documenta fifteen – Ein Rückblick
Als die Findungskommission im Februar 2019 ruangrupa als documenta-Leitung auswählte, waren viele überrascht. Ein Künstlerkolllektiv aus Asien, genauer aus Indonesien, als documenta-Kuratoren, musste man sich da nicht auf etwas völlig Neues einstellen? Fremd war der Name ruangrupa, was Kunstraum oder Raumform bedeutet. Fremd das Wort „Lumbung“ für die künstlerische Praxis, ein indonesisches Wort für eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, in der die überschüssige Ernte zum Wohl der Gemeinschaft gelagert wird.
Mit der Veröffentlichung der Künstlerliste im Straßenmagazin „Asphalt“ wurde nicht nur die Kasseler Bevölkerung überrascht. Auch der Arbeitsstil der ruangrupa war ein anderer. Der westliche Kunstmarkt stand genau sowenig im Vordergrund wie der übliche Starkult. ruangrupa ging es um Zusammenarbeit für gemeinschaftliche Zukunftsmodelle, um die Verteilung von Ressourcen, um Folgen des Neoliberalismus, um den Klimawandel, um Strukturen, die sich aus der Kolonialzeit entwickelt hatten und immer noch bestehen. Die Besucher sollten sich mit der Realität des weltweiten Südens auseinandersetzen. Das ist natürlich anspruchsvoll, denn jedes Land im Süden ist anders, hat andere Probleme und andere politische wie religiöse Hintergründe.
Von den Kuratoren wurden viele Künstlerkollektive und Künstler des Südens zum Mittun eingeladen. Mit dem ruruHaus und ihren freundlichen Mitarbeitern verschwand die Hemmschwelle zwischen Künstlern und Besuchern. Es wurde zum Treffpunkt und zum Mitmachen genutzt. Auch einige Kasseler Organisationen waren dabei, so die Kasseler NaturFreunde mit dem Beitrag von Michael Müller zur doppelten Bedrohung der Erde durch Klimawandel und Militarismus.
Schon vor Beginn der documenta wurde den Ausstellungsmachern Antisemitismus vorgeworfen. Die Kritik wurde bei der Eröffnung massiver und führte zur Abhängung des Banners „People`s Justice“ vom Künstlerkollektiv Taring Padi. Das wimmelbildartige Banner war 2002 entstanden. Es war nach Aussagen der Künstler Teil einer Kampagne gegen Militarismus und Gewalt, die die Menschen in Indonesien während der Militärdiktatur Suhartos erlebt haben. Die Darstellung von Militärfiguren sei Ausdruck dieser Erfahrungen, weiter heißt es in der Erklärung der Künstler: “Alle auf dem Banner abgebildeten Figuren nehmen Bezug auf eine im politischen Kontext Indonesiens verbreitete Symbolik, z.B. für die korrupte Verwaltung, die militärischen Generäle und ihre Soldaten, die als Schwein, Hund und Ratte symbolisiert werden, um ein ausbeuterisches kapitalistisches System und militärische Gewalt zu kritisieren…“
Auch nach der Entfernung des Banners erfuhren die Ausstellungsmacher weiter massive Kritik, denn es wurden noch andere Werke gefunden, die als antisemitisch interpretiert wurden. Die Kritik gipfelte in der Forderung, die documenta 15 zu beenden. Auch die Berichterstattung in den meisten Medien beschränkte sich auf die Antisemitismus-Vorwürfe. Sollte damit von der kritischen Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus des Westens und seinen Folgen bis heute abgelenkt werden? Eine Gesamtbetrachtung fand kaum statt. Dabei musste man feststellen, dass eine Reihe der Kritiker, auch aus der Politik, sich weder die Mühe gemacht hatten, Hintergründe zu den Werken erfahren, noch hatten sie die Ausstellung besucht.
Dagegen waren die meisten Besucher von der documenta 15 begeistert, was man auch an der Abstimmung mit Füßen festmachen konnte. Dass manches Kunstwerk schwer zu verstehen war und die Erläuterungen oft nur in englisch zu finden waren, wurde hingenommen. Die vielen Erfahrungen an den zahlreiche Ausstellungsorten waren mit Stimmungen verbunden. Fröhlichkeit und Trauer, Betroffenheit und Distanz, Erkenntnisse und Bestätigungen, Mitmachen und Zuschauen, Fragen und Antworten – das alles war möglich.
Deshalb: Wir danken den 1500 Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt, wir danken Ruangrupa, wir danken dem Geschäftsführungsteam für eine beeindruckende documenta fifteen und für einen wunderbaren Kunstsommer in Kassel.
So der Anfang einer Petition zur Unterstützung der documenta 15, die hier das passende Schlusswort setzt.