Besondere Zeiten verlangen nach besonderen Formen und Formaten. Um über 10.000 Kilometer hinweg ein documenta fifteen Online-Seminar in China unter den Bedingungen der Pandemie und des Lockdowns veranstalten zu können, braucht es experimentelle Lösungen: Das Seminar wird zur Sendung, die Lehrer sind Moderatoren, Reiseführer und Performer, die Studenten avancieren zu kreativen, aktiven Mitarbeitern in einem gemeinsamen Lern- und Erfahrungsprozess. Das Seminar gleicht einer kollektiven Expedition, das zum Schluss in eine Ausstellungsdokumentation transformiert wird.
So folgte das vom 13. Juni bis 10. Juli 2022 realisierte multimediale Online-Liveseminar an der Central Academy of Fine Arts in Idee und Umsetzung den Prinzipien eines „scripted events“, wie es die Fluxus-Künstler in den sechziger Jahren entwickelt hatten: idee- und konzeptgetrieben, prozesshaft, situationsbezogen, partizipativ-ereignishaft. In über 40 Stunden verwandelten sich die 20 Masterstudentinnen in eine „Agentur für geistige Gastarbeit“ (Harald Szeemann), die nach einer intensiven Seminar-Reise durch die Vergangenheit der documenta, einer livestreambasierten viertägigen Exkursion durch die documenta fifteen die Vergangenheit mit der Gegenwart und Zukunft der documenta zu verbinden suchen. An zwei Orten in Berlin – „Industriesalon“ Oberschöneweide, Homestudio Lichterfelde-West – sowie den wichtigsten documenta-Standorten in Kassel wurde studiert, reflektiert, diskutiert, im Feld geforscht. Die „Krise“ der documenta blieb durchgehend ein Thema.
Der abschließende Workshop mit dem renommierten deutschen Konzeptkünstler Christian Jankowski bildete den vorläufigen Abschluss; zum Ende der documenta fifteen werden die Studentinnen konzeptionelle Entwürfe für die documenta 16 in 2027 präsentieren.
Wie im Fall von „Cosmos Beuys“ hat ein studentisches Team dieses experimentelle Seminarformat in ein ganz eigenes Ausstellungskonzept überführt. Keine von ihnen war je auf einer documenta oder kennt Kassel in eigener physischer Erfahrung. Von daher ist dieser ferne Blick, der von Texten, Bildern und einem mediatisierten Live-Erlebnis geprägt wurde, ein besonderes Zeugnis der documenta-Rezeption in China.
Die Produktion entstand in enger Kooperation zwischen der Central Academy of Fine Arts, dem documenta archiv Kassel, dem Institut für Kultur und Medienwirtschaft (IKMW, Berlin) und der Veranstaltungsagentur mfe Berlin.