarätigen globalen Findungskommission. Dieser Rückzug der Politik, die Verlegung der Entscheidungen zu künstlerischen Fragen immer stärker in die globale Kunstszene, das war eine auch vom Aufsichtsrat bewusst gesteuerte Entwicklung. Er vollzog, was Arnold Bode skizzenhaft vorgedacht hatte. Wenn irgendwo, dann gilt hier das Motto: global denken, lokal handeln.
Keine andere internationale Kunstausstellung hat diese Unabhängigkeit und Freiheit. So ist die documenta zu dem Forum der Weltkunstgemeinde geworden, beheimatet in Kassel, einer im Weltmaßstab kleinen Stadt in der nordhessischen Provinz. Ihre Globalität ist ihre Einmaligkeit. Deutschland sollte stolz darauf sein.
Diese Einmaligkeit hat ihren Preis. Kassel und das Land Hessen als Gesellschafter müssen sie vorrangig finanzieren. Der Bund gibt nur einen kleinen Zuschuss. Hineinreden aber dürfen sie alle nicht. Kunstauffassungen aus aller Welt begegnen sich hier, Streit ist vorprogrammiert, muss ausgehalten und ausgetragen werden, mit den Mitteln der Kunst, im Diskurs der Zivilgesellschaft. Die künstlerische Freiheit garantiert das Grundgesetz. Darum kann es die documenta auch nur in einer Demokratie geben. Die Grenzen der Freiheit definiert nicht die Politik, nicht gesellschaftliche Gruppen mit ihren Erwartungen, nur das Recht. Und wenn und soweit die documenta in Deutschland stattfindet, das hier geltende Recht. Volksverhetzung z. B. ist immer strafbar. Und die documenta wird immer das Lebensrecht und die Würde aller Menschen verteidigen. Wie könnte sie sonst Forum der Weltkunstgemeinde sein?
Und nun diese Debatte. Das sogenannte „Bündnis gegen Antisemitismus Kassel“ erhob Anfang des Jahres den Vorwurf, die documenta fifteen sei antisemitisch. Begründet wurde dies in der Hauptsache mit der Einladung des palästinensischen Künstler/-innenkollektivs „The Question of Funding“ und der Einstellung seines Sprechers. Außerdem wiesen angeblich Mitglieder der globalen Findungskommission und auch eingeladene Künstler / Künstlerinnen eine Nähe zur BDS – Initiative auf, die einen Boykott Israels propagiert. Diese BDS – Initiative hatte der Bundestag in einer Resolution als antisemitisch eingestuft und verlangt, Künstlern, die sie unterstützen, keine öffentlichen Räume und keine öffentlichen Mittel für Auftritte oder Ausstellungen zur Verfügung zu stellen. Gegen diese Resolution verwahrten sich mehr als hundert Repräsentantinnen und Repräsentanten der führenden deutschen Kultureinrichtungen („GG 5.3 Weltoffenheit“). In Europa steht Deutschland mit dieser Resolution ziemlich allein da, weltweit sowieso.
Eine Reihe von Medien übernahm sofort und ungeprüft diese Vorwürfe des Kasseler Bündnisses.
Die künstlerische Leitung der documenta fifteen positionierte sich eindeutig:
„Grundlage der documenta fifteen ist die Meinungsfreiheit einerseits und die entschiedene Ablehnung von Antisemitismus, Rassismus, Extremismus, Islamophobie und jeder Form von gewaltbereitem Fundamentalismus andererseits. Das Recht aller Menschen auf ein selbstbestimmtes Leben in Frieden, Würde und Sicherheit ist für das Team der documenta fifteen elementar.“ (Erklärung vom 19. Januar 2022)
Aber die Debatte ging und geht munter weiter, befeuert auch durch einen zehnseitigen offenen Brief von Künstlerkollektiven, die zur documenta fifteen eingeladen sind.
Zu der ganzen Debatte bleibt einiges nachzutragen:
Der Hauptvorwurf, das zur documenta fifteen eingeladene palästinensische Künstlerkollektiv, insbesondere sein Sprecher, sei antisemitisch, ist unhaltbar. Das haben u.a. die Kasseler Lokalzeitung HNA und die Berliner Zeitung in sorgfältigen Recherchen nachgewiesen. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass dieser Nachweis in der weiteren öffentlichen Debatte überhaupt eine Rolle spielt.
Schwieriger ist für Deutsche die Debatte um BDS. Der Verfasser denkt, dass ein Deutscher dem BDS niemals zustimmen kann, wie kritisch er auch immer die klar völkerrechtswidrige Siedlungspolitik Israels in den besetzten Gebieten beurteilt. Die Nazis hatten ja die Judenverfolgung u. a. mit dem Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte begonnen. Überhaupt bleibt die Frage, wie sinnvoll Boykotte sind, was sie zu einer Problemlösung leisten. Und ist es nicht ein Widerspruch, den gegen Israel gerichteten Boykott–Aufruf zu kritisieren und ihn dann mit einem anderen Boykott– Aufruf zu beantworten? Hat nicht „GG 5.3 Weltoffenheit“ recht, dass man nur dem entgegentreten kann, was man kennengelernt hat?
Für die documenta jedenfalls (und überhaupt für den Kunstbetrieb in Deutschland) lässt sich das Problem nicht durch Verbote lösen. Das ist inzwischen auch gerichtlich klargestellt. Also muss es, wenn die documenta fifteen Anlass dazu gibt, eine zivilgesellschaftliche, vielleicht auch eine heftige Debatte geben. Ja, „we need to talk“, wir müssen diese Kontroverse austragen, einander zuhören, hoffen, dass wir die besseren Argumente haben und dass sie etwas bewirken. Was ist denn die Alternative? Für die documenta gibt es keine – sonst gäbe es zukünftig keine documenta als Forum der Weltkunstgemeinde.
Diese Debatte wird nun nicht im Vorfeld der documenta fifteen, sondern erst während des Weltkunstereignisses in genauer Kenntnis der Ausstellung geführt werden können. Der Zentralrat der Juden hat die Zusammensetzung der Podien der von der documenta geplanten drei Diskursveranstaltungen kritisiert und wollte wohl Einfluss auf die Auswahl der Teilnehmer/-innen nehmen. Einige Teilnehmer haben wohl auch wegen dieses Streits abgesagt. Es war ein Fehler der documenta fifteen, im Vorfeld der Ausstellung diesen Diskurs zu planen. Auf welcher Basis denn? Man hätte sich dieses mediale Unglück ersparen können.
Dahinter aber stecken zwei viel grundsätzlichere und viel gefährlichere mögliche Konflikte:
Die ganze Debatte hat mit dem Konzept der documenta fifteen überhaupt nichts zu tun. „Für die documenta fifteen haben ruangrupa und das künstlerische Team Positionen eingeladen, die sich im Sinne der lumbung–Praxis mit künstlerischen Mitteln für ihre jeweiligen lokalen Kontexte engagieren. Die Künstler*innen werden dabei nicht nach dem Kriterium eingeladen, ob sie sich als apolitisch oder einer bestimmten politischen Richtung zugehörig verstehen. In der Akzeptanz der Komplexität unserer Gegenwart macht sich die documenta fifteen mit keiner politischen Bewegung gemein, betont aber das Recht aller Menschen, sich für ihre Rechte und gegen Diskriminierung einzusetzen.“ (Erklärung vom 19.Januar.2022)
Wir haben der documenta fifteen diese Debatte, die – aus verständlichen Gründen – besonders in Deutschland geführt wird, aufgezwungen. Sind wir überhaupt in der Lage und bereit, uns der documenta fifteen und ihrem Anliegen zu öffnen?
Und noch grundsätzlicher: Alle documenta–Ausstellungen seit der d 10 beanspruchten, Weltkunstausstellung zu sein. Sie wurden bestimmt durch die Perspektive und Maßstäbe des globalen Nordens, genauer: seines westlichen Teils. Der globale Süden in all seiner Komplexität blieb Objekt der Betrachtung. Dieses Mal, zum ersten Mal, ist es umgekehrt: Der globale Norden ist Objekt, die Perspektive und die Maßstäbe bestimmt ein Kollektiv aus dem globalen Süden. Halten wir das aus? Die Antwort auf diese Frage entscheidet darüber, ob es in Zukunft noch eine globale documenta in Deutschland geben kann, vielleicht ob es überhaupt weiter ein Forum der globalen Kunstgemeinde geben kann. Sollte die Antwort „Nein“ lauten, müsste man noch viel mehr um den Zustand der Welt fürchten als ohnehin schon. Deshalb sollten wir uns mit allen Mitteln, die das Grundgesetz zur Verfügung stellt, für ein „Ja“ einsetzen.
Klaus Siebenhaar
Die Zukunft hat begonnen: Ideen für die documenta 16
Als Abschluss eines mehrwöchigen Online-Seminars mit Livestream von der documenta fifteen haben sich 20 chinesische Master-Kunstmanagement-Studentinnen der Central Academy of Fine Arts (CAFA) in Peking konzeptionelle Gedanken zur documenta 16 im Jahr 2027 gemacht. Im Seminar haben sie sich intensiv und kritisch sowohl mit der documenta-Geschichte als auch mit der gerade beendeten documenta fifteen auseinandergesetzt. Alle gehören der Generation Z an, sind also Anfang bis Mitte 20, keine hat je zuvor eine documenta gesehen, keine war je in Deutschland. Alle weltanschaulichen und politischen Streitpunkte wurden behandelt, alle aktuellen weltpolitischen Konfliktpunkte bildeten gleichsam den Subtext des Seminars (siehe Beitrag „Online-Seminar documenta fifteen“ unten auf dieser Website).
Die von drei Seminargruppen („Art & Society“, „Curation“, „Education/Schooling“) eingereichten, auf eine Seite Text plus Visualisierung limitierten Vorschläge wurden Ende September als PDF nach Berlin versandt. Inhaltlich-thematische Vorgaben oder Korrekturen seitens der Seminarleitung gab es nicht, es galt die strikte Unabhängigkeit einer künstlerischen Leitung der documenta.
Art & Society Department
Liang Youshuang
Li Yingni
Li Yurong
Huang Keying
Zhou Kexin
Shei Wenjing
Yang Xinyue
Documenta 16 Proposal Draft
Our core concept is „Keep Record by Tying Knots“, which comes from a primitive way of recording and transmitting information before the appearance of writing. The word „结“ in Chinese characters means a knot formed by a rope, and also refers to a state of interconnection and inseparability. This concept contains our attitude: Return and Remember, which means that we want to make Documenta as a „knot“ under the crisis, a simpler and more direct way than writing to communicate stories, record memories. In this way, we will find out how human beings can continue to survive and develop in time and space, along this „rope“. And after five years, we still want to develop the combined meaning of „Documenta“ („Documentation“ and „Presentation“), hoping to emphasize public memory and collective consciousness in response to a changing and uncertain world.
During the early brainstorming process, we considered the series of social and spiritual crises caused by the pandemic in the historical scope from now to the future, trying to discuss the situation in terms of our own cultural notions. Facing the limitation of movement in physical space and the separated international situation, we extracted the cultural concepts that symbolize harmony and cooperation in traditional Chinese culture, such as „Datong(⼤ 同)“ and „Yuan(圆)“, and searched for the disappearing collective memory. Because of the impressiveness of the Documenta archives, we believe that the shared memory and heritage of history are also important factors in the sustainable development of our world.
Exhibiting Department
Li Qinrui
Dou Jiatong
Lyu Yiqiao
Sun Xiaomeng
Xu Ce
Yang Lu
田. Documenta 16 Proposal Draft
1. Status of the world
(1)Problems:War;Diseases;Military and political conflicts;
(2)Needs:Freedom
(3)Failure:Environmental;resources;Racial discrimination
(4)Threats: Disease: Ecological environment: Conflicts between countries:
(5)Hopes:Better connected world.
2. Status of the art
(1)Role:As a means of politics & As a means of resistance
(2)Function:Cultural communication & Education & diagnosis
(3)Wonderlanding:
· Interactive relationship between art, environment and place
· Trying to establish an equal, decentralized art community atmosphere
3. Cosmos documenta Kassel
Spirit of Documenta:① Democracy & humanity; ② Dive into the community; ③ Topics involving individuals, collective, subjectivity, etc;
4. Our Attitude
Search for new survival field; an equal standpoint; break the binary opposition
Equality& tolerance & mutual benefit & reconstruction & expansion
5. Basic idea:Core concepts of “田”(tian)
(1)Living foundation/basis of human survival:① Reuse of wasteland – Rethinking; ② “slash and burn” cultivation – Rebuilding; ③ A zone can be mined – Exploring possibilities
(2)Breaking boundaries:④ Land boundaries – Border conflicts/geopolitics;⑤ Migration and distribution of peoples
(3)Human power:⑥ Collective human labor – The bottom workings of the state;⑦ Land can be bought, sold, rented, passed down – changes of power