Im Hof von WH22
I: Was habt ihr gesehen von der documenta, was ist an Eindrücken hängengeblieben?
M1: Ich komme auch aus Kassel, und ich hatte lange Berührungsängste, etwas hat mich gehemmt, diese ganze Antisemitismusdebatte. Ich war letzte Woche auf der documenta wirklich auch in Ausstellungen drin. Vorher war ich nur draußen unterwegs. Und ich muss sagen, gerade die Ausstellung in der documenta-Halle, die hat mir am meisten gefallen, vom ästhetischen Aspekt. Was mich aber glaube ich am meisten bewegt hat, ist die Ausstellung im Hallenbad Ost. Weil da ja auch die ruangrupa [Taring Padi] ausstellt. Und man da, das war jedenfalls bei mir so, ich mit einem sehr offenen Auge durchgegangen bin, im Hinblick auf diesen Skandal.
M2: Also wenn ich jetzt so ad hoc beantworten müsste, was mir am meisten im Kopf geblieben ist, dann eigentlich das, was wir eben gemacht haben. Wir waren eben nochmal … Ich war vor vier Wochen, glaube ich, drei Tage hier, weil ich nicht mehr in Kassel wohne, und heute haben wir uns nochmal ein Tagesticket geholt. Da waren wir in der documenta-Halle, da haben wir die … Ich weiß leider nicht mehr, wie die Organisation heißt, ich glaube, das hängt zusammen mit einem kubanischen Kollektiv …
I: Instar.
M2: Genau, Instar. Da haben wir uns einen Vortrag angehört, und noch ein bisschen der Diskussion gehorcht danach. Und das war sehr inspirierend, So, das ist das, was mir jetzt gerade so frisch im Kopf ist.
I: Wenn du sagst, dich hätte die Antisemitismus-Debatte gehemmt: Kannst du da beschreiben, was dich da gehemmt hat? Was hat dich da abgehalten?
M1: Schon. Also, ich kann das überhaupt nicht unterstützen, in irgendeiner Art und Weise. Wirklich ein Skandal, ein Riesenschaden, der da entstanden ist, aus meiner Sicht. Ich konnte mir nicht so richtig vorstellen … Ich habe das damit verbunden, dass, wenn ich dahingehe, mir das angucke, mir eine Karte kaufe, dass ich das damit unterstütze. Das hat mich sehr gehemmt. Jetzt im Nachhinein, wo ich auch Sachen gesehen habe, ja, der Meinung bin ich nicht mehr. Ich glaube, ich hätte schon früher hingehen sollen, und mir ein eigenes Bild machen sollen. Aber das hat mich schon sehr gehemmt. Ich dachte: Nee, das waren alles Sachen, die auch vorher einsehbar waren, wenn man das gewollt hätte. Und deswegen wollte ich das einfach nicht unterstützen. Jetzt nicht unbedingt … Ich hatte sowieso ein Ticket, aber mit der Präsenz, das hat schon die Stimmung ein bisschen runtergezogen. Weil ich mich eigentlich auf den Sommer, auf die documenta, ziemlich gefreut hatte, das war dann schon so ein Dämpfer.
I: Daran anknüpfend: Du sagtest, dass da langfristig Schaden entstanden ist: Was ist als Bild geblieben von der documenta als Ausstellung, als Institution?
M1: Gerade die Zeit, wo ich das eigentlich boykottiert habe, habe ich oft gehört, dass Leute enttäuscht waren, von der Kunst auch. Habe mich dann auch mit jemandem unterhalten, der auch Teil, der im Team ist. Und es ist halt schon so, und das finde ich ziemlich gut, dass die Standorte, dass das sehr offen ist. Auch für jeden zugänglich. Und nicht, wie es in der Vergangenheit war, oder bei Kunstausstellungen generell, ein eher elitäreres Publikum, der Anteil von Akademikern schon immer ziemlich hoch ist, generell, bei der documenta auch, in der Vergangenheit. Und das hat glaube ich viele Leute abgeschreckt, dass die gesagt haben: OK, ich bin enttäuscht von der Kunst. Das fand ich aber eigentlich ziemlich erfrischend. Diese Offenheit. Das sehr viel offen und verteilt stattfand. Diskussionsräume, Begegnungsorte, so was. Das hat mich dann am Ende doch positiv überrascht. Die Kritik daran kann ich nachvollziehen, aber ich kann es nicht verstehen. In dem Sinne, dass ich sage: Leute, die sich für Kunst interessieren, Alteingesessene vielleicht, dass die damit ein Problem haben, dass es die abschreckt, das kann ich nicht so ganz verstehen.
M2: Das finde ich auch. Das finde ich jetzt auch sehr gut. Weil man ja auch einen anderen Blick auf Kunst aus anderen Kreisen gekriegt hat, die jetzt nicht unbedingt nur aus Ländern kommen, wo die Leute Zeit und Raum haben, sich mit Kunst auseinanderzusetzen, sondern auch aus Ländern, wo das auf eine ganz andere Art und Weise geschieht. Das fand ich auch sehr erfrischend, das ist mir sehr positiv aufgefallen.
M1: Genau, daran anknüpfend: Den Blick vom globalen Norden wegzubringen. Was ja auch im Zusammenhang mit diesem Skandal benutzt wurde als Argument, um das zu entschärfen: Was ich in dem Sinn aber nicht teilen würde. Ich glaube, dass man gerade, wenn man in Deutschland Sachen ausstellt, dass man sich damit beschäftigen muss. Mit dem Ort, wo man Sachen ausstellt. Und dass man nicht sagen kann: „Ja, aus unserer Perspektive…“ oder als kolonialistische Kritik. Also: Ja, aber wenn man in Deutschland ausstellt, hat man eine speziellere Verantwortung, als wenn man das in einem anderen Land macht. Aus geschichtlicher Perspektive.
I: Was ist eure Lieblingskultur- und Freizeitaktivität?
M1: Für mich ist es Musik. Ich mache selber auch Musik.
M2: Ja, bei mir auch Musik. Vielleicht nicht ganz so passioniert und regelmäßig wie er, aber schon.