Vor der Kirche St. Kunigundis
I: Was haben Sie gesehen von der documenta, und was ist an Eindrücken hängengeblieben?
M: Also ich habe schon ziemlich viel gesehen, ich bin zum zweiten Mal hier. Ich war vor vier Wochen zum ersten Mal hier, mit meiner Partnerin, und habe da erstmal die in Anführungsstrichelchen großen, oder die meistdiskutierten Ausstellungen gesehen, unter anderem das hier. Jetzt bin ich zum zweiten Mal hier, dieses Mal mit einem Freund, und ich habe mir dann zu Herzen genommen – ich hatte in einem Interview mit ruangrupa gelesen, dass eigentlich das Rahmenprogramm das Wesentliche ist, und deshalb haben wir auch gestern eher das Rahmenprogramm in den Blick genommen. Mein erster Kontakt mit documenta war schon so … war dann schon so überrascht. Einerseits … Man kommt ja um den Skandal nicht herum. Ich habe dann gemerkt, als ich reingekommen bin, dass ich schon mit einer gewissen Erwartung gekommen bin. Dann fand ich das aber relativ schnell schade, dass die ganze documenta von dem Skandal so überschattet wurde, weil ich finde, da ist sehr viel mehr zu sehen. Letzten Endes tun mir in erster Linie die beteiligten Künstler:innen leid, weil ihre Sichtweisen leider viel zu oft in diesen nicht besonders sachlich geführten Konflikt … Mir ist – das ist eine Entwicklung, die man in der Kunstwelt schon lange beobachten kann: das Verschwinden der Autonomie der Kunst. Ich finde, das hier war so ein Ausrufezeichen für diese Entwicklung. Die Kunst beschäftigt sich nicht mit kunstinternen Debatten oder Themen, sondern bezieht ihre Legitimation durch ihren gesellschaftlichen Bezug. Und da finde ich es dann leider doch etwas inkonsequent von ruangrupa, dass sie nicht auch bis zum Ende gedacht haben, und dann auch verantwortungsvoll mit diesem sehr propagandistischen, antisemitischen Bildern umgegangen sind. Aber das ist halt wirklich, da habe ich auch mit meinem Freund heftig debattiert. Das fand ich schlechtes Krisenmanagement von denen, von der Kurator:innengruppe, dass die es nicht wieder geschafft haben, die Aufmerksamkeit auf die vielen Stärken dieser documenta zu lenken. Zum Beispiel gestern habe ich dieses „Citizens‘ Cinema“ in der Karlsaue erlebt, von dieser japanischen Kino-Gruppe, das war wirklich gut. Oder das z/ku, das Schiff. Das fand ich beides stellvertretend für die Stärken der documenta. Dass die „Schönheit“, der ästhetische Wert durch das Nachspüren dieser kollektiven Energien kommt, und nicht von irgendwelchen Pinselstrichen. Das hat man da auch wahnsinnig gut gefühlt. Man wurde ja Teil davon. Die z/ku, die haben auch mitgekocht, es gab Bier, die haben ganz spontan erzählt, wie das alles war. Dieses Citizen … Dieses Caravan-Cinema hatte, hat auch diesen Raum geschaffen, in dem man sich aufhalten konnt. Und ich empfand das auch als positive Entwicklung gegenüber der letzten documenta, wo ich … Da ging es sehr viel um Aufklärung, das hat sich oft wie ein Magazin oder Journalistik angefühlt. Und hier ist der Fokus, finde ich, nicht so sehr auf Information, sondern auch auf Machen und Beteiligung. Das finde ich viel konsequenter. Dann leider doch schade mit diesem Skandal, dass das doch einerseits so schlecht von ruangrupa gemanagt wurde, und andererseits, dass es dann auch solch polemische Wellen geschlagen hat.
I: Was gucken Sie sich heute noch an?
M: Das hängt ein bisschen von meinem Kumpel ab, der reist um fünf ab, und ich hatte ja im Sachen im Programm nachgeschaut, die ich noch sehen will. Es soll ein Film von Jimmy Durham gezeigt werden, das z/ku macht wieder was heute, mit dem e-coin und dem Honig. Ansonsten habe ich die meisten Ausstellungsorte eigentlich schon gesehen. Vielleicht noch das Grimm-Museum [Grimmwelt] oder so.
I: Können Sie mir sagen, was Ihre liebsten Freizeit- und Kulturaktivitäten sind?
M: Na, ich bin ja Künstler. Ich gehe auch einfach sehr gerne in Ausstellungen, Theater, Kino, und so. Also ich bin hier schon zuhause.