Wie geht’s weiter nach der documenta fifteen?
Tania Bruguera, weltbekannte kubanische Künstlerin im Gespräch mit Monopol: „Wir alle brachten unsere Probleme aus der ganzen Welt nach Deutschland. Und dann war es fast so, als ob Deutschland sein Problem zu uns gebracht hätte.“
Nein, die documenta fifteen ist nicht gescheitert. Die über siebenhunderttausend Besucher: innen und die Kasseler, Kasselaner und Kasseläner haben sich auf die Künstler:innen aus aller Welt und ihre Probleme, die Probleme der ehemaligen Kolonialvölker, die Probleme der Marginalisierten und wie Künstler: innen darauf reagieren, eingelassen, sich von ihren Werken, ihrem Tun inspirieren und auch zur aktiven Teilnahme überzeugen lassen.
Gescheitert ist der Dialog, der kritische, auch streitige Diskurs der Mainstreet-Feuilletons und der (Bundes-) Politik mit der documenta fifteen, weil sie unser deutsches Problem, den Antisemitismus, der mit den Problemen der Künstler: innen aus aller Welt fast nichts und dem Konzept des Weltkunstereignisses nichts zu tun hatte, an der documenta fifteen abarbeiten wollten. Die deutsche Medien- und Politiköffentlichkeit hat sich für das Forum der Weltkunstgemeinde deswegen ziemlich disqualifiziert. Freilich konnte auch ruangrupa mit dieser Situation kommunikativ überhaupt nicht umgehen.
Was heißt das für die Zukunft?
Zunächst: Nicht aufgeben. Die Menschheit braucht den Dialog, letztendlich das Verständnis zwischen Nord und Süd, Ost und West, wenn sie überleben will.
Für die documenta: Weitermachen, nicht zurückstecken, weiter nach vorne gehen, ganz im drängenden Geiste Arnold Bodes. Bekräftigung ihres globalen Anspruchs. Das bedeutet: Weiterhin Alleinverantwortung für Inhalt und Form der documenta bei der künstlerischen Leitung, begrenzt nur durch die in Deutschland geltenden Gesetze und durch das Budget. Keine „Expertengremien“, die ihr zur Seite gestellt werden, sie beraten oder überwachen sollen. Für diese Art „betreuten Kuratierens“ wird man keine hochkarätigen Kurator: innen finden, das wäre der Tod der documenta. Sie lebt ja gerade von der radikalen Subjektivität derer, die sie kuratieren.
Sicherung und Ausbau des Prinzips, dass alle Entscheidungen, die die künstlerische Seite betreffen, in der globalen Kunstgemeinde getroffen werden. Das gibt es sonst bei keiner internationalen Kunstausstellung. Das macht die Einzigartigkeit und Bedeutung der documenta aus. Also weiterhin eine internationale Findungskommission, die die künstlerische Leitung vorschlägt. Und diese internationale Findungskommission sollte künftig auch von der globalen Kunstgemeinde nominiert werden Das garantiert klare Verantwortlichkeiten: Finanzen und Organisation bei den Gesellschaftern der documenta gGmbH, also Stadt Kassel und Land Hessen und bei der Geschäftsführung.
Und dann eine bessere Vorbereitung für das Aufeinandertreffen von documenta und Deutschland, besonders, wenn die künstlerische Leitung aus einem völlig anderen Kulturkreis kommt.
Die documenta gGmbH muss dafür sorgen, dass eine solche künstlerische Leitung viel intensiver für die deutsche Situation sensibilisiert wird, also dafür, dass Deutschland aufgrund seiner Geschichte, aufgrund des Holocaust, besonders empfindlich auf Antisemitismus reagiert, dass Antisemitismus hier keinen Platz hat. Das muss nicht nur in der Vorbereitung einer documenta beachtet, dem muss auch in der Kommunikation, die die Ausstellung begleitet, Rechnung getragen werden.
Und Deutschland, seine Feuilletons, die Politik müssen sich schon im Vorfeld der documenta ihrem Konzept, den Anliegen der Künstler: innen, den Lebensumstände, aus denen sie kommen, öffnen, sich damit intensiv auseinandersetzen.
Und dann sollten zwei Grundsätze gelten:
Kritik, auch heftig, ja, aber jeder Versuch, in die Ausstellung einzugreifen, auch nur der Anschein davon, muss vermieden werden. Man darf nie vergessen: Viele Künstler: innen sind in ihren Ländern Zensur ausgesetzt. Wer das Ansehen der Demokratie fördern will, muss sich davon radikal positiv abheben.
Diskussionen über die documenta sollten möglichst qualifiziert sein. Die Mindestbedingung dafür ist, dass nur über die documenta redet, wer sie sich zuvor angesehen hat.
Und vor allem: Deutschland muss sich über sein Antisemitismusproblem klar werden, sich klar werden, wie es damit umgeht. Mit allen möglichen Begriffen daneben zu hantieren, wie Antizionismus, Judenhass, Israelfeindlichkeit, israelbezogener Antisemitismus ist kein Beitrag zur Klärung. Und die documenta in Grund und Boden zu verdammen, zugleich aber das Genie Richard Wagner zu feiern, die Judensau an der Schlosskirche zu Wittenberg mit einem erklärenden Text zu lassen, das passt überhaupt nicht zusammen. Da ist die gesellschaftliche Debatte überfällig.
Und Deutschland muss sich endlich seiner Geschichte als Kolonialmacht stellen, der Verbrechen, die es damals verübt hat. Auch das muss konsequent aufgearbeitet werden.
Aus dem äußerst unbefriedigenden Aufeinandertreffen der documenta fifteen mit deutschen Leitfeuilletons und der (bundes-) deutschen Politik kann man, muss man positive Konsequenzen für die Zukunft ziehen.